Das 100. Nordderby am Sonnabend ist brisanter denn je: Neben der Ehre geht es sowohl für Bremen als auch für den HSV um den Klassenerhalt. Die Partie wurde als Hochsicherheitsspiel eingestuft. Pierre-Michel Lasogga ist wieder fit und wurde zur Nationalmannschaft eingeladen.
Hamburg/Bremen. Wenn es vor dem Nordderby noch eine Portion Extramotivation gebraucht hätte, dann dürfte Pierre-Michel Lasogga nun endgültig gesättigt sein: Bundestrainer Joachim Löw nominierte den HSV-Stürmer erstmals für das Länderspiel am Mittwoch gegen Chile. Auch Marcell Jansen steht im Kader, Heiko Westermann und René Adler wurden nicht berücksichtigt. „Es ist mit dem Bundestrainer abgesprochen, dass ich diesmal nicht dabei bin“, bestätigte Adler. Dafür entschied sich Löw mit den Neulingen André Hahn (Augsburg) und Shkodran Mustafi (Genua) für zwei weitere Akteure mit HSV-Vergangenheit.
Schon am Donnerstag hatte der DFB-Coach versucht, Lasogga die frohe Kunde zu überbringen, doch Löw landete nur auf der Mailbox. Da der Torjäger die Nummer nicht kannte, war er beim Abhören sehr überrascht, wer sich dort als Absender der Nachricht zu erkennen gab. „Ich freue mich riesig, das ist für jeden Fußballer ein Traum“, sagte Lasogga, der sich allerdings noch keine Gedanken über eine WM-Teilnahme gemacht hat. „Momentan denke ich nur an Sonnabend.“ Denn dann muss der HSV in Bremen antreten (15.30 Uhr/Liveticker auf abendblatt.de). Mit einem Sieg würde der Bundesliga-Dino die Abstiegsränge verlassen und am Nordrivalen vorbeiziehen. „Wir müssen das Maximum rausholen“, fordert Lasogga, der nach Oberschenkelproblemen und Rückenbeschwerden rechtzeitig wieder fit geworden ist. „Jeder Tag ohne Fußball ist für mich ein schlechter Tag.“ Kapitän Rafael van der Vaart wird vermutlich nur auf der Bank sitzen, da ihm die Spritzigkeit nach seiner Verletzung noch fehlt.
Fast 6000 HSV-Fans werden den Weg nach Bremen antreten, um ihr Team zu unterstützen. Die Partie wurde von der Polizei als Hochsicherheitsspiel eingestuft. Neben einer Hundertschaft Polizisten ist eine Reiterstaffel aus Niedersachsen angefordert, zusätzlich achten die Beamten schon im Bremer Hauptbahnhof verstärkt auf Pyrotechnik. Mit Shuttle-Bussen werden die Hamburger Anhänger zum Stadion befördert – ein Fanmarsch entlang der Weser ist aus Furcht vor Krawallen verboten worden. Alle Zuschauer können sich auf eine der aufwendigsten Choreografien gefasst machen, die es je im Weserstadion gegeben hat. Seit Dezember haben die Werder-Fans an dem Ablauf gearbeitet, 45.000 Euro sollen dabei eingesetzt worden sein.
Das Hauptaugenmerk dürfte dennoch den 22 Profis auf dem Platz gelten. Das Abendblatt stellt die Protagonisten einmal genauer vor – nicht nur von der sportlichen Seite.
Die Torhüter:
René Adler (HSV): In der Jugend beim VfB Leipzig wurde Adler gezwungen, ins Tor zu gehen, damit er kapierte, dass er dort besonderes Talent hat. Der Keeper fuhr lange wie James Bond einen Aston Martin und trägt ein Tattoo des Geburtsdatums seines Bruders Rico am Handgelenk.
Raphael Wolf (Bremen): Der Torwart hat nicht immer für Werder, sondern auch schon gegen Werder gespielt – für den HSV. Als B- und A-Junior sowie als Torwart der zweiten Mannschaft war er mehrfach zu Gast an der Weser. „Werder ist für mich die Nummer eins im Norden“, sagt Wolf.
Die Abwehr:
Dennis Diekmeier (HSV): Der Rechtsverteidiger hat ein Faible für Tattoos mit familiärem Bezug. 2009 erlitt er einen Rasenschimmelallergie-Schock, weshalb sogar ein Notarzt per Hubschrauber eingeflogen wurde. Als Ausgleich zum Fußball spielt der frühere Bremer regelmäßig Tennis.
Slobodan Rajkovic (HSV): Auf dem Platz ist der Innenverteidiger eher als Raubein bekannt. Hielte seine Bilanz aus dem Dortmund-Spiel für den Rest der Saison, wäre er der beste Zweikämpfer des HSV. Privat gilt der Serbe jedoch als handzahm und extrem höflich und zuvorkommend.
Johan Djourou (HSV): Der Verteidiger ist das Ergebnis einer Affäre seines Vaters in Afrika, der eigentlich mit einer Schweizerin verheiratet ist, die Djourou dann in der Schweiz aufzog. Bis zum 13. Lebensjahr war Djourou Stürmer. Er hat die beste Passquote aller HSV-Profis.
Marcell Jansen (HSV): Der Nationalspieler engagiert sich stark im sozialen Bereich, ist zudem ein Poker-Ass. Bereits vor acht Jahren hat er seine eigene Firma gegründet, die ihn vermarktet und mit der er sich „kreativ austoben“ kann. Das HSV-Urgestein ist seit 2008 durchgehend im Club.
