Hamburg. Nach Veröffentlichung der genauen Bilanz 2014/15 gibt der rekordverdächtige Personalaufwand Anlass zur Sorge. Eine Hoffnung bleibt.
Die Zeiten, in denen sich die Überbringer von schlechten Nachrichten ernsthaft um das eigene Wohlbefinden sorgen mussten, sind hierzulande längst vorbei. Doch der Zeitpunkt für eine unbefriedigende Neuigkeit sollte auch in der Neuzeit genaustens überdacht werden. Und der Zeitpunkt für die offizielle Verkündung der Bilanzzahlen der HSV AG für das Geschäftsjahr 2014/15, das muss man den Verantwortlichen lassen, war am Montagvormittag perfekt gewählt. Gerade als die 3:2-Sieger des Vorabends ihre Runden um den Trainingsplatz drehten, Matchwinner Artjoms Rudnevs mit Gideon Jung witzelte und die HSV-Welt so heil und unkaputtbar wie schon lange nicht mehr wirkte, platzierten die Clubverantwortlichen die detaillierten Finanzberichte etwas weiter unten auf der HSV-Homepage.
„Ich gucke zwar nicht auf jede einzelne Zahl, aber selbstverständlich interessiert mich die Bilanz auch“, sagte wenig später Trainer Bruno Labbadia, als er bereits Auskunft über Rudnevs („tolle Form“), Spahic („tolle Leistung“) und Jung („tolles Spiel“) gegeben hatte. Von den nicht ganz so tollen Finanzzahlen hatte Labbadia aber natürlich auch gehört. „Wir müssen das zusammen meistern“, sagte der Coach. „Die Situation ist nun mal wie sie ist. “
Dass diese Situation extrem angespannt ist, war schon länger bekannt – genauso wie der Konzernjahresfehlbetrag von 16,9 Millionen Euro und die Höhe der Gesamtverbindlichkeiten (Anleihen, Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten, verbundenen Unternehmen, aus Lieferungen und Leistungen und sonstige) von gut 89 Millionen Euro. Finanzvorstand Frank Wettstand hatte den HSV unlängst als „Sanierungsfall“ bezeichnet – und darf sich in dem 20 Seiten langen Konzernlagebericht und dem 21 Seiten langen Konzernabschluss bestätigt fühlen.
Noch nie war der HSV teurer
Besonders der rekordverdächtige Personalaufwand (Kader, Funktionsteam, Geschäftsstelle, Leistungszentrum, Nachwuchsspieler und Vorstandsgehälter) von insgesamt knapp 70 Millionen Euro gibt Anlass zur Sorge. Noch nie war der HSV teurer. Dabei war man bislang stets davon ausgegangen, dass HSV-Chef Dietmar Beiersdorfer in seinem ersten Jahr als Vorstandsvorsitzender die Kaderkosten auf „nur“ 53 Millionen Euro erhöht hatte.
Zudem verzichteten die Verantwortlichen – anders als in den meisten Bundesligaclubs und früher auch beim HSV üblich – diesmal auf eine gesonderte Auflistung der Vorstandsgehälter. Die Vorschriften des Handelgesetzbuch (HGB) würden keine Angabepflicht vorsehen, hieß es dazu auf Nachfrage.
Kommentar: Gutes Geld im Misserfolg
Es ist nicht die einzige offene Frage, die sich aus der Lektüre der detaillierten Clubfinanzen ergibt. So wird unter dem Punkt „Geschäftsverlauf und Rahmenbedingungen“ folgende Erklärung für die deutlich verfehlte Zielsetzung von einem Verlust vor Steuern zwischen drei und fünf Millionen Euro für das Geschäftsjahr 2014/15 geliefert: „Die Annahme in der Vermarktung, im Wesentlichen im Zusammenhang mit dem Stadionnamen, sind nicht eingetreten.“
Keine weiteren Angaben zum Königstransfer
Zur Erinnerung: Milliardär Klaus-Michael Kühne hatte die Namensrechte im Januar 2015 für 16 Millionen Euro für vier Jahre erworben. Welche nicht eingetretenen Annahmen also gemeint sind, bleibt unklar – genauso wie Zweck und Herkunft eines Darlehens von 4,5 Millionen Euro zur Transferfinanzierung im vergangenen Sommer. Eine mögliche Erklärung: Da der HSV zum Zeitpunkt kaum noch liquide Mittel hatte, brauchte der Club das Darlehen, um Königstransfer Albin Ekdal, der 4,5 Millionen Euro gekostet hat, zu finanzieren. Der HSV wollte hierzu keine weitere Angaben machen.
Explizit aufgelistet wurden dagegen die im vergangenen Geschäftsjahr gezahlten Abfindungen, die sich ähnlich wie Personal- und Vorstandskosten auf Rekordniveau befanden. So hat der HSV im ersten Jahr nach der Ausgliederung in eine AG beeindruckende 3,3 Millionen Euro für Abfindungen gezahlt. Allein der chronisch erfolglose Ex-Trainer Mirko Slomka soll für seine Vertragsauflösung 1,8 Millionen Euro erhalten haben.
„Die permanenten Investitionen in den Kader sowie die Belastungen aufgrund von vorzeitig beendeten Anstellungsverträgen mit Trainern und Sportdirektoren führen zu erhöhten Aufwendungen, denen rückläufige Erträge gegenüberstehen“, heißt es dazu im Konzernlagebericht.
HSV schlägt Gladbach mit viel Offensivpower
Tabellenstand macht Hoffnung
Immerhin: Die Lage scheint nicht hoffnungslos. Den zwölften Tabellenplatz, von dem die HSV AG im Prognosebericht für die laufende Saison ausgeht, hat das Team nach dem 3:2 gegen Gladbach sogar um einen Tabellenplatz überboten. Trotzdem gehen die Verantwortlichen in der laufenden Saison wieder von einem Jahresfehlbetrag in Millionenhöhe aus, der aber niedriger als das Rekordminus des vergangenen Geschäftsjahrs ausfallen soll.
Aber: Das Minus hänge besonders vom Verlauf der Transfergeschäfte im Winter 15/16 und im kommenden Sommer ab, heißt es. Da der HSV im Winter aber anders als erhofft kein relevantes Transferplus erwirtschaften konnte, muss der Club dies nun im Sommer nachholen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der HSV bereits 14,75 Prozent der AG-Anteile verkauft hat.
Trotz der besorgniserregenden Bilanz sehen die HSV-Verantwortlichen jedoch keinen Grund zur Panik. „Für den Vorstand sind zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Berichts keine bestandsgefährdeten Risiken (...) absehbar“, heißt es unter dem Punkt „Gesamtausgabe zur Risikosituation“.
Das wichtigste Kriterium bei der Einreichung der Lizenzunterlagen, die im kommenden Monat an die Deutsche Fußball Liga (DFL) geschickt werden müssen, sei ohnehin die Liquidität, über die viel und gerne diskutiert wird. Auch im Sommer 2010, als sich der damalige HSV-Chef Bernd Hoffmann unangenehme Fragen zur Liquidität gefallen lassen musste. Der HSV habe 44 Millionen Euro auf dem Festgeldkonto, verkündete der vor fünf Jahren entlassene Hoffmann damals. Und die liquiden Mittel zum Bilanzstichtag 30. Juni 2015? 1,006 Millionen Euro.