Nicht nur mit Ergebnissen muss sich das Lieblingsteam der Deutschen an die nächste Titelchance herantasten. Auch die interne Struktur entwickelt sich weiter. Spieler wie Khedira, Hummels und Neuer drängen in die Chefetage. Wie wird Löw das moderieren?
Berlin. In der Spieler-Chefetage gibt es Bewegung. Noch besetzen die jahrelangen Führungskräfte wie Bastian Schweinsteiger, Philipp Lahm und Miroslav Klose die Posten der Anführer in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Andere wie Sami Khedira, Manuel Neuer oder Mats Hummels sehen auf dem Weg zur Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien ihre Chance, in der teaminternen Hierarchie nach oben zu rücken. Wie Joachim Löw die Machtbewegungen moderiert, wird mit Spannung zu beobachten sein. „Natürlich haben wir genügend Spieler, die Verantwortung übernehmen wollen, die führen wollen“, sagte Kapitän Lahm vor dem WM-Qualifikationsspiel gegen Schweden.
„Klar ist, dass sich nach einem Turnier alles neu formiert. Das ist ein normaler Vorgang, das ist nach jedem Turnier so“, schilderte Lahm. Nach der EM in Polen und der Ukraine kommt noch dazu, dass die Verbitterung über die verpasste Titelchance lange und intensiv nachwirkte. „Es ist natürlich unruhiger um uns geworden, das ist klar. Das hing mit dem Ausscheiden bei der EM zusammen, mit der nicht so guten Leistung gegen Österreich. Wir können nur mit guten Leistungen überzeugen“, meinte Manager Oliver Bierhoff dieser Tage.
In der Öffentlichkeit wurden monatelang die Themen Teamgeist und Führungsstruktur diskutiert. Ausgerechnet der mehr heimliche Chef Schweinsteiger deutete an, dass das Klima in der Wohlfühloase Nationalmannschaft doch mehr unter unzufriedenen und nachdrängenden Spielern gelitten hat als zugegeben. „Es gehört sicher dazu, dass Spieler unzufrieden sind“, meinte Lahm, auch junge Spieler mit großem Talent. Aber man müsse sich eben hinten anstellen in einem Turnier.
Zudem schwappte die sportliche Rivalität zwischen dem neuen Meister Borussia Dortmund und dem nationalen Rekordchampion FC Bayern mit ins DFB-Team, auch wenn der Münchner Torwart Neuer jetzt betonte: „Wir sind ein Nationalmannschafts-Block. Sobald wir das Dress anhaben, spielen wir für Deutschland.“ Löws „unglückliche“ Worte über die internationale Befähigung von BVB-Verteidiger Marcel Schmelzer kamen vor allem in Dortmund schlecht an. Inzwischen hat sich der Bundestrainer öffentlich dafür entschuldigt.
Löw wird konsequent alles an der WM in Brasilien ausrichten. Denn einiges deutet darauf hin, dass die derzeit laufende Etappe seine letzte als Bundestrainer sein könnte. Deshalb steht für ihn – anders als noch vor der WM 2010 oder der EURO 2012 – der kurzfristige Erfolg über allem. In Südafrika hatte Löw unendlich viel Lob für den neuen, attraktiven Stil seines Teams eingesammelt. Vor der EM in diesem Sommer hatte der 52-Jährige noch darauf verwiesen, dass seine junge Elf noch nicht am Ende der Entwicklung sei. Ein Titel aber fehlt Löw mit seinen als „goldene Generation“ gepriesenen Spielern noch.
Die WM im Sommer 2014 wird für einige Führungsspieler, die Löw seit dessen Amtsantritt 2006 begleiten, wie für den Trainer selbst möglicherweise zur letzten Chance. Die Alten verteidigen die Machtstrukturen im Team: „Die Hierarchie ist die alte, weil erfahrene Spieler, die über Jahre Leistungen gebracht haben, immer noch Leistungen bringen“, betonte Lahm. „Wir wollen den Weg weitergehen. Wenn am Ende was rausspringt, würde es uns freuen“, sagte Vizekapitän Schweinsteiger.
Der bald 29-jährige Lahm trägt die Kapitänsbinde seit der WM 2010. Jetzt künden seine Aussagen von einem kompromissloseren Kurs. Jeder solle sich seine Worte und Taten gut überlegen, appellierte Lahm an seine Kollegen im DFB-Team, insbesondere die jüngeren: „Man muss alles der Mannschaft unterordnen.“ Für ihn ist eine flache Hierarchie auch eine klare Hierarchie, „bei der sich alle Spieler auf Augenhöhe begegnen“.
Löw weiß aber auch, dass Reibungen leistungsfördernd sein können. „Konkurrenzkampf ist wichtig“, bemerkte der Bundestrainer auch vor dem Spiel gegen Schweden. Junge Spieler wie der Dortmunder Marco Reus kennen ihren Stellenwert: „Ich würde jetzt nicht sagen, das ich erst kurz in der Nationalmannschaft angekommen bin“, sagte der 23 Jahre alte Offensivmann nach seinen beiden Toren beim 6:1-Sieg in Irland.
Die sportliche Leitung muss beide Strömungen fördern: „Die Spieler, die schon große Turniere gespielt haben und andere mit großer Ausstrahlung, die nachdrängen wie Sami Khedira oder Manuel Neuer“, sagte Manager Bierhoff. Die Hierarchie würde heute ohnehin anders ausgelebt als noch vor 20 Jahren. „Das geht nicht mit der harten Hackordnung, du trägst das Tor und ich mache gar nichts“, sagte der ehemalige DFB-Kapitän und Europameister von 1996. Es war damals in England der bislang letzte Titeltriumph für Deutschland.