Ganz Hamburg ist blau-weiß-schwarz? Nun ja, das wohl ohnehin nicht. Aber dass sich ausgerechnet in den Abendblatt-Redaktionen derart hartnäckig grün-weißes Gedankengut hält, dürfte überraschen. Lesen Sie hier einige Erinnerungen aus 99 Mal HSV gegen Werder Bremen.
Hamburg. Hamburger SV gegen Bremen, SV Werder gegen den HSV. Wie man es dreht und wendet, dieses Duell hat Klang, dieses Spiel birgt Brisanz. Und nicht nur den absoluten Fußballfans in Küstennähe dürfte bei Erwähnung des Nordderbys so manche Anekdote in den Sinn kommen.
Nicht anders ist es in den Redaktionen des Hamburger Abendblatts, deren Mitarbeiter sich angesichts der 100. Auflage des Bundesliga-Klassikers noch einmal ganz persönlich zurückerinnern.
Und, liebe Leser, um dem Eindruck einer möglichen grün-weißen Unterwanderung vorzubeugen, finden sich in der völlig willkürlichen Auflistung auch tatsächlich einige wenige Beiträge aus HSV-Sicht darunter. Viel Vergnügen und schönes Erinnern!
Den Papierkugel-Button stets zur Hand
Viele beglückende Erlebnisse begleiten das Nordderby: Werders 6:0 im Weserstadion im Bremer Meisterjahr 2004, auch das 4:0 der Gäste gegen den HSV am Volkspark drei Jahre zuvor. Wohlige Erinnerungen weckt auch das Jahr 2009 mit grünweißen Siegen in Serie – Papierkugel inklusive. Ein riesengroßes Exemplar wanderte später von Hand zu Hand durchs Bremer Stadion; eines liegt heute dort im „Wuseum“. Buttons mit der Aufschrift „I love Papierkugeln“ warten in meinem Redaktionsschreibtisch, allzeit bereit. Als kleine Geschenke speziell für jene, die sich gar nicht so gerne daran erinnern. Ich schon. (Jens Meyer-Odewald, Chefreporter)
Hinterlistige Aufkleber-Attacke
Unvergessen ist der HSV-Zug am 1. Dezember 2007 vom Hauptbahnhof zum Weserstadion. 1500 Hamburger Anhänger hatten sich um 13.12 Uhr verabredet. Wie es zu dieser krummen Uhrzeit kam, erschloss sich mir erst auf den zweiten Blick. 1-3-1-2: Ein dezenter Hinweis auf den ersten, dritten, ersten und zweiten Buchstaben des Alphabets (A-C-A-B). Hieß übersetzt: All cops are bastards („alle Polizisten sind Bastarde“).
+++ Welches Nordderby war das denkwürdigste? Stimmen Sie ab! +++
Begleitet von der fleißig mit der Videokamera filmenden Polizei zog die HSV-Gemeinde singend („Eins kann uns keiner nehmen, und das ist der pure Hass auf Bremen“) durch die Innenstadt. Das Markieren der Straßenzüge mit HSV- oder Anti-Bremen-Aufklebern war eine beliebte Betätigung während der Dreiviertelstunde. Weil sich das vielfach konsumierte Bier bemerkbar machte, war kaum eine Gartenhecke von den Fans sicher. Immerhin, es blieb vor dem Spiel weitgehend friedlich, nur einmal bewarfen Bremer Fans aus einer Seitenstraße die Hamburger. Auf Bremer Seite fiel der damals verletzte Stürmer Hugo Almeida in die Hände der HSV-Fans. Weil er im Stau stand, bekam das Heck seines Autos mehrere Aufkleber verpasst. (Alexander Laux, stv. Ressortleiter Sport)
Ein lupfender kleiner Engel
Nordderby, das ist eine Tsunami von vielen schrecklichen und wenigen schönen Bildern. Der lachende „Pizza“ Pizzaro nach seinem gefühlt 100. Tor im Hamburger Volkspark. Die Schockstarre auf der Tribüne, dazwischen das laute „Was machst du da?!“, als Gravegaard den Ball von der Papierkugel zur Ecke prallen lässt - und die Fischköppe uns aus dem Pokal-Halbfinale köpfen. Aber auch Rafael van der Vaart als noch „kleiner Engel“, der den Ball frech über Tim Wiese ins Werder-Tor lupft. Hamburg ist die größere Stadt, und auf dem Fußballplatz doch kleiner als Bremen. Aber wie alle, den schreiendes Unrecht geschah, werden wir uns rächen, irgendwann. Vielleicht schon am Sonnabend. (Christoph Heinemann, Online-Redaktion)
