Das Remis nach 4:0-Führung gegen Schweden fördert zwei akute Probleme der Deutschen zutage: Mangelnder Kampfgeist, unzureichende Defensivarbeit.
Berlin. Der Gala folgte die Ernüchterung. Himmelhohes Jauchzen verkam am Ende zu kümmerlichem Flüstern. Das 4:4-Unentschieden nach eigener 4:0-Führung gegen hausbackene Schweden generierte einen noch nie da gewesenen Spielverlauf in der mittlerweile 104 Jahre alten Geschichte des DFB.
Dass die aktuelle deutsche Fußball-Nationalmannschaft in der Lage ist, an einem guten Tag beinahe jeden Gegner dieser Welt an die Wand zu spielen - dafür hätte es keines weiteren Beweises bedurft. Erkenntnisgewinn ist da schon eher die Absenz willensstarker Typen, die ein schlingerndes Schiff in kurzer Zeit wieder auf Kurs bringen können.
Sich wie die Löw-Elf in den ersten 60 Minuten gegen Ibrahimovic & Co in einen Rausch zu spielen, ist bisweilen selbst fußballerisch minder talentierten Mannschaften als der DFB-Auswahl vergönnt. Den Schaden bei abrupter Ausnüchterung so gering wie möglich zu halten, ist dagegen das Zeichen wahrer Spitzenteams.
Unvorstellbar, dass sich ein Matthias Sammer, ein Oliver Kahn oder ein Jürgen Klinsmann sich in vergleichbarer Situation wie der gestrigen schwedischen Aufholjagd mehr oder minder achselzuckend ihr Schicksal ergeben hätten. In der aktuellen Auswahl jedoch sucht man (noch) vergebens nach der einen Hand, die das Spiel bei drohendem Strukturverlust neu ordnet - und sei es durch einen gepflegten Ausraster.
+++ Der Spielverlauf im Liveticker +++
Weder Kapitän Philipp Lahm noch den als Alphatieren gedachten Bastian Schweinsteiger oder Manuel Neuer gelang es gegen Schweden, für die letzten 30 Minuten „den Schalter umzulegen”. Selbst Joachim Löw wirkte als zögerndes Rumpelstilzchen an der Seitenlinie hilflos.
„Wenn das Spiel mal in so eine Phase gerät, ist es schwierig, von außen richtig Einfluss zu haben”, gestand sich Löw nach dem Remis-Drama von Berlin ein. Wenn es dem nach einem großen Titel gierenden Cheftrainer also nicht gelingt, Fehlentwicklungen während 90 oder 120 Minuten zu korrigieren, dann sollte er zumindest in den Trainingseinheiten an den passenden Stellschrauben drehen.
In diesem Sinne wäre der Bundestrainer schlecht beraten, seine Mannschaft nun weiter über die - zugegeben außergewöhnlich starke - Offensive zu definieren. Vielmehr sollte das Augenmerk auf den wiederholt vermissten Kampfgeist und die nicht zum ersten Mal anfällige Defensive gelegt werden. Denn auch Löw sollte wissen: Spiele gewinnt man in der Offensive, Meisterschaften in der Defensive.