Hamburg. Der 2014 aus Äthiopien geflohene Haftom Welday startet an diesem Sonntag in Budapest erstmals für Deutschland bei einer WM.

So recht dran glauben, dass sein Laufmärchen wahr geworden ist, das wird er erst, wenn er am Sonntagmorgen um 7 Uhr in Budapest an der Startlinie steht, den Bundesadler auf der Brust, der ihn als Marathonläufer der deutschen Nationalmannschaft ausweist.

Haftom Welday kann noch nicht einschätzen, welche Emotionen dieser Moment freisetzen wird, aber was ihm seine erste WM-Teilnahme bedeutet, daran gibt es keinen Zweifel. „Es ist für mich eine unglaubliche Ehre, für Deutschland starten zu dürfen. Ich bin unendlich dankbar für all die Hilfe, die ich bekommen habe, und freue mich darauf, mit guten Leistungen zurückzahlen zu können“, sagt er.

Leichathletik-WM: Welday startet im Marathon

Haftom Welday, 33 Jahre alt, lebt in Ungarns Hauptstadt einen Traum, den er noch gar nicht allzu lange träumt. 2014 war er aus der Krisenregion Ti­gray im Norden seiner alten Heimat Äthiopien nach Deutschland geflohen. Laufen war damals alles andere als seine Leidenschaft, „im Gegenteil, ich habe es gehasst“, sagt er.

Erst als er in Pattensen (Niedersachsen), wo er damals lebte, durch Zufall im Fernsehen den aus Äthiopien stammenden Mittelstreckler Homiyu Tesfaye für Deutschland laufen sah, war sein Ehrgeiz geweckt. Weil Ausdauer schon immer seine Stärke war, ging er zum Probetraining beim TSV Pattensen, legte dort am ersten Tag sein Sportabzeichen ab – und war davon derart euphorisiert, dass er beschloss, professionell zu trainieren.

Welday lebt seit Dezember 2021 in Hamburg

„Das Ziel, es zur WM zu schaffen, habe ich aber erst seit wenigen Jahren“, sagt der 1,76 Meter große und rund 57 Kilogramm schwere Athlet, der seit Ende 2021 im Hamburger Stadtteil Groß Borstel lebt und für den Hamburger Laufladen e. V. startet.

Seit er im September 2021 bei seiner Marathon-Premiere in Berlin nach 2:13:47 Stunden auf Gesamtrang 13 ins Ziel lief, war sein Glaube daran, es in die Weltspitze zu schaffen, zementiert.

Im September vergangenen Jahres erhielt Haftom Welday die deutsche Staatsangehörigkeit, im selben Monat lief er in Berlin seine persönliche Bestzeit – 2:09:06 Stunden, damit ist er Siebter der ewigen deutschen Bestenliste und erfüllte die WM-Norm für Budapest. Zufrieden allerdings ist er damit noch lange nicht.

Olympianorm liegt bei 2:08:10

Um sich als einer von drei möglichen Deutschen für die Olympischen Sommerspiele 2024 in Paris zu qualifizieren, ist eine Norm von 2:08:10 Stunden gefordert. „Und in Paris will ich nicht einfach nur dabei sein, sondern vorn mitlaufen. Also muss ich mich um ungefähr fünf Minuten verbessern“, sagt er.

Ob ihm das bereits am Sonntag gelingt, ist indes zweifelhaft. Die Vorbereitung sei nicht ganz problemlos verlaufen, „mental bin ich in Topform, körperlich könnte es besser sein, aber so ist es im Sport nun mal“, sagt er.

Seit Mitte Mai hatte er sich in Burayu, auf rund 2600 Metern im äthiopischen Hochland gelegen, vorbereitet, erst in der Nacht zu Freitag reiste er von Addis Abeba nach Budapest. Aber weil in Äthiopien Regenzeit herrschte, waren die Trainingspisten oft schlammig und rutschig, „die Verletzungsgefahr war hoch, ich hatte ein paar kleine Blessuren“, sagt er.

Haspa Marathon bot wichtige Erfahrungen

Als Ausrede allerdings solle das nicht verstanden werden, versichert er. Haftom Welday, der in der Hamburger B2B-Versandlösung LetMeShip einen Hauptsponsor gefunden hat, hat insbesondere an seiner Ausdauerhärte gearbeitet. Einen 39-Kilometer-Lauf genau drei Wochen vor WM-Start absolvierte er auf einer Schotterpiste mit Steigung und Gefälle in rund 2:20 Stunden.

Die Fokussierung auf die langen Distanzen war eine Konsequenz aus seiner Erfahrung beim Has­pa Marathon in Hamburg Ende April. Dort lag er bei Kilometer 35 auf Kurs deutscher Rekord (2:06:27 von Amanal Petros), musste dann aber dem hohen Anfangstempo Tribut zollen und wurde in 2:09:40 Stunden Achter.

Nur zwei Deutsche in Budapest am Start

„Das war ein wichtiger Lerneffekt für mich. Ich bin mit Absicht voll angegangen, weil ich meine Grenzen austesten wollte. Solche Erfahrungen sind wichtig für mich“, sagt er. In Budapest werde er nicht ins Risiko laufen, „sondern ich will mich im Vorderfeld halten und dann hoffentlich zum Ende zulegen können.“

Dass im ebenfalls in Hamburg geborenen, aber für SCC Berlin startenden Johannes Motsch­mann (29) nur ein weiterer Deutscher bei der WM läuft und seine Bekanntheit dadurch über Hamburg hinaus wachsen dürfte, erfüllt Haftom Welday mit Stolz. „Umso mehr versuche ich, mich so gut wie möglich zu präsentieren.“

Freude auf Rückkehr zur Familie

Sollte es mit der angepeilten Olympianorm nichts werden, kommt im Dezember in Valencia (Spanien) eine weitere Chance. „Wenn ich gesund bleibe, werde ich die Norm schaffen“, sagt er. Zunächst jedoch freut er sich auf ein paar Tage Freizeit in Hamburg – und die Rückkehr zur Familie.

Die monatelange Trennung von seiner Ehefrau Brtukan, Sohn Mateus (10) und den Zwillingsmädchen Hana und Hyab (2) sei zwar hart, „aber als ich damals ohne Brtukan und Mateus aus Äthiopien geflohen bin, war es noch viel härter“, sagt er. Die Familie stehe voll hinter ihm. „Sie leben meinen Traum mit mir“, sagt er, „und sie werden sehr stolz sein, wenn sie mich am Sonntag im Fernsehen sehen.“

Egal, wie dieses Laufmärchen endet: Haftom Welday hat für sich und seine Lieben schon viel mehr erreicht, als er sich vor neun Jahren hätte vorstellen können.