Ailton ist einfach grün-weiß
Als Werderaner freue ich mich stets auf das Nordderby – die wichtigen gewinnt der ruhmreiche SVW ja immer. Die schönen Erinnerungen sind zahlreich. Einmal schaute ich das Spiel auf dem Bremer Marktplatz, im Herzen der einzig wahren schönsten Stadt der Welt. 2006 war's, es ging nur um Platz 2, Werder gewann 2:1, weil Ailton im HSV-Trikot nicht treffen wollte. Wir feierten beim Public Viewing, als wäre es die Meisterschaft. Lebenslang grünweiß! (Thomas Andre, Kulturredaktion)
Eiskaltes Siegerbier
Es war der Abschluss eines fürchterlichen Jahres. Am 20. Dezember 2009 spielten wir zuhause gegen die Fischköppe, die uns einige Monate zuvor zweimal hintereinander gedemütigt und aller Titelträume entrissen hatten. Seitdem hatte es jeden Tag in die Gemüter der HSV-Fans geregnet, gehagelt und geschneit – und so war auch das Wetter bei diesem letzten Spiel vor der Winterpause. Auf dem schneebedeckten Rasen im Volksparkstadion traf Mathijsen früh zum 1:0. Dann sah Boateng Rot und kurz danach vollstreckte Jansen nach einer grandiosen Vorarbeit von Eljero Elia völlig überraschend zum 2:0. Der Rest war Zittern vor Kälte und Angst. Werder traf gefühlt zehnmal die Latte, aber erst in der Nachspielzeit zum 2:1. Die Zeit der Demütigungen war vorbei. Endlich schien wieder Sonne auf mein HSV-Gemüt. Der Schnee brachte nur mein Siegerbier zum Gefrieren. (Arne Bachmann, Sportredaktion Stormarn)
Brillanz am Tag der Arbeit
Werder Bremen – Hamburger SV 6:0 (3:0), 01. Mai 2004, 15.30 Uhr: Eigentlich ist es ja immer ärgerlich, wenn ein Feiertag auf einen Sonnabend fällt – aber an diesem 1. Mai 2004 war das den Bremern unter den 42.500 Zuschauern (übrigens die Rekordkulisse im Weserstadion für ein Nordderby) schnell völlig egal. Am Tag der Arbeit gingen nämlich nur die Grün-Weißen richtig zu Werke, die Meisterschaft war greifbar nahe. Doch dieser Heimsieg musste unbedingt noch sein, und so zeigte die Mannschaft um den überragenden Johan Micoud ein meisterwürdiges Spiel – auf der anderen Seite standen mit Tom Starke im Tor, der einen rabenschwarzen Tag erwischte, und Mittelfeldgrößen wie Björn Schlicke aber auch keine so starken Gegner. Es gab sicherlich spektakulärere Siege, spannendere Spiele, aber dieses ist mir besonders in Erinnerung geblieben, weil selten so viel Brillanz und Leichtigkeit zu sehen war. Jedenfalls von den Bremern, die einen Spieltag später in München die Meisterschale holten und später auch noch den DFB-Pokal. (Jörn Lauterbach, Mitglied der Chefredaktion)
Eine Mutprobe im Sportunterricht
Als geborener Hamburger Werder-Fan zu sein, war immer ein Problem. In den 90er-Jahren im Sportunterricht im Werder-Trikot aufzulaufen – eine Mutprobe. Aber einmal, da haben sich auch meine Mitschüler über einen Werder-Sieg im Derby gefreut: Im Mai 1993 war das, Werder gewann 5:0 und wurde wenig später Meister – vor den im Norden so unbeliebten Bayern aus München. (Volker ter Haseborg, Chefreporter)
Sprechchöre in einer unfertigen Stadt
