Der HSV setzte gegen den BVB auf Dreierkette – und kassierte sechs Gegentore. Während des Spiels änderte Trainer Thorsten Fink gleich dreimal die Taktik.
Dortmund/Hamburg. Die Stimmung im Volkspark rund um die Arena hätte am Sonntag nicht viel besser sein können. Es wurde getanzt, gelacht – und vor allem ging es ziemlich bunt zu. Auf Parkplatz Weiß vor der Osttribüne war eine Bühne aufgebaut, vor der sich Hunderte Sportfans mal so richtig gehen ließen, zu 90er-Jahre-Autoscooter-Musik zappelten und sich mit Farbpulver bewarfen. „Color Run“ hieß das Ereignis, das ohne Zweifel das perfekte Kontrastprogramm zum deprimierenden Geschehen ein paar Meter weiter bot.
Gerade mal eine Handvoll HSV-Fans war am Vormittag zum Stadion gepilgert, um dem bunten Treiben zu trotzen und die grau wirkenden Protagonisten der 2:6-Pleite vom Vortag in Dortmund zu sehen. Sie mussten bis 9.57 Uhr warten, ehe sich die Türen öffneten und die Spieler in Joggingschuhen heraustrabten, um nach einem Lauf durch den Volkspark exakt 24 Minuten später wieder im Kabinentrakt des Stadions zu verschwinden. „Nach so einem Spiel muss ich erst mal den Kopf frei bekommen“, sagte wenig später Sportchef Oliver Kreuzer, der um 9 Uhr zum Gespräch mit Trainer Thorsten Fink verabredet war und sich anschließend selbst in kurzen Hosen und Joggingschuhen in den Volkspark aufmachte.
Kreuzers Ansinnen war nur allzu verständlich nach den Geschehnissen des Vortags, die sich nur schwer in wenigen Sätzen wiedergeben lassen. „Das war ein ganz bitteres Spiel“, versuchte Lasse Sobiech erklärende Worte für das Unerklärliche zu finden, „am Ende hätte auch das eine oder andere Tor mehr fallen können. In der Höhe war die Pleite heute ziemlich variabel.“
32 zu vier Torschüsse, sieben zu zwei Ecken
Tatsächlich waren die 90 Minuten am Sonnabend im Dortmunder Signal-Iduna-Park eine Demonstration der Stärke des BVB – und eine gnadenlose Offenlegung der HSV-Schwächen. 32 zu vier Torschüsse, sieben zu zwei Ecken und 13 zu vier Flanken waren nur drei von zahlreichen Indikatoren, die das Endergebnis von 6:2 mehr als verdient erscheinen ließen. „Wir waren nicht mutig genug, standen zu weit auseinander, haben gefühlte 90 Prozent unserer Zweikämpfe verloren und waren sehr naiv“, bilanzierte Trainer Fink, der selbst mit einem ziemlich naiven Coaching für Gesprächsstoff sorgte.
Fink hatte sich vor dem Spiel dafür entschieden, sein System erneut umzustellen und gegen den Champions-League-Finalisten erstmals in dieser Saison mit einer Dreier-Abwehrkette mit Heiko Westermann, Johan Djourou und Lasse Sobiech spielen zu lassen: „Wir wollten einen Abwehrspieler mehr haben.“ Eine fatale Fehlentscheidung, die der Coach bereits nach den Treffern zum 0:2 durch Aubameyang (19.) und Mkhitaryan (22.) versuchte zu korrigieren: Der Fußballlehrer zog Dennis Diekmeier aus dem Mittelfeld zurück in die dann neu formierte Viererkette. Erstaunlich: Als Co-Trainer Patrick Rahmen in der Halbzeitpause von Sky zum Systemwechsel befragt wurde, wusste der Schweizer darauf ebenso wenig zu antworten wie auf die Nachfrage, wer denn nun in der Halbzeit für Petr Jiracek ausgewechselt werden würde.
Als der HSV dann kurz nach dem Seitenwechsel durch mehr Glück als Verstand zum zwischenzeitlichen Ausgleich durch die Treffer von Zhi Gin Lam (26.) und Westermann (49.) kam und Aubameyang erneut zum 3:2 (65.) einschießen durfte, entschloss sich Fink sogar zum nächsten Systemwechsel: Er brachte Hakan Calhanoglu, baute die nun völlig verunsicherte Mannschaft erneut um, setzte für die letzten Minuten des Spiels auf die doch eigentlich einstudierte 4-2-3-1-Taktik und musste von außen hilflos zusehen, wie das Team zum wiederholten Male völlig auseinanderfiel. Innerhalb von nur acht Minuten sorgten Lewandowski (73.), Reus (74.) und erneut Lewandowski (81.) für ein Debakel.
Fink ändert System zum vierten Mal
„Es ist für mich völlig unverständlich, warum wir wieder so auseinandergebrochen sind“, sagte der erboste Westermann, „wir fühlten uns in der Abwehr im Stich gelassen.“ Zur Erinnerung: Nach dem Pleiten gegen Hannover (1:5), Bayern München (2:9), Schalke (1:4), Dynamo Dresden (0:4) und Hoffenheim (1:5) war das 2:6 in Dortmund bereits die sechste (!) Klatsche der derben Art und Weise in diesem Kalenderjahr. „Es hätte auch diesmal wieder ein 2:9 geben können", gab Rafael van der Vaart nach der Partie ehrlich zu.
Als Entschuldigung für die höchste Saisonniederlage wollte Fink den vierten Systemwechsel (4-2-4 gegen Schalke und Hoffenheim, 4-2-3-1 gegen Hertha, 4-4-2 gegen Braunschweig und 3-5-2 in Dortmund) allerdings nicht gelten lassen: „Es lag nicht am System. Mit der Dreierkette haben wir zwei Gegentore gefangen, mit der Viererkette waren es dann sogar vier Treffer.“ Auch den Vorwurf, dass es ein zu hohes Risiko gewesen sei, diese neue Taktik erst Mitte der Woche beim Test gegen die Reserve ausprobiert zu haben (Sobiech: „Gegen die U23 hat es mit der Dreierkette ganz gut geklappt“), konterte der Trainer: „Wir haben das bereits in einem Testspiel vor zwei Wochen einstudiert.“
Richtig zufrieden schien Sportchef Kreuzer mit dieser Erklärung aber nicht. „Vielleicht war es ein kleines Risiko, mit Dreierkette zu spielen“, sagte der Manager nach seinem Vieraugengespräch mit Fink am Morgen, „ich habe vernommen, dass wir das drei Tage vorher einstudiert haben.“ Und auch auf die Frage, ob man nach vier Punkten aus fünf Spielen von einem Fehlstart sprechen könnte, hatte Kreuzer eine ebenso eindeutige Antwort („Das ist korrekt“) parat wie auf die Nachfrage eines Reporters, ob der Trainer nun zur Diskussion stehen könnte: „Nein.“
An diesem Wort wird sich der Sportvorstand womöglich schon am kommenden Wochenende messen lassen müssen, wenn der HSV beim Nordderby Werder Bremen zum klassischen Krisengipfel empfängt. Kreuzer glaubt aber, dass die Stimmung rund um den Volkspark am kommenden Sonnabend auch ohne „Color Run“ besser sein werde: „Wir spielen zum Glück nicht jedes Wochenende gegen Dortmund.“