Clemens Fritz (Bremen): Seit dem 7. Dezember hat der Kapitän in keinem Bundesligaspiel mitgemacht. Wenn er Sonnabend rechts verteidigt, wird es sein 249. Erstligaauftritt sein. Kein Bremer kommt auf mehr Einsätze als der 33-Jährige, der der älteste Spieler auf dem Platz sein wird.
Sebastian Prödl (Bremen): Unter der Woche gratulierte er seinen Landsleuten von Red Bull Salzburg noch via Facebook zum Europa-League-Sieg über Ajax: „Chapeau!“, schrieb er. „Chapeau!“ würde der Abwehrchef auch gern am Sonnabend um 17.20 Uhr sagen – zu den Kollegen nach einem Sieg.
Assani Lukimya (Bremen): Der Innenverteidiger ist der „Mario Kart“-König bei Werder. Auf dem Nintendo DS lässt er kaum einen Gegner vorbei, auf dem Platz zuletzt schon. Am Sonnabend bekommt der Kongolese eine neue Chance – und will Gas geben wie Mario in seinem Kart.
Santiago Garcia (Bremen): Der Argentinier führt Werders Sündenkartei an: sieben Gelbe Karten und eine Gelb-Rote in nur 14 Spielen. Der 25-Jährige ist ein harter Bursche und könnte auf Tomas Rincon treffen, der im Hinspiel trotz Kieferbruchs am liebsten weitergespielt hätte.
Das Mittelfeld:
Tomas Rincon (HSV): Der Venezolaner ist in seiner Heimat eine Art Volksheld, seitdem er bei der Copa America 2011 Argentiniens Superstar Lionel Messi ausschaltete und trotz zweier Platzverweise zum besten Turnierspieler gewählt wurde. Bei Twitter hat er fast eine halbe Million Follower.
Milan Badelj (HSV): Der Kroate bekam in seiner Heimat den Spitznamen „Diamant von Zagreb“ verpasst. In Hamburg liebt er neben dem HSV vor allem Weihnachtsmärkte. Der Mittelfeldspieler bestreitet mit Abstand die meisten Zweikämpfe beim HSV (15 pro Spiel).
Tolgay Arslan (HSV): Aufgrund seines schiefen Beckens muss sich der Techniker regelmäßig vom Physio einrenken lassen. Er ist mit gemessenen 34,97 km/h der schnellste Feldspieler des HSV in dieser Saison. Kein Bundesligaprofi hat mehr Gelbe Karten (neun) gesehen als Arslan.
Petr Jiracek (HSV): Der Tscheche wohnt in der ehemaligen Wohnung seines Landsmanns David Jarolim. Von seinen Mitspielern wird er aufgrund seiner Frisur liebevoll „Jesus“ genannt. Beim HSV sind Torwart Jaroslav Drobny und Jiracek unzertrennlich. Sie gehen gerne angeln.
Zlatko Junuzovic (Bremen): Mit Derbys kennt er sich aus. Der Mittelfeldmann hat mit dem Grazer AK regelmäßig gegen Sturm Graz gespielt und mit Austria Wien gegen Rapid. Glänzte bisher mit vier Torvorlagen. Über Werder gegen den HSV sagt er: „Da geht nix drüber.“
Philipp Bargfrede (Bremen): Wenn einer weiß, was den Reiz des Nordderbys ausmacht, dann er. Bargfrede ist in Heeslingen aufgewachsen, mitten im Grenzgebiet zwischen grün-weißem Werder- und schwarz-weiß-blauem HSV-Land. Der Mittelfeldmann hat sich früh für Werder entschieden.
Cédric Makiadi (Bremen): Dutts Lieblingsspieler ist schon weit rumgekommen im Norden. Aufgewachsen in Lübeck, danach Profi in Wolfsburg, inzwischen bei Werder unter Vertrag. Aber ausgerechnet dort läuft es noch nicht rund: Der Kongolese ist weiter auf der Suche nach seiner Topform.
Ludovic Obraniak (Bremen): Der neu gekommene Franzose ist Werders Antwort auf HSV-Freistoßschütze Hakan Çalhanoglu. Trifft zwar nicht aus 40 Metern, dafür aber umso schöner von der Strafraumgrenze. Gegen den HSV will der Kunstschütze und Kunstliebhaber nachlegen.
Der Angriff:
Hakan Calhanoglu (HSV): Der gebürtige Mannheimer ist der DJ im Team. In der Kabine ist er für die Musik zuständig, besitzt auch ein Mischpult. Der 20-Jährige übt nach fast jedem Training Freistöße und versucht dabei die Technik und den Anlauf des Brasilianers Juninho zu kopieren.
Pierre-Michel Lasogga (HSV): Der Stiefsohn des früheren Schalke-Keepers Olli Reck gab trotz seiner erst 16 Ligaspiele die mit Abstand meisten Torschüsse (54) aller HSV-Spieler ab. Erstaunlicherweise ist Lasogga trotz seiner Statur nach Beister schwächster Zweikämpfer seines Teams.
Aaron Hunt (Bremen): Keiner aus dem Werder-Kader hat mehr Nordderby-Erfahrung. Elfmal hat Hunt bereits gegen den HSV gespielt, dabei ein Tor erzielt und drei Treffer vorbereitet. Sein zwölftes Nordderby könnte allerdings das letzte sein – Hunt überlegt, den Verein im Sommer zu verlassen.
Nils Petersen (Bremen): Vor drei Jahren, als Petersen Zweitliga-Torschützenkönig für Energie Cottbus wurde, war auch der HSV erstmals an ihm interessiert. Petersen entschied sich aber für die Bayern, bevor er zu Werder kam. Der Torjäger traf beim 2:0-Sieg im Hinspiel doppelt.