Der HSV befindet sich im freien Fall - in der Tabelle und im Ansehen. Bert van Marwijk bestätigt Einigung, Kühne fordert weiter den Kreuzer-Rauswurf und Abwehr-Chef Westermann ruft Abstiegskampf aus.

Hamburg. Gerüchte, Halbwahrheiten und ein vorlauter Trainer haben einen Medienrummel um den Nachfolger von Thorsten Fink beim Hamburger SV ausgelöst. Das Wirrwarr war am Sonntag so groß, dass die Beobachter Mühe hatten, den Überblick zu behalten. Die Konfusion begann mit einem Vorstoß des Niederländers Bert van Marwijk, der im Fernsehen seines Heimatlandes verkündete, er sei sich mit dem HSV einig und neuer Trainer des Fußball-Bundesligisten. „Wir sind mit ihm im Gespräch, und mehr gibt es jetzt dazu nicht zu sagen“, erklärte HSV-Mediendirektor Jorn Wolf am Sonntag. „Wir geben keine Wasserstandsmeldungen“, meinte Präsident Carl Jarchow.

Zwischenzeitlich hieß es, Sportchef Oliver Kreuzer sei nach Zürich geflogen, um sich dort mit dem Schweizer Trainer Christian Gross zu treffen. „Das ist falsch“, ließ der Verein wissen. Kreuzer soll zwar in die Schweiz geflogen sein, aber zu einem anderen Zweck.

Am Sonnabendabend hatte sich van Marwijk höchstselbst als Nachfolger des beurlaubten Fink präsentiert. Zahlreiche niederländische Medien berichteten, der einstige Bondscoach der Oranjes erhalte einen Zweijahresvertrag mit Option auf eine weitere Spielzeit. Er bringe als Co-Trainer Roel Coumans von Fortuna Sittard mit.

Van Marwijk zeigte sich überrascht, als er von angeblichen Verhandlungen des HSV mit anderen Kandidaten erfuhr. „Ich hatte gute Gespräche mit dem HSV. Eigentlich gab es keine Probleme mehr. Aber es ist noch nichts unterschrieben“, sagte er dem TV-Sender Sky Sport News. Im niederländischen Fernsehsender NOS hatte der Trainer vom HSV geschwärmt: „Das ist ein großartiger Club mit einer gewaltigen Tradition.“ Der einstige Coach von Borussia Dortmund hatte am vergangenen Mittwoch mit seinem Berater und Kreuzer gesprochen.

Falls der ehemalige Oranje-Coach nach Hamburg wechseln sollte, hat er Schwerstarbeit zu bewältigen. „Man sieht, dass es eine Mannschaft ist, die verunsichert ist“, sagte van Marwijk nach dem 0:2 im Nordderby gegen Werder Bremen. „Das wichtigste ist jetzt, dass Ruhe reinkommt.“ Ein Zauberer sei er jedoch nicht.

Ob der mit Geldscheinen wedelnde Milliardär und Felix-Magath-Fan Klaus-Michael Kühne etwas an van Marwijk zu bemäkeln hat, ist noch nicht überliefert. Bislang hat der 76 Jahre alte Investor bei allen amtierenden Personen im Verein und möglichen Trainer-Kandidaten wie dem ehemaligen Werder-Coach Thomas Schaaf den Daumen gesenkt. „Ich will doch keinen Einfluss nehmen, ich sage nur meine Meinung“, beteuerte der in der Schweiz und auf Mallorca lebende Logistik-Unternehmer.

Dagegen bleibt er seiner Meinung gegen Sportdirektor Oliver Kreuzer treu. Denn in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung forderte der Investor erneut die Ablösung von Kreuzer. „Für Herrn Kreuzer müsste man eine faire Lösung finden. Ich wünsche mir einen hochkarätigen Sportchef“, sagte der 76-Jährige. Der in der Schweiz lebende Spediteur hatte bereits nach der Entlassung von Trainer Thorsten Fink Anfang der Woche erklärt, Kreuzer sei „überfordert. Da muss ein ganz erfahrener Mann ran“.

Kühne setzt sich weiterhin dafür ein, Felix Magath zurückzuholen. „Er hat großes Interesse an einem Posten beim HSV“, sagte Kühne: „Er hat sich als jemand profiliert, der hart durchgreifen kann. Das fehlt dem HSV.“ Magath strebe nach seinem Wissen eine „dauerhafte Position im Management“ an. Der gebürtige Hamburger Kühne stellte klar, dass er dem Klub im Fall einer Ausgliederung der Profifußball-Abteilung noch einmal Geld zur Verfügung stellen würde. Seine Pläne könnte er sogar bei einer Mitgliederversammlung präsentieren. „Wenn es gewünscht wäre, würde ich es machen.“

Für die Haltung der Klubverantwortlichen um den Vorstandsvorsitzenden Carl Jarchow hat Kühne kein Verständnis. „Es liegt doch sehr im Unbestimmten, ab wann und ob überhaupt sich der HSV für Investoren öffnet. Ich setze voll auf die Reformer, denn leider ist die derzeitige Vereinsführung nicht gesprächsbereit.“ Zuletzt hatte sich die Initiative „HSVPlus“ um den früheren AufsichtsratsvorsitzendenErnst-Otto Rieckhofffür die Ausgliederung stark gemacht.

