Hamburg. In seinem letzten Spiel als Profi rettete der HSV-Coach den Badenern den Klassenerhalt in Liga 2. Raten Sie mal, wer Gegenspieler war.
Um 16.32 Uhr am Pfingstmontag war es der Chef höchstpersönlich, der das Zeichen zur Abfahrt gab. HSV-Trainer Bruno Labbadia setzte sich ganz vorne in den Mannschaftsbus und bat Fahrer Mirko Zadach zum Aufbruch. Immerhin 13 Fans und ein Kamerateam schauten dem Bus nach, als er langsam vom Stadiongelände in Richtung Sylvesterallee rollte. Das Ziel: Klassenerhalt. Der nächste Zwischenstopp: Malente. Mal wieder.
Dass Labbadia seine Mannschaft überhaupt auf die Relegation gegen den Karlsruher SC vorbereiten darf, war dem Trainer direkt nach dem 2:0 gegen Schalke noch gar nicht klar. „Ich hatte bewusst auf die Zwischenstände aus den anderen Stadien verzichtet“, sagte Labbadia, der nach dem Schlusspfiff zunächst von Zeugwart Mario Mosa über die Spielstände in Paderborn (gegen Stuttgart) und Hannover (gegen Freiburg) informiert wurde. Als dann bekannt wurde, dass die Partie zwischen 96 und Freiburg beim Stand von 2:1 noch nicht beendet war, ging das Zittern los. „Natürlich war ich extrem angespannt“, erzählte Labbadia, der sich in eine Gruppe von Sky-Mitarbeitern auf den Rasen gestellt hatte, die gebannt auf einen mobilen Fernseher schaute. „Die Livebilder konnte ich mir aber nicht anschauen“, sagte der 49 Jahre alte Fußballlehrer am Morgen danach. Als Sky-Moderator Patrick Wasserzieher dann „Schluss“ rief, konnte Labbadia erstmals an diesem Tag aufatmen. „Dieses Gefühl war unbeschreiblich.“
Kaum zu beschreiben ist auch, wie es Labbadia in nur gut fünf Wochen geschafft hat, seine am Boden liegende Mannschaft wieder aufzurichten. „Bevor Bruno kam, waren wir so gut wie tot“, gab Torhüter René Adler zu. Und auch Labbadia selbst gestand ein, kurzzeitig Zweifel an seiner Rettermission gehabt zu haben: „Nach der Niederlage in Bremen habe ich gedacht, dass es das bei zwei weiteren Pleiten für uns schon gewesen sein könnte.“
Was dann folgte, ist bekannt: ein 3:2-Sieg des Willens gegen Augsburg, ein intensives 2:1 in Mainz und ein Last-minute-Punktgewinn gegen Freiburg. Der Rückschlag beim 1:2 in Stuttgart konnte Labbadia vor dem Saisonfinale gegen Schalke nicht mehr aus der Bahn werfen. „Vor meinem ersten Training hatte ich mir zehn Punkte aus sechs Spielen vorgenommen. Dieses Ziel wollte ich unbedingt gegen Schalke schaffen“, sagte Labbadia – und hielt Wort. Dabei stellt sich schon vor den Relegationsspielen die Frage, was dieser Labbadia anders gemacht hat als seine drei Vorgänger Mirko Slomka, Joe Zinnbauer und Peter Knäbel. „Wir haben vom ersten Tag an an unserer Geschlossenheit gearbeitet“, sagte der Coach, der sich auch nicht vor unpopulären Maßnahmen scheute.
