Hamburg. Bei den Barcelona Dragons wissen manche Spieler nicht, wie sie zurück in die USA kommen sollen. Hamburger Liga-Chef Esume unter Druck.
Es war schon abends am vergangenen Sonnabend, als Kendral Ellison im Estadi Municipal de Badalona die Spieler der Munich Ravens und Barcelona Dragons um sich herum versammelte. Ellison, der zuletzt drei Jahre für die Hamburg Sea Devils gearbeitet hatte und zu dieser Saison die Münchner Franchise als Headcoach übernahm, richtete emotionale Worte an die Spieler des spanischen American-Football-Teams. Beziehungsweise an die, die noch vom Team übrig waren.
„Ich danke euch aus tiefstem Herzen, dass ihr heute hierher gekommen seid, auch wenn die Situation zurzeit beschissen ist“, sagte Ellison, dessen Münchner die Dragons in der ersten Halbzeit sportlich hingerichtet hatten. Beim Halbzeitstand von 0:54 beschloss Barcelona schließlich, das Spiel vorzeitig aufzugeben. Es war der bisherige Tiefpunkt dieser Saison der European League of Football (ELF).
American Football: ELF reagierte mit „Bestürzung“ auf die Dragons-Aufgabe
Wenig später meldete sich die in der Hamburger HafenCity ansässige Liga mit einem Drei-Satz-Statement zu Wort. Man habe mit „großer Überraschung“ und „Bestürzung“ registriert, dass die Dragons nicht mehr zur zweiten Halbzeit antreten wollten. „Die ELF hat direkt die Besitzergruppe und das Management der Barcelona Dragons kontaktiert. Weil das Team in Unterzahl agierte, wodurch das Verletzungsrisiko stieg, wurde die Entscheidung für die Sicherheit der Spieler getroffen“, hieß es von der ELF, die vom Hamburger Football-Experten Patrick Esume 2020 gegründet und seitdem geführt wird.
Das Abendblatt kontaktierte in den vergangenen Tagen zahlreiche Spieler und Trainer der Dragons. Dabei berichteten mehrere Akteure, die in Sorge um ihre weitere Karriere anonym bleiben wollten, von chaotischen Zuständen. Es geht um einen Spielerstreik, ausstehende Gehälter, sowie fehlende Visa und Versicherungen. Viele in Barcelona rechnen damit, dass sich die Dragons noch während dieser Saison vom ELF-Spielbetrieb zurückziehen.
Istanbul und Leipzig zogen sich bereits zurück
Ein solcher Schritt wäre kein Einzelfall in der Liga. Bereits nach der Saison 2022 hatten sich die Istanbul Rams zurückgezogen, weil sie weder sportlich noch wirtschaftlich konkurrenzfähig waren. Im vergangenen Jahr waren es dann die Leipzig Kings, die sich während der laufenden Spielzeit wegen einer Finanzierungslücke von rund 550.000 Euro abmelden mussten, ein Überbrückungskredit war von der Liga verwehrt worden. Zunächst hieß es von den Kings und der ELF noch, dass man am Football-Standort Leipzig festhalte und optimistisch sei, dass die Franchise 2024 zurückkehren könne. Es kam anders.
Keine zwei Wochen nach dem Aus der Kings gerieten 2023 dann auch die Prag Lions in finanzielle Bedrängnis, die tschechischen Spieler im Team warteten wochenlang auf ihr Gehalt. Zwischenzeitlich kam es zu einem Spielerstreik und dem Rücktritt des langjährigen Headcoaches Zach Harrod. Vor allem, weil Liga-Chef Esume ein vermittelndes Gespräch suchte und Investoren doch noch weiteres Geld gaben, konnte der Rückzug vermieden werden.
Spieler und Trainer der Dragons nicht vollständig bezahlt
Deutlich komplizierter ist die Situation nun bei den Barcelona Dragons, die in diesem Jahr von der „Elite Sports Equity“, einer US-amerikanischen Besitzer- und Investorengruppe, übernommen worden waren. Gründer von Elite Sports Equity ist Jason Robinson, der zugleich auch als Generalmanager der Dragons agiert.
Wie das Abendblatt erfuhr, sollen in der laufenden Saison weder Spieler noch Coaches vollständig bezahlt worden, sondern immer wieder mit kleineren Teilbeiträgen vertröstet worden sein. Dies belegen auch Screenshots einer internen Chatgruppe, die dem Abendblatt zugespielt wurden.
Robinson und sein Kollege Brandon Smith sollen die ausstehenden Gehälter gegenüber ihren Angestellten damit erklärt haben, dass versprochene Umsatzbeteiligungen vonseiten der ELF nicht nach Barcelona überwiesen worden seien. Welche Umsatzbeteiligungen genau gemeint sind, ist unklar.
