Hamburg. Nach seinem Wutausbruch diskutiert ganz Hamburg über Heiko Westermann. Doch über wen ärgerte sich der HSV-Profi tatsächlich?

Einen viel schöneren Wochenstart hätte sich Heiko Westermann kaum vorstellen können. Trainingsfrei, blauer Himmel und frühlingshafte Temperaturen. „Endlich habe ich auch mal ein bisschen Zeit für die Familie“, sagte Westermann, der den Montagvormittag mit Kind und Kegel durch Hamburg bummeln ging.

Eitel Sonnenschein? Von wegen!

Auch zwei Tage nach dem Spiel gegen Borussia Dortmund diskutierte nicht nur ganz Hamburg noch immer über den Auftritt Westermanns. Nicht während, sondern nach der Partie. „Die ganzen Idioten, die ganzen Kritiker, die denken, sie haben den Fußball erfunden, die können mich mal“, hatte der sonst eher zurückhaltende Fußballprofi nach dem 0:0 in die Mikrofone geschimpft. Und weiter: „Ich habe hier immer meinen Arsch auf dem Platz hingehalten. Aber ich lasse mir meinen Namen nicht kaputt machen.“

Was erlauben Westermann?

Immerhin, nach zwei mal darüber schlafen hatte sich der 31 Jahre alte Abwehrallrounder am Montag wieder gefangen. „Die öffentliche Darstellung meiner Person war in den vergangen Jahren eine Katastrophe. Ich musste einfach mal Dampf ablassen, aber damit ist es auch gut“, sagte Westermann. Dabei widersprach er der These, dass ihn vor allem das Interview mit NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin in der vergangenen Woche mit dem Abendblatt („An Zinnbauers Stelle würde ich auf Experimente verzichten – und auf Westermann“) auf die Palme gebracht hätte: „Mit dem Interview hatte das gar nicht so viel zu tun. Ich musste mal aus mir raus – aber es muss sich niemand Gedanken machen.“ Und auch Duin nahm es sportlich, sagte dem Abendblatt: „Ich finde es beeindruckend, welche Reaktion Westermann auf dem Platz gezeigt hat.“

Damit könnte man die ganze Diskussion also beenden. Oder auch nicht. Denn wenn es nicht Duins Interview war, das Westermann derart aufrüttelte, dann bleibt die Frage, warum der gebürtige Franke überhaupt zum verbalen Rundumschlag ausholte. Und wen genau er eigentlich meinte.


Theorie 1:
Westermann ärgert sich über die fehlende Wertschätzung der eigenen Fans. Denn eigentlich erfüllt der frühere Nationalspieler alle Kriterien, die ihn zum Publikumsliebling machen müssten: Einsatz, Kampf und Vereinstreue kann man Westermann jedenfalls nicht absprechen. So gibt es im aktuellen Kader keinen einzigen, der öfter für den HSV auf dem Platz stand als er. Und auch in den vergangenen zehn Jahren gab es lediglich drei Fußballer, die mehr Spiele für den HSV als Westermann (149) absolvierten: David Jarolim (257), Piotr Trochowski (180) und Sergej Barbarez (174). „Ich kann mir nicht so richtig erklären, warum ausgerechnet Westermann im Fanlager so polarisiert“, sagt Supporterschef Tim-Oliver Horn. „Westermann ist doch ein grundsolider Kerl, der sich immer reinhaut und alles gibt. Er macht vieles richtig, aber hat auch leider ab und zu einen Bock dabei. Für einige ist das wahrscheinlich schon zu viel.“

Bei einer Umfrage der „Bild“ sprachen sich 87 Prozent dagegen aus, Westermanns auslaufenden Vertrag zu verlängern. Eine Erklärung, warum die Ablehnung im eigenen Lager so groß ist, hat Horn nicht: „Die Diskussion um Westermann gibt es so lange wie er beim HSV spielt. Aber einen eigenen Spieler auspfeifen geht gar nicht.“

Theorie 2: Westermann ärgert sich über die fehlende Wertschätzung der Medien. Das zumindest glaubt HSV-Trainer Joe Zinnbauer, der seit Jahren mit Westermann befreundet ist. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Heiko uns mit seiner Kritik meinte“, sagt Zinnbauer, „wir hatten ja nie ein Problem mit ihm. Das waren doch eher die Medien. Die haben doch in den vergangenen Wochen immer wieder kritisch über Heiko berichtet.“ Die Medien also. War ja klar. Nur stimmt das denn auch?

Natürlich nicht. So gab es in den vergangenen Wochen keinen Bericht, der sich kritisch mit Westermanns Rolle auseinandersetzte. Im Gegenteil. Gerade weil Westermann einer der wenigen HSV-Profis ist, der sich auch nach schlimmen Niederlagen oder persönlichen Fehlern den Fragen der Journalisten stellt, ist der Innenverteidiger bei vielen Medienvertretern äußerst beliebt. Dass aber Zeitungen und TV-Sender darüber berichten, dass die Vertragsverlängerung Westermanns fraglich ist und er zuletzt nur auf der Bank Platz nehmen durfte, mag daran liegen, dass Westermanns Vertragsverlängerung fraglich ist und er zuletzt nur auf der Bank Platz nehmen durfte. Das ist nicht kritisch, es ist die Wahrheit.


Theorie 3: Westermann ärgert sich über die fehlende Wertschätzung im eigenen Verein. Denn was Zinnbauer gerne überhörte, war Westermanns kaum zu überhörende Kritik an seiner derzeitigen Allrounder-Rolle. „In den vergangenen fünf Spielen musste ich auf sechs Positionen spielen“, sagte der vielseitig einsetzbare Defensivspezialist, der in Wahrheit nicht auf sechs, aber doch auf vier Positionen aushelfen musste: hinten links (gegen Dortmund), hinten rechts (gegen Hannover), im defensiven Mittelfeld (gegen Gladbach) und im Abwehrzentrum (gegen Bayern). Zudem ist es nur menschlich, dass HW4, wie Westermann in Anlehnung an Cristiano Ronaldo (CR7) genannt wird, enttäuscht ist, dass ausgerechnet seine Zukunft noch unsicher ist. Sportchef Peter Knäbel hat öffentlich gesagt, dass er erst in der Länderspielpause Ende März mit Westermann über dessen auslaufenden Vertrag sprechen wolle. Und intern machte Knäbel Westermann klar, dass er nur eine Zukunft in Hamburg im Falle einer drastischen Gehaltskürzung habe.

Zinnbauer sagt trotzdem, dass der Verein wie eine Festung hinter Westermann stehe. Und umgekehrt. Ob das stimmt, kann man möglicherweise schon am Sonnabend sehen. Dann spielt der HSV gegen Hoffenheim. Linksverteidiger Matthias Ostrzolek könnte nach seiner Sperre wieder dabei sein, auch der genesene Johan Djourou und Cléber hoffen auf ihren Einsatz. Genau wie Westermann.