Es war ein lauer Oktobertag des Jahres 1994, als der HSV zum Tabellenführer nach Bremen musste. Mein erstes Auswärtsspiel bei Werder, in einem Stadion, das irgendwie unfertig wirkte, wie die gesamte Stadt. Ein Russe, dessen Namen in Deutschland nie jemand richtig aussprechen geschweige denn schreiben konnte, brachte die Grünen in Führung. Doch der HSV ließ sich davon nicht beeindrucken und hielt mit geballter Bulgaren-Power dagegen. Jordan Letchkov und Petar Hubchev drehten die Partie noch vor der Pause, woraufhin das gesamte Stadion von Huub-cheeev, Huub-cheev-Sprechchören vereinnahmt wurde. Eine Viertelstunde vor dem Ende führten die Hamburger sogar 3:1, ehe die schnellste Maus von Mexiko, Sergio Zarate, sein erstes und letztes Bundesligator für den HSV schoss. Gut, zur Verteidigung muss erwähnt werden, dass mit Mirko Votava ein schon damals etwa 55-Jähriger die Abwehr der Provinzstädter zusammenhielt. 4:1, ein vollendeter Auswärtssieg der in diesem Jahr sein 20-jähriges Jubiläum feiern wird – mit dem gleichen Ergebnis. (Florian Heil, Sportredaktion)
Richtiger Riecher dank Lieblingsfarbe
Ich war acht Jahre alt, als ich meinen Vater das erste Mal ins Volksparkstadion begleiten durfte. Dort hatte ich reichlich Grund zum Jubeln, war allerdings so ziemlich der einzige auf der Tribüne, der sich über die vier Tore des SV Werder beim HSV freute. Mein Vater hatte sich im Lauf des Spiels heiser geschrien und war hörbar – „sei doch mal ruhig!“ – genervt davon, dass er auch noch einen Anhänger des Gegners für ein Trinkgeld an die Ordner ins Stadion geschmuggelt hatte. Ich war glühender Werder-Fan, weil mir die Spieler in Grün (meine damalige Lieblingsfarbe) und Weiß in meinem ersten Fußballalbum am besten gefielen, vor allem der elegante Torhüter Günter Bernard, aber auch Max Lorenz, Pico Schütz und Klaus Matischak. Offenbar hatte ich beim Fußballbildersammeln ein Händchen für Qualität, denn Werder wurde in jener Saison – 1964/65 – Deutscher Meister. Meine Zuneigung hielt allerdings nicht lange. Und die Liebe zu Borussia Mönchengladbach, die dann folgte, war auch deutlich intensiver. Übrigens: Werder ist mir längst ziemlich egal – fast schon so sehr wie der HSV. (Lutz Wendler, Redaktion Stormarn)
Die Mutter aller Niederlagen
Die Planungen waren kühn an jenem Abend des 7. Mai in der Redaktion des Hamburger Abendblatts. Ivica Olic hatte soeben in der 13. Minute des Uefacup-Halbfinal-Rückspiels in Hamburg das 1:0 für den HSV gegen Werder Bremen erzielt. Da die Hamburger ja auch schon das Hinspiel in Bremen mit 1:0 gewonnen hatten, konnte doch nun in Sachen Endspiel nichts mehr schief gehen. Wir überlegten bereits, ob wir am Tag nach dem Finale einen Sonderdruck verteilen sollten. Oder gar einen Flieger chartern, um ausgewählte Leser nach Istanbul zum Endspiel zu bringen. Gut anderthalb Stunden hatten wir in der Redaktion ganz andere Sorgen. Wie erklären wir unseren Lesern das unfassbare Ausscheiden beim 2:3? Wie groß zeigen wir die Papierkugel auf dem Rasen, die letztlich das vorentscheidende 1:3 für Bremen begünstigte? Für mich ist es nach wie vor die Mutter aller Niederlagen in den letzten Jahren beim HSV. Ich bin überzeugt, dass der HSV sich mit einem erfolgreichen Finale – Bremens Gegner Schachtar Donezk war ja nun wahrhaft keine Übermannschaft – ganz anders entwickelt hätte. Der Titel hätte diesem Verein den überfälligen Schub gegeben. Hätte, wäre, könnte – irgendwie doofe Begriffe, nicht nur im Fußball. So mussten wir am 20. Mai 2009 zuschauen, wie Werder mit 1:2 nach Verlängerung gegen Donezk unterlag. Wirklich interessiert hat mich dieses Spiel nicht mehr. (Peter Wenig, Ressortleiter Sport)