Importspieler ohne Arbeits-Visum
Darüber hinaus beklagen US-amerikanische Spieler und Trainer, dass ihnen vor der Vertragsunterschrift Versprechungen gemacht wurden, die nicht eingehalten worden seien. So sollen bis heute mehrere Arbeits-Visa fehlen, etliche US-Akteure befinden sich nur mit herkömmlichen Schengen-Visa (maximal 90 Tage Aufenthalt) in Spanien. Auch versprochene und vertraglich zugesicherte Versicherungen sollen nicht abgeschlossen worden sein.
In der vergangenen Woche sollen daraufhin unter anderem die US-amerikanischen Importspieler, Headcoach David Shelton, Defensive Coordinator Darion Simmons und weitere Staff-Mitglieder beschlossen haben, zurückzutreten. Am vergangenen Freitag, dem Tag vor dem München-Spiel, habe sich das Team zudem darauf verständigt, nicht gegen die Ravens anzutreten. Auch mehrere spanische Spieler, die offenbar auf ein Engagement beim ELF-Konkurrenten Madrid Bravos hoffen, sollen bereits um Vertragsauflösungen gebeten haben.
Spanische Spieler wollten für die Fans antreten
Am Ende war es am vergangenen Sonnabend offenbar eine größere Gruppe spanischer Spieler, die sich aus Rücksicht auf die Fans dazu entschloss, doch noch zu spielen. Die Entscheidung, das Spiel zur Halbzeit abzubrechen, sei letztendlich nicht von den Spielern, sondern vielmehr von den Verantwortlichen der Dragons um Generalmanager Robinson getroffen worden sein.
In dem internen Chatprotokoll der Dragons-WhatsApp-Gruppe „Front Office + Coaches“, das dem Abendblatt vorliegt, schrieb Robinson am Spieltag um 9.24 Uhr: „Hey Coaches, wir (die Verantwortlichen, d. Red.) werden beim Spiel erscheinen, um die Entscheidung der Jungs zu unterstützen und ich werde die beste Entscheidung in Sachen Sicherheit treffen. Wenn ihr besorgt oder unsicher seid, rate ich euch, nicht zu kommen, um die Dinge nicht noch schlimmer zu machen.“ In den kommenden Tagen werde man dann weitersehen.
In einer weiteren internen Chatnachricht von Montag, 14.39 Uhr, teilte ein führendes Mitglied des Trainerstabs mit, nicht mehr zum Training zu erscheinen, obwohl das Management dies verlange. „Wir alle waren Lügen, Manipulationen und andauernder Täuschung hinsichtlich unserer ausstehenden Gehälter ausgesetzt“, heißt es dort. „Ich persönlich habe, seitdem ich hier bin, überhaupt keine Bezahlung oder dergleichen erhalten.“
Dragons reagierten nicht auf Abendblatt-Nachfrage
Insbesondere die US-amerikanischen Trainer und Spieler befinden sich derzeit in einer schwierigen Situation. Weil ihr Schengen-Visum ausläuft, müssen sie Spanien eigentlich zeitnah verlassen. Angesichts noch ausstehender Gehälter und der Tatsache, dass die Dragons offenbar keine Bereitschaft zeigen, die teuren Rückflüge zu bezahlen, befinde man sich aber in einer Zwickmühle, berichten Spieler und Trainer. Teile des Trainerstabs suchen offenbar bereits Kontakt zu Anwälten.
Das Abendblatt schickte einen Fragenkatalog an die Barcelona Dragons und Robinson. Dieser blieb zunächst unbeantwortet, ehe Robinson am frühen Mittwochabend doch noch telefonisch einräumte, dass es Schwierigkeiten gebe. Die ausstehenden Gehaltszahlungen begründete er unter anderem mit Transaktionsproblemen zwischen US-amerikanischen und spanischen Banken.
Insgesamt befinde man sich in einem Lernprozess, den Vorwurf fehlender Visa wollte er nicht kommentieren. ELF-Commissioner Patrick Esume lehnte eine Interviewanfrage ab, ein Pressesprecher der Liga verwies lediglich auf die Dragons. Es stünde der ELF nicht zu, die Abläufe einer eigenständigen Franchises zu kommentieren.
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Über Umwege hieß es lediglich, dass in Barcelona keine finanziellen Schwierigkeiten bestünden, sondern es sich vielmehr um eine Revolte der Importspieler handele. Hintergrund sei, dass US-Cornerback Dominique Shelton, Sohn des bisherigen Headcoaches David Shelton, überraschend entlassen worden sei. Diese Darstellung weisen die Abendblatt-Quellen jedoch entschieden zurück.
Kendral Ellison, der Ex-Sea-Devil, hatte am Ende seiner Ansprache am Sonnabend nur noch einen Wunsch. „Ich hoffe, dass ihr die Saison beendet. Das ist das, was ihr verdient“, sagte der Münchner Headcoach in Richtung der Dragons-Spieler. Dies wäre für das Image der ELF wichtig, allzu wahrscheinlich erscheint dies zurzeit allerdings nicht.