Hamburg. HSV gewinnt ein erstaunliches und unterhaltsames Fußballspiel gegen Gladbach. Erneut war der längst aussortierte Lette der Matchwinner.
Es bedurfte schon der gemeinsamen Überredungskünste von Lewis Holtby und HSV-Maskottchen Dino Herrmann, ehe der Mann des Tages am Sonntagabend den lautstarken Forderungen des Publikums nachgab. „Rud-ne-evs! Rud-ne-evs!“, hatte es minutenlang nach dem spektakulären 3:2 gegen Borussia Mönchengladbach durch den Volkspark gehallt, bevor Artjoms Rudnevs über den Fanzaun in die Nordkurve zu den Treuesten der Treuen kletterte. „Manchmal braucht Rudi einen Schubser von einem Psychopaten wie mir, damit er auch mal zu den Fans geht und sich seine Lorbeeren abholt“, gab Holtby später zu Protokoll. Knapp drei Monate hatten die HSV-Anhänger keinen Heimsieg mehr erlebt, sechs Bundesligaspiele in Folge warteten sie vergeblich auf einen Erfolg. Es gab also genügend Gründe für eine rauschende Party, doch der Hauptgrund hatte nur einen Namen: R-u-d-n-e-v-s!
„Die Rufe nach dem Spiel werden ihm gutgetan haben. Ich fand Rudi richtig gut“, lobte Trainer Bruno Labbadia, der nach dem unerwarteten 3:2-Spektakel auch jede Menge Gründe für ein dickes Eigenlob gehabt hätte. Denn unabhängig von den Rudnevs-Festspielen waren auch alle anderen Gedankenspiele, die sich Labbadia vor und während des Spiels überlegt hatte, in den 90 Minuten gegen Gladbach aufgegangen. Gideon Jung durfte für den formschwachen Gojko Kacar von Anfang an spielen, was sich spätestens nach einer 20-minütigen Druckphase der Gladbacher als Schlüsselentscheidung herausstellen sollte. Genauso wie die Einwechslungen von Dennis Diekmeier, der den Eckball vor dem Treffer zum 3:1 herausholte, und Ivo Ilicevic, der diese Ecke zum vorentscheidenden Tor vollendete (siehe Text unten). Und natürlich die Entscheidung des Tages: Rudnevs statt Pierre-Michel Lasogga.
Einzelkritik: Jung spielte einfach gut
„Rudi hat ein sensationelles Spiel gemacht“, lobte auch Torhüter René Adler den Matchwinner, der längst aussortiert war, um direkt danach auf die Euphoriebremse zu treten: „Man muss den Hut davor ziehen, wie Rudi zurückgekommen ist. Wir sollten aber nicht nur über ihn jubeln. Nächste Woche feiern wir vielleicht wieder den Pierre.“
Adlers „aber“ hatte durchaus seine Berechtigung. Allen Rudnevs-Lobhudeleien zum Trotz war das 3:2 in erster Linie ein in dieser Form nicht für möglich gehaltener Mannschaftserfolg. Der HSV, der zuletzt im November gegen Borussia Dortmund ein Heimspiel gewinnen konnte (3:1), hatte sich in der ersten Halbzeit ein Chancenverhältnis von 7:1 herausgespielt, am Ende zählten die Statistiker 17:10 Torschüsse. „Wir sind eine Truppe der Extreme“, so Adler. „Das ist einfach der HSV.“
Holtby sorgt für spektakuläre Szene
Als Beweis für die These durfte bereits der erste Treffer des Tages herangezogen werden. So stand Josip Drmic zunächst ganz alleine vor Gladbachs Torhüter Yann Sommer. Und tatsächlich landete der Ball Sekunden später im Tor – allerdings auf der Gegenseite. Nach Drmics Fehlschuss brauchten die zunächst bärenstarken und später unerklärlich schwachen Gladbacher vier schnelle Pässe und einen misslungenen Abwehrversuch Clébers, um den Platz zu überbrücken. Johnson war es schließlich, der den Turbokonter mit dem Tor zum 0:1 krönte (14.).
HSV schlägt Gladbach mit viel Offensivpower
Verrückter geht’s nicht? Und ob! Gerade mal vier Minuten später war es Holtby, der für eine der vielen Szenen des Tages sorge. Nach einem Gladbacher Ballverlust stand er mit Hunt ganz alleine vor dem Tor. Doch statt einfach auf dieses zu schießen, spielte Holtby lieber in Hunts Rücken. „Erst wollte ich schießen, dann sehe ich Aaron, dann war es zu spät“, so Holtby.
Das 1:1 fiel trotzdem – nach einem Billardtor durch den Gladbacher Hinteregger. Doch der wirkliche Höhepunkt des Hamburger Spektakelfußballs sollte erst noch folgen: nach einem langen Abschlag Adlers entschied sich Rudnevs, einfach mal abzuziehen. Und während die Gladbacher noch darüber rätselten, ob Müller noch mit den Haarspitzen verlängert und Rudnevs im Abseits gelauert hatte, stand es nach 40 Minuten plötzlich 2:1.
Der Rest des Spiels ist schnell erzählt. Zehn Minuten vor dem Schluss wurde zunächst Rudnevs mit Ovationen verabschiedet, ehe Ilicevic Sekunden später für die Entscheidung sorgte. Raffael machte es mit dem 3:2 zwar noch einmal spannend (88.), doch an diesem Sonntag konnte der HSV nicht als Verlierer vom Platz gehen. Und der Gewinner des Tages? Wollte zu all dem nichts sagen. Rudnevs flüchtete wortlos in die Kabine und soll dort einen vielsagenden Facebook-Eintrag produziert haben: „HSV 4 Ever!“ HSV für immer. Nach dem längst beschlossenen Abgang im Sommer wäre das ein wirkliches Spektakel. Das Problem: Rudnevs hat gar kein offizielles Facebook-Profil, der Eintrag war eine Fälschung – und damit das letzte Spektakel des Abends.