Sportchef Oliver Kreuzer teilte Thorsten Fink am Montagabend in München die Entscheidung des Vorstands mit. Fink: „Ich habe einen tollen Verein trainiert.“ Gerüchte um Babbel und Stanislawski.
Hamburg. „Ich muss jetzt gehen. Unten wartet schon Franco Foda.“ Oliver Kreuzer scherzte am Montagvormittag. Ein Versuch von Lockerheit in einer ganz und gar nicht witzigen Zeit. Mit einer überraschenden Pointe einige Stunden später: Am Abend war Thorsten Fink als Trainer des HSV entlassen. „Ich bin stolz, hier gewesen zu sein die zwei Jahre. Ich habe einen tollen Verein trainiert“, sagte Fink am Dienstagmorgen „NDR 90,3“. „Jetzt ist es noch früh genug, dass man die Ziele erreicht – auch noch mit einem anderen Trainer.“
Aber der Reihe nach. Franco Foda war am Montag nur als Gerücht beim HSV aufgetaucht, der kürzlich beurlaubte Trainer des 1. FC Kaiserslautern, mit dem Kreuzer drei Jahre erfolgreich in Graz zusammengearbeitet hatte. Doch die Fragen nach Trainer Thorsten Fink wurden mit jedem Tag lauter und vernehmlicher. Das 2:6-Debakel am Sonnabend in Dortmund hatte seine Spuren hinterlassen. Der Coach arbeitete, wenn überhaupt, nur noch auf Bewährung, das wurde schnell klar – zum Beispiel gegen Werder Bremen am nächsten Sonnabend. „Was heißt schon Schicksalsspiel?“, fragte Kreuzer rhetorisch, „Thorsten weiß, dass es für uns alle ein ganz wichtiges Spiel ist.“
Es waren diese typischen Sätze, die üblicherweise immer vor Trainerentlassungen zu beobachten sind. So, wie es vor einem Gewitter aufwindet und sich das Wasser vor einem Tsunami zurückzieht. „Das Thema Trainer stellt sich für mich Stand heute nicht“, sagte Kreuzer. Zugleich schränkte er aber ein: „Was weiß ich, was morgen ist?“ „Der Trainer trägt die Verantwortung für den sportlichen Bereich“, unterstrich der Vorstandsvorsitzende Carl Jarchow beim Sport-Informations-Dienst, „wir haben einen Fehlstart hingelegt, das ist nicht von der Hand zu weisen.“ Sätze, die die Alarmstimmung dokumentierten. „Man könnte sagen, es ist fünf vor zwölf“, sagte Kreuzer noch.
Dass der Trainer am Tag nach dem Versagen seines Teams in Dortmund zu seiner Familie nach München geflogen war und nicht mehr beim Auslaufen zugegen war, stieß auch dem Sportchef bitter auf. Kreuzer lief stattdessen selbst mit der Mannschaft durch den Volkspark. „Das war eine unglückliche Entscheidung von Thorsten“, erklärte Kreuzer. Finks Heimatflug war jedoch nur der jüngste von mittlerweile mehreren Konflikten zwischen Sportchef und Fußballlehrer. Als „kumpelhaft“ ließ sich das Verhältnis längst nicht mehr beschreiben. In den vergangenen Wochen gab es den öffentlich ausgetragenen Streit um die weitere Verwendung von Slobodan Rajkovic und Michael Mancienne, die Fink wieder in das Profiteam integrieren wollte, was Kreuzer aber ablehnte.
Jarchow hatte keine Geduld mehr
Seit fast zwei Jahren war Fink beim HSV tätig, und noch immer wurde an der Taktik herumgedoktert, es gab regelmäßig kolossale Einbrüche, nur selten war eine klare Spielidee zu erkennen. Nach dem 1:5 gegen Hoffenheim war das Dortmund-Spiel bereits die zweite klare Niederlage in dieser Saison. In der Vorbereitung leistete sich die Mannschaft ein 0:4 gegen Zweitligist Dynamo Dresden. Gar nicht zu reden von den „Klatschen“ der Vorsaison. „Es ist keine Frage der Abwehr allein, die Defensivarbeit der gesamten Mannschaft war ungenügend“, kritisierte Kreuzer, „die Verteidiger sind die ärmsten Schweine.“ Ein Problem, das immer zu beobachten ist. „Ich habe schon in der Testspielphase gesagt, dass wir die Defensive verbessern müssen“, merkte der ehemalige Innenverteidiger noch am Vormittag an: „Ich hoffe, dass Thorsten Antworten hat. Die wird er liefern müssen.“ Auch Jarchow hatte erkennbar keine Geduld mehr: „Im Vorstand erwarten wir, dass gewisse Dinge umgesetzt werden. Diese Fehler müssen wir umgehend abstellen. Und ich bin nicht der Trainer, das ist sein Job.“
Die fast identische Wortwahl des Vorstandsvorsitzenden und damit die Rückendeckung von „oben“ für Kreuzer, das ist eine Parallele zu dessen Zeit in Karlsruhe. Dort trennte sich der Verein 2011 von Trainer Rainer Scharinger und 2012 von Jörn Andersen. Jedes Mal war klar, dass auch die Vereinsspitze diese Rauswürfe wollte, die der Sportchef Kreuzer dann umsetzte. „Keinen Gedanken“, sagt er jedoch, habe er bislang daran beim HSV verwendet. Und wann wäre es doch so weit? „Schaun mer mal. Man muss die Gesamtsituation sehen, es gibt keine Deadline.“
Gab es doch! Am späten Abend gab es schließlich die Bestätigung – Kreuzer teilte dem noch in München weilenden Fink in einem persönlichen Gespräch mit, dass seine Zeit in Hamburg abgelaufen ist. Heute will Fink noch einmal nach Hamburg kommen und sich vom Team verabschieden. Zudem sickerten Gerüchte durch, der HSV habe bereits Kontakt mit Nachfolgern aufgenommen. So soll der frühere HSV-Profi Markus Babbel sich Bedenkzeit erbeten haben. Auch der Name Holger Stanislawski fiel. Aber beide Trainer sollen nicht wirklich auf der Liste der Nachfolger stehen. Weitere Details will der HSV am Dienstag um 11.30 Uhr auf einer Pressekonferenz mitteilen.
Kritik von Rafael van der Vaart
Derweil hat Kapitän Rafael van der Vaart Kritik am Zeitpunkt der Trennung geübt. „Oha, vor dem heißen Nordderby gegen Werder. Ich verstehe den Zeitpunkt nicht so ganz“, sagte van der Vaart der „Bild“-Zeitung. „Ich dachte, dass der Coach auch gegen Werder auf der Trainerbank sitzen würde.“ Die Trennung habe ihn überrascht. „Ich bin total schockiert. Das hätte ich nie für möglich gehalten“, meinte der Niederländer.
Er habe Fink als „hart arbeitenden und stets hochmotivierten Coach“ kennengelernt. „Er brannte immer“, sagte der Mittelfeldspieler. Seine Teamkollegen wollten sich am Dienstagmorgen nach ihrer Ankunft am HSV-Trainingsgelände zunächst nicht zum Rauswurf Finks äußern.
Van der Vaart will die Schuld an der sportlichen Misere des HSV, der von fünf Bundesligaspielen der Saison nur eines gewonnen und am vergangenen Samstag eine 2:6-Pleite bei Borussia Dortmund kassiert hatte, nicht am Trainer festmachen. „Wir haben als Mannschaft eine große Teilschuld an der Misere. Unsere zahlreichen Klatschen in der jüngsten Vergangenheit haben den Trainer den Job gekostet.“