Hamburg. Weil der HSV nach dem 0:4 gegen Leipzig auf einen Relegationsrang rutschte, gerät Labbadia zunehmend unter Druck. Was macht Kühne?
Er stand geschätzte 50 Meter Luftlinie entfernt. Bruno Labbadia war gerade dabei, das Training der Reservisten zu beobachten, als gleich mehrere TV-Teams am Rande des Platzes die Fans interviewten. Es war Sonntagmorgen, 10.20 Uhr im Volkspark. 17 Stunden zuvor waren der HSV-Trainer und seine Mannschaft nach dem blamablen 0:4 (0:0) gegen Aufsteiger RB Leipzig mit einem lautstarken Pfeifkonzert aus dem benachbarten Stadion begleitet worden. Mal wieder hatte der HSV ein Heimspiel verloren. Mal wieder steht der HSV auf Relegationsrang 16. Und mal wieder hat im Volkspark eine Trainerdiskussion begonnen.
Ob Labbadia noch der Richtige sei, wollten die meisten TV-Reporter am Tag nach dem vollendeten Fehlstart von den HSV-Fans wissen. Und die meisten HSV-Fans waren sich einig: Labbadia ist nicht mehr der Richtige. Nach nur einem Punkt aus den ersten drei Spielen der noch jungen Saison haben die Hamburger Anhänger ihren Sündenbock ausgemacht. Der Trainer sei schuld. Der Trainer stelle falsch auf. Der Trainer lasse immer seine Lieblinge spielen. Zusammengefasst: Der Trainer muss weg.
Nun gilt auch in Hamburg das ungeschriebene Gesetz, dass nicht die Fans über einen Trainerwechsel bestimmen. Vielmehr gilt in Hamburg das ungeschriebene Gesetz, dass ein einziger Fan über einen Trainerwechsel bestimmt. Und dieser Fan ist ganz nebenbei Investor, Anteilseigner und einflussreicher Geldgeber beim HSV: Klaus-Michael Kühne (79), Logistik-Unternehmer. Zu einem Trainerwechsel kommt es beim HSV in der Regel dann, wenn Kühne ihn sich wünscht. Aber dazu später mehr.
Labbadia und das abgebrochene Interview
Wie angespannt die Situation unter den Verantwortlichen ist, wurde bereits nach dem Spiel im Bauch des Stadions deutlich. Sky-Reporter Patrick Wasserziehr hatte die Frage gestellt, die seine Kollegen am Sonntag den Fans stellten. Mit dem Unterschied, dass Wasserziehr sie direkt adressierte. „Glauben Sie, dass es eine Diskussion geben könnte in Richtung Ihrer Person?“ Labbadia, noch sichtlich aufgewühlt, verlor die Fassung. „Wenn der Journalismus mittlerweile so wird, dass man nach dem dritten Spieltag ..., dann machen Sie es gerne so.“ Eine Nachfrage später brach Labbadia ab – relativierte aber am Tag danach: „Das war im Eifer des Gefechts.“
Was Wasserziehr zu seiner Frage veranlasste, war weniger der Zeitpunkt der Saison, sondern die Art und Weise der Niederlage. Der HSV hatte gegen Leipzig wie schon gegen Ingolstadt und in Leverkusen 65 Minuten ansprechend gespielt, nach dem ersten Gegentor aber Auflösungserscheinungen offenbart. So schlimm wie gegen die Roten Bullen in den letzten 25 Minuten brach der HSV in diesem Jahr aber noch nie ein.
Labbadia strich Lasogga kurzfristig aus dem Kader
„Nach dem 0:1 ist die Mannschaft auseinandergefallen“, sagte Labbadia über die Phase nach dem Elfmetertor des überragenden Emil Forsberg, das Torhüter René Adler mit einem Foul am ebenfalls überragenden Timo Werner verursacht hatte (66.). Werner (72./77.) und Davie Selke (90.+2) machten die Blamage innerhalb von Minuten perfekt. Das 0:4 war die höchste Heimniederlage des HSV, seit Labbadia im April 2015 in den Volkspark zurückkehrte.
Bilder vom 0:4 gegen Leipzig:
HSV geht mit 0:4 gegen RB Leipzig unter
Forderte Labbadia Korrektur von Kühne?
Der Trainer weiß, dass ihm nur noch kurzfristige Ergebnisse helfen. Gegen Leipzig hatte er es mit Umstellungen versucht. Pierre-Michel Lasogga strich er überraschend aus dem Kader. Douglas Santos verdrängte Matthias Ostrzolek aus der Startelf. Besserung brachten die Maßnahmen nicht. Nun steigt der Druck. „Wir haben keine Zeit“, sagte Labbadia. Dass die Geduld bei den Entscheidern im Hintergrund nicht mehr groß ist, hatte Kühne zuletzt verdeutlicht.
„Abwarten, ob der Trainer das Team in Form bringen kann“, sagte er. Und weiter: „Der HSV wird wohl irgendwo zwischen Platz sechs und acht landen.“ Zwei Sätze, die hinter den Kulissen für Aufregung gesorgt hatten. Labbadia soll nach Abendblatt-Informationen entgegen seiner eigenen Aussage („Das war abgesprochen“) intern sogar gefordert haben, dass Kühne die Aussagen öffentlich relativiert.
Berater rufen Kühne wegen Trainern an
Es ist vor allem die Konstellation im Hintergrund, die für Spannungen sorgt. Seit Kühne sich vom Spielervermittler Volker Struth beraten lässt, werden finale Entscheidungen über Transfers hauptsächlich in der Schweiz (Kühne) und Köln (Struth) getroffen. Und irgendwo dazwischen (in Hamburg) steht Sport- und Clubchef Beiersdorfer, der diese Transferpolitik verantworten muss. Am Sonntag stellte sich der Multifunktionär und nahm die Mannschaft in die Pflicht. Der Trainerdiskussion wich er geschickt aus.
Dass Kühne auch in der Trainerfrage mitredet, ist bekannt. Mittlerweile sollen Berater schon persönlich bei ihm anrufen, um einen Kandidaten ins Spiel zu bringen. Vorerst liegt es aber an Labbadia selbst, sich aus der Lage zu befreien. „Entscheidend ist, dass ich das Vertrauen in mich und die Mannschaft habe“, sagte Labbadia am Sonntag. Mit dem Nachsatz: „Das Spiel in Freiburg ist jetzt überlebenswichtig.“ Keiner dürfte das besser wissen als er selbst.