Autoradio statt Hochzeitsrede
13. Mai 2006, Hochzeitsfeier irgendwo bei Freiburg mitten im Nordderby-unverdächtigen Breisgau. Der Mann meiner Cousine, seit wenigen vollen Zeigerumdrehungen ganz offiziell Schwager der Braut, rutscht am Hochzeitstisch aufgeregt hin und her. Irgendwann jetzt müsste sich entscheiden, welcher der beiden Nordrivalen die Bundesliga in der darauffolgenden Saison in jedem Fall in der Champions League vertreten dürfte. Zu quälend die Ungewissheit, zu groß der Druck - der Hochzeitsgast mit der Raute im Herzen muss die Rede des Brautvaters dem Drang nach der Schlusskonferenz opfern. Doch das Autoradio spuckte nichts Gutes aus, wieder mal hatten die Bremer den Rivalen kurz vor Schluss noch einmal abgefangen - 1:2! Welch Glück im Unglück gut für den gebeutelten HSVer im schwarzen Anzug, dass der Vorrat an alkoholischen Getränken an diesem wunderschönen Sonnentag soeben erst angebrochen wurde - und wohl niemand so richtig von der Abwesenheit des Brautschwagers Notiz genommen hatte. Außer natürlich der Autor dieser Zeilen, der sich im Windschatten ebenfalls davonstahl, um dem aktuellen Fußballreport zu lauschen. (Jakob Drechsler, Online-Redaktion)
Eine Liebe für lange HSV-Gesichter
Als St. Paulianer könnte ich ganz entspannt auf das Spiel schauen: Ich drücke aber den Bremer Fischköppen die Daumen. So war das auch 2009 im Pokalhalbfinale, als Tim Wiese, den man nicht mögen muss, in Stellingen drei Elfmeter hielt. Ich mag es einfach, wenn HSVer lange Gesichter ziehen. Bremer, macht es noch einmal! Hamburg ist braun-weiß!“ (Christian Unger, Politikredaktion)
So viele schlimme Kollegen
Es ist schon erstaunlich, wie viele Werder-Fans es in den Reihen der Redaktion von Hamburgs führender Qualitätszeitung gibt. Besonders erschütternd: Die geben das auch noch öffentlich zu! Da ist zum Beispiel dieser eine, der - in ebenfalls ziemlich hervorgehobener Position - bei einer Bremer Zeitung tätig war, in deren Namen dieses kleine Flüsschen einen nicht unwesentlichen Teil einnimmt. Der hat sich allerdings mit seinem Transfer an die Elbe glücklicherweise wieder gefangen.
Dann ist da dieser andere, der einem Lolli-lutschenden Ermittler gleich, immer ein besonderes Gespür für die Bremer Themen entwickelt. Oder diese ansonsten äußerst geschätzte Kollegin, die es wissenschaftlich gesehen eigentlich besser wissen müsste.
Oder der Mann vom Fach, der während seiner Hamburger Zeit seine kruden Neigungen dann auch noch bei diesem ach so sympathischen Hamburger Stadtteilverein ausgelebt hat und nun nach Berlin - ausgerechnet - gewechselt ist. Und wie kommt eigentlich dieser Schöngeist aus der Abteilung Edelfeder zu seinem Fan-Dasein? Sie wissen schon: der, der eigentlich nur zwei Vornamen hat.
Der Schlimmste aber ist einer, der vermutlich als kleines Kind in einen großen Topf mit Zaubertrank gefallen ist und ebenfalls zwei Namen vor sich her trägt, allerdings Nachnamen. Der Mann schreckt vor nichts zurück und hat sich in früheren Jahren auch mal als verdeckter Ermittler ins Team der HSV-Reporter eingeschlichen. Glücklicherweise lässt er jetzt zumindest beruflich die Finger von Dingen, von denen er nun wirklich keine Ahnung hat! (Hinnerk Blombach, Redaktionsleiter Stormarn)