Kompromisslos im Fall Behrami
Den in der Mannschaft unbeliebten Valon Behrami etwa, der durch eine Reihe von Undiszipliniertheiten aufgefallen war, sortierte Labbadia früh aus. Auf lautstarke Kritik am Schweizer wartet man aber vergeblich. Labbadia stellt sich öffentlich vor seine Mannschaft, lobt lieber den zuvor aussortierten Vertreter Gojko Kacar. „Gojko hat gezeigt, was man noch alles schaffen kann, wenn man schon abgeschrieben ist. Er ist nie liegen geblieben, ist immer aufgestanden.“ Und: „Gojko steht stellvertretend für unseren Weg, den wir seit fünf Wochen bestreiten.“
Dass dieser Weg ein zweites Mal eine Abzweigung nach Malente vorsieht, hat Labbadia erst am Morgen nach dem Saisonfinale gegen Schalke entschieden. „Direkt nach dem Spiel haben wir im Trainerteam schon einmal über diese Möglichkeit gesprochen, aber erst nach einer Nacht hat sich mein Bauchgefühl entschieden. Das ist aber kein Aberglaube, Malente ist ein bisschen unsere Burg geworden“, sagte Labbadia, der seine Profis am Sonntag informierte: „Ich muss niemanden fragen. Aber mir ist wichtig, dass meine Spieler verstehen, warum ich was mache.“ Labbadias Glück: Teammanager Thomas Westphal hatte die Trainingsanlage des Uwe-Seeler-Fußballparks schon vor dem 2:0-Sieg gegen Schalke reserviert.
Die Vorbereitung auf Relegationsgegner Karlsruhe ging aber schon vor der Abfahrt los. Unmittelbar nach Karlsruhes 2:0 gegen 1860 München, das Labbadia gemeinsam mit HSV-Chef Dietmar Beiersdorfer und Sportchef Peter Knäbel im Trainingszelt im Volkspark verfolgte, besorgte sich der Coach alle Videosequenzen über Stärken und Schwächen des Zweitligadritten. Scout Sören Meyer, der Karlsruhes Sieg live im Stadion sah, versorgte Labbadia mit zusätzlichen Informationen. Auf einen Stadionbesuch hatte der Trainer bewusst verzichtet: „Ich bleibe in meinem HSV-Tunnel. Ich will mich voll auf mein Team konzentrieren.“
Labbadia hat eine KSC-Vergangenheit
Dabei spielt für Labbadia selbstverständlich auch die eigene Karlsruher Vergangenheit keine Rolle. Von 2001 bis 2003 war der Stürmer einst im Wildpark auf Torejagd gegangen, hatte in 60 Zweitligaspielen für den KSC immerhin 18 Tore erzielt. „Das war schon eine extrem intensive Zeit damals“, sagte Labbadia, der auf den Tag vor zwölf Jahren seine Profikarriere im Wildparkstadion mit einem 2:1-Sieg gegen Greuther Fürth beendete. Und wie es sich für einen Torjäger gehört, erzielte der Angreifer trotz eines hartnäckigen Abwehrspielers auch im letzten Spiel ein Tor. Der Name seines Gegenspielers: Heiko Westermann.
Eben dieser Westermann („er ist bis zum Umfallen gelaufen“) durfte sich nach dem Schalke-Sieg genauso wie Kacar („beispielhaft“) und Torschütze Olic („unglaublich wichtig“) über ein seltenes Sonderlob freuen. Doch fast schon automatisch ließ Labbadia das obligatorische Mannschaftslob folgen. „Das ganze Team hat ein Wahnsinnsspiel gemacht. Wichtig ist nun, dass wir unsere Geschlossenheit, an der wir in den vergangenen Wochen hart gearbeitet haben, nicht aufgeben.“
Anders als in der vergangenen Spielzeit, als der HSV die letzten fünf Saisonspiele vor der Relegation gegen Greuther Fürth verloren hatte, will Labbadia nun mit positivem Rückenwind in die Entscheidungsspiele gehen: „Anders als in der letzten Saison wurde uns diesmal nichts geschenkt. Wir haben uns diese Relegation erarbeitet.“
Der HSV-Trainer will keinen Zweifel daran lassen, dass er von einem Erfolg überzeugt ist. Dabei hatte er am Sonnabend betont, dass sein Lebensglück nicht von den Entscheidungen des letzten Spieltags abhinge. „Ich habe Peter Knäbel schon vor dem Spiel gesagt, dass ich meinen Wechsel zum HSV in keiner Sekunde bereut habe.“ Für den Fall einer Niederlage hatte er sogar schon zwei Testspiele in dieser Woche gegen Hessen Kassel und den TV Jahn Schneverdingen verabredet. „Nun haben wir eben zwei Relegationsspiele statt zwei Freundschaftsspiele.“
Mitarbeit: Alexander Berthold