Itajaí/Brasilien. „Ein wahr gewordenes Märchen“: Nach fast 35 Tagen hat das Team des Hamburger Extremseglers die Königsetappe des Ocean Race gewonnen.
Der Hamburger Extremsegler Boris Herrmann hat die dritte Etappe des Ocean Race gewonnen. Am Sonntag um 7.20 Uhr überquerte er mit seiner Crew der „Malizia – Seaexplorer“ nach 34 Tagen, 17 Stunden, zehn Minuten und 28 Sekunden die Ziellinie vor Itajaí in Brasilien. Als Entlohnung gab es nicht nur den Etappenpokal, sondern auch die „Roaring Fourties Trophy“ für die schnellste Passage vom Kap der Guten Hoffnung bis Kap Hoorn.
„Es ist wie ein wahr gewordenes Märchen“, sagte der 41-Jährige. „Zwischenzeitlich stand ein Abbruch der Etappe im Raum wegen des stark beschädigten Mastes, wir lagen 700 Meilen hinter dem führenden Boot.“ Jetzt gewonnen zu haben, sei etwas ganz Besonderes. Sein Co-Skipper Will Harris ergänzte: „Das war eine unglaubliche Erfahrung da draußen im Südpolarmeer.“ Das Gefühl, in Itajaí anzukommen, sei unbeschreiblich gewesen.
Boris Herrmann schildert „entscheidenden Moment“
Damit geht die längste und härteste Etappe des Ocean Race zu Ende. Mehr als 14.700 Seemeilen lang war die Strecke, die Ende Februar in Kapstadt (Südafrika) gestartet wurde. „Für mich war der entscheidende Moment am Sonnabend gegen Mittag“, sagte Herrmann. Da habe er beobachtet, wie die Holcim PRB von Kevin Escoffier, mit der er lange Zeit quasi gleichauf lag, plötzlich in die falsche Richtung gefahren sei. „Mir war sofort klar, dass die ein Problem haben.“ Wenig später habe er erfahren, dass die Konkurrenten ihr defektes Segel reparieren mussten. „Und damit haben sie Meilen verloren.“
In der Gesamtwertung rückte Herrmanns Crew nach dem Etappensieg mit 14 Punkten auf Platz zwei hinter Team Holcim-PRB (19 Punkte) vor. Noch sind 60 Prozent der Punkte an die fünf Jachten zu verteilen. Maximal 25 Zähler kann ein Team bis zum Finale Ende Juni im italienischen Genua noch gewinnen.
Boris Herrmann und Crew meisterten harte Wochen
Für die Crew gingen die wohl härtesten Wochen des Ocean Race zu Ende. Nicht nur die Bedingungen im Südpolarmeer machten ihnen zu schaffen. Zu Beginn riss dem Team eines der wichtigsten Segel. Wenig später entdeckten sie einen großen Riss im Mast. Kurze Zeit lang mussten die fünf ans Aufgeben denken. Doch die beiden Co-Skipper Harris und Rosalin Kuiper gaben am Masttop in fast 30 Metern Höhe alles und konnten den Riss flicken.
Diesen Moment bezeichnete Herrmann am Sonntagmorgen als die größte Herausforderung während der gesamten Etappe. „Wir durften nicht riskieren, dass der Mast ganz bricht.“ Zudem sei nicht klar gewesen, wie gut man ihn da draußen auf dem offenen Meer überhaupt hätte reparieren können. „Eine Zeit lang haben wir nicht für möglich gehalten, dass wir noch einmal in einen Rennmodus zurückkehren können.“
Boris Herrmanns Rechnung ging wiederholt auf
Die Reparaturen warfen Herrmann und sein Team auch zunächst kräftig zurück. Mühsam kämpfte die Crew sich wieder heran, überquerte die Linie der Zwischenwertung, den 143. Längengrad Ost, bereits als zweites Boot und übernahm die Führung ab Kap Hoorn.
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Der Etappensieg beweist aber auch, dass Herrmanns Strategie aufgegangen ist. Er hatte seine neue Jacht extra für die rauen Bedingungen im Südpolarmeer bauen lassen. In den ersten beiden Etappen hatte die Crew mit leichten Winden zu kämpfen gehabt, dafür ist das Schiff nicht gemacht, und deshalb kurz vor Kapstadt die Führung noch eingebüßt. Das änderte sich, als im Südpolarmeer das Wetter rauer und die Wellen höher wurden, und Herrmanns Schiff seine Qualitäten ausspielen konnte.
Schmerzen der Co-Skipperin sind vergessen
Die Etappe gewonnen zu haben beweise, dass es richtig gewesen sei, ein schweres Schiff zu bauen. „Der Rumpf ist so stark, so hart. Das hat Rosi ja leider am eigenen Leib erfahren müssen“, sagte Herrmann. Die Co-Skipperin hatte sich vor wenigen Tagen bei einem Sturz aus der Koje eine Platzwunde und eine Gehirnerschütterung zugezogen. „Selbst ich bekomme bei dem harten Rumpf hin und wieder Kopfschmerzen. Rosi hat mir wirklich leidgetan“, sagte Herrmann.
Spätestens seit dem Zieleinlauf waren die Schmerzen aber vergessen. „Vor ziemlich genau einem Jahr haben wir Rumpf und Deck zusammengesetzt. Und jetzt ein Jahr später haben wir quasi einmal die Welt umrundet“, sagte der Hamburger. „Dieses Jahr war so intensiv, es ist so schnell vergangen. Ich möchte eine solche Strecke auf keinem anderen Boot segeln. Für die Vendée Globe ist es für mich das ideale Boot.“ Herrmann will im kommenden Jahr versuchen, mit seinem Schiff die Non-Stop-Regatta für Einhandsegler zu gewinnen. Beim vergangenen Rennen 2020/2021 hatte er Platz fünf belegt.
Boris Herrmann fliegt zurück nach Hamburg
In den kommenden Tagen haben die Segler Zeit, sich von den Strapazen zu erholen. Besonders Kuiper wird die auch brauchen. Sie wird in Brasilien medizinisch durchgecheckt. „Es war natürlich nicht ideal an Bord“, sagte sie nach dem Zieleinlauf. „Aber die Jungs haben eine überragende Arbeit geleistet.“ Sie sei einerseits froh, wieder an Land zu sein, andererseits fehle ihr schon jetzt das Leben auf dem Boot mit den vier Crewmitgliedern. Die Schiffe werden in Brasilien an Land generalüberholt. Der Start zur vierten Etappe ist am 23. April vor Itajaí. Dann geht es rund 5500 Seemeilen bis nach Newport in den USA.
Wie das Abendblatt erfuhr, wird Herrmann dann allerdings nicht an Bord sein, sondern zu Hause in Hamburg. Er hatte von Beginn an geplant, mindestens eine Etappe auszusetzen, um seine Familie zu sehen. Co-Skipper Harris wird die Verantwortung an Bord übernehmen, wie bereits bei der zweiten Etappe, als der Hamburger Herrmann verletzt ausfiel.