HSV-Sportchef Kreuzer platzt beinahe der Kragen, wenn er auf Kühne angesprochen wird. „Wenn ein älterer Herr aus Mallorca mir etwas über die Bundesliga erzählen will, wird das irgendwann zur Posse und peinlich“, wetterte Kreuzer. „Diese Statements von dem – das ist an Peinlichkeit nicht mehr zu überbieten.“

Die Hamburger benötigen dringend einen geführten Aufbruch. Nach der Niederlage im Nordderby sind sie noch weiter abgestürzt und riechen die muffige Kellerluft im Ligahaus. Es stinkt gewaltig nach Abstieg. Nur eine von sechs Partien in dieser Saison gewonnen, vier verloren und mit 17 Gegentoren die meisten unter allen 18 Bewerbern kassiert – das ist fürwahr nicht erstligareif. „Das hatte mit Bundesliga-Fußball nichts zu tun“, zürnte Kreuzer.

Als Trainer Thorsten Fink fünf Tage zuvor die Tür gewiesen wurde, hoffte die Vereinsführung noch auf den Neue-Besen-Effekt. Aber auch Interimscoach Rodolfo Cardoso konnte im Zusammenspiel mit A-Jugendtrainer Otto Addo kein Feuer entfachen. Die Mannschaft wollte, aber sie konnte nicht. Die Profis waren verkrampft, verunsichert, brachten kaum eine Ballstafette zustande. „Wo war die Gier? Wo war die Aggressivität? Wo war der unbändige Wille? Das verstehe ich nicht“, grollte Kreuzer.

Abwehrspieler Heiko Westermann will seine Mitspieler beim Fußball-Bundesligisten Hamburger SV wachrütteln. „Es geht gegen den Abstieg. Es geht um die Existenz dieses Vereins. Das wollte bisher keiner hören“, sagte der HSV-Profi nach dem 0:2 gegen Werder Bremen. „Ich habe das schon ein paar Tage länger gesagt.“

Die schwache Leistung im Nordderby gab dem 30-Jährigen zu denken: „Es ist beängstigend, wie wir spielen. Das war richtig mut- und ideenlos. Wir haben vorne nichts gebacken bekommen. Es gab keine Möglichkeiten aus dem Spiel heraus. Wir mussten immer lange Bälle schlagen, weil wir ansonsten nichts hinbekamen.“ Interimstrainer Rodolfo Cardoso hatte den etatmäßigen Innenverteidiger in der Partie gegen Bremen zum Rechtsverteidiger umfunktioniert.

Erfahrungen im Abstiegskampf hat Westermann bereits. In der Saison 2011/2012 musste der HSV bis zum 33. Spieltag um die Ligazugehörigkeit bangen. „Wir sind damals knapp von der Kippe gesprungen. So etwas ist ein richtiger Kraftakt“, meinte er. Es gibt nicht viele Aspekte, die dem Verteidiger derzeit Mut machen: „Wir haben zwar gekämpft, jeder hat sich reingehauen. Aber in der Bundesliga muss man auch ein bisschen Fußball spielen.“

Kapitän Rafael van der Vaart freut sich derweil schon auf van Marwijk. „Er wäre gut für uns“, meinte er über seinen Landsmann. „Es wäre wichtig, dass ein Trainer kommt, der mit neuen Ideen Frische reinbringt. Dann schaffen wir die Wende.“ Bitter allerdings, dass die Hamburger nicht nur Dennis Diekmeier wegen Fußbruchs ersetzen müssen, jetzt fehlt auch Tomas Rincon für einige Wochen. Der Venezolaner erlitt einen Kieferbruch und wurde operiert.

Dagegen sind die Sorgen der Bremer deutlich kleiner geworden. Der Abwärtstrend nach drei Niederlagen ist gestoppt, die Mannschaft schafft in einem Spiel mehr als ein Tor und springt ins Mittelfeld der Tabelle, Stürmer Nils Petersen trifft nach sieben torlosen Monaten gleich doppelt. „Mit einer Leistung wie heute haben wir mit dem Abstieg nichts zu tun“, verkündete Stürmer Aaron Hunt.

Mit Material von sid/dpa/HA