Kiel/Lorient. Susann Beucke segelt beim Ocean Race. Ihr Skipper ist für Herrmann der derzeit größte Konkurrent – auch, weil er so anders ist.
Susann Beucke hat sich ein paar Tage Auszeit genommen und ist länger als geplant in Südafrika geblieben. Sie hat sich für einen Kite-Kurs angemeldet und ein paar Tage in Kenia bei ihrem Freund verbracht, bevor es am vergangenen Wochenende dann zurück nach Frankreich ging. „Ich habe festgestellt, dass es mir sehr gutgetan hat und habe spontan ein wenig verlängert“, sagt die Seglerin. Schließlich habe sie gerade eine intensive Zeit hinter sich – sowohl körperlich als auch mental.
Die junge Frau hat an der zweiten Etappe des Ocean Race von den Kapverdischen Inseln bis Kapstadt teilgenommen, 17 Tage auf See unter härtesten Bedingungen. Susann Beucke gehört zum Team Holcim PRB unter Skipper Kevin Escoffier, das die zweite Etappe gewinnen konnte und in der Gesamtwertung führt. Eine Tatsache, die die junge Frau stolz macht. „Es war eine unglaubliche Erfahrung“, sagt sie.
Ocean Race: Susann Beucke will Boris Herrmann bei Weltumseglung schlagen
Das Besondere bei Susann Beucke: Die Seglerin hat zum ersten Mal so viele Tage unter derartig extremen Bedingungen an Bord verbracht. Die geborene Kielerin ist erst vor einem guten Jahr ins Hochseesegeln eingestiegen, zuvor hat sie in der 49er Jolle zusammen mit Tina Lutz für den Norddeutschen Regatta Verein (NRV) gesegelt. Bei den Olympischen Sommerspielen in Tokio 2020 konnten die beiden Frauen die Silbermedaille gewinnen und erzielten damit für den Deutschen Segler Verband das beste Ergebnis seit 21 Jahren.
Und so haben die 17 Tage auf See, die erste Langstrecke unter härtesten Bedingungen, sie auch an ihre Grenzen gebracht, berichtet die 31-Jährige – in einer Form, die sie nicht erwartet hat. Das Segeln selbst im rauen Atlantik sei nicht das Problem gewesen, auch nicht die körperlichen Strapazen. Das Herausforderndste waren die Enge an Bord und die Kommunikation. „Drei meiner Mitsegler sind Franzosen. Die haben eigentlich immer auf Französisch untereinander gesprochen“, sagt Susann Beucke.
Nur für sie und die Bord-Reporterin hätten sie bei Manövern ins Englische gewechselt. „Aber das Zwischenmenschliche, der Spruch hier, der Witz dort, das ist an mir vorbeigegangen.“ Susann Beucke sagt, dass sie zwar ganz gut Französisch spricht, „aber an Bord, bei dem Lärm und auf die Schnelle, da geht bei mir so einiges verloren.“ So habe sie sich hin und wieder ausgeschlossen gefühlt, ohne dass sie ausgeschlossen worden sei. „Damit habe ich irgendwie gar nicht gerechnet. Und vor allem hat es mir mehr zu schaffen gemacht, als ich erwartet hätte.“
Susann Beucke ist beeindruckt von ihrem Skipper Kevin Escoffier
Auch die große Hitze unter Deck sei zwischendurch schier unerträglich gewesen. „Ich hätte nie gedacht, dass einem diese Temperaturen so zusetzen.“ Aber bei mehr als 40 Grad sei an Schlaf nicht zu denken. „Und das kostet Kraft.“ Zudem habe sie sich dabei ertappt, genau auf jedes Geräusch des Bootes zu hören, besonders in der Dunkelheit. „Ich kenne das Boot ja noch nicht so gut und habe mich bei jedem unerwarteten Geräusch gefragt: War das jetzt gut oder nicht so gut?“
Beeindruckt habe sie ihr Skipper Kevin Escoffier. Der Franzose gilt als einer der besten Hochseesegler der Welt, er ist der Mann, den der Hamburger Extremsegler Boris Herrmann schlagen muss, wenn er das Ocean Race gewinnen will. Escoffiers Schiff war bei der Vendée Globe 2020 im Südpolarmeer gesunken, sein Leben hat er Konkurrent Jean Le Cam zu verdanken, der ihn aus dem Wasser holte. Auch Boris Herrmann hatte sich damals an der gefährlichen Rettungsaktion beteiligt.
„Von Kevin kann man unfassbar viel lernen“, sagt sie. Er gebe sich nie zufrieden, arbeite eigentlich permanent daran, das Boot schneller zu machen. „Er strahlt eine unglaubliche Ruhe und Sicherheit aus, das ist beeindruckend.“ Nie habe sie ihn nervös oder unsicher erlebt, ängstlich schon gar nicht. Vielleicht auch kein Wunder, nach dem was er bereits erlebt habe.
Das steht im Kontrast zu Susann Beucke, die im Hochseesegeln ein absoluter Neuling ist. Erst Anfang 2022 ist die Norddeutsche nach Lorient in Frankreich gezogen, dem Mekka der Hochseesegelszene. Hier begann sie auf einer Figaro zu segeln, in einer besonderen Einhand-Bootsklasse. Dort im Hafen sprach Escoffier sie auch an.
Und in Lorient entschied sie, an dem Rennen einmal um die Welt mit seinem Team teilzunehmen. Escoffier, der für sein Team auf zwei Frauen zurückgreifen kann, entschied sich, Susann Beucke in der zweiten Etappe an Bord zu nehmen. „Das war ein unbeschreibliches Gefühl“, sagt sie. Und weiter: „Ich habe in den Tagen so viel gelernt, genau das war mein Ziel.“
Ocean Race: Beucke fühlt sich wie ein Fußballer auf der Ersatzbank
Für die dritte Etappe, die vor gut drei Wochen in Kapstadt gestartet ist, wurde die junge Frau allerdings nicht nominiert. Kein Grund für die fröhliche Seglerin, traurig zu sein. „Ich hatte bereits eine tolle Zeit und bin dankbar, dass ich dabei sein durfte“, sagt sie. Zudem gebe es noch viele weitere Etappen, an denen sie wieder dabei sein könne. „Ich bin für das Team da, sobald es mich braucht. Das ist für mich selbstverständlich.“ Derzeit fühle sie sich vermutlich wie ein Fußballspieler, der auf der Bank sitze, mehr nicht. „Es fühlt sich nicht wie warten an. So etwas gehört einfach dazu.“
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Gerade segeln die teilnehmenden Yachten die längste und härteste Etappe von Kapstadt nach Itajaí in Brasilien durchs Südpolarmeer, immer an der Eisgrenze entlang. Gut drei Wochen liegen hinter den Teams, noch knapp drei vor ihnen. Susann Beucke ist nach dem spontanen Urlaub in Afrika nun zurück in Lorient und will in der Zwischenzeit auf ihrer Figaro weiter trainieren. „Ich werde die Zeit sinnvoll nutzen, das ist klar“, sagt sie. Schließlich gebe es noch ihre Kampagne „This Race is female“, um die sie sich kümmern wolle und müsse.
Konkurrentin von Boris Herrmann: Susann Beuckes will an der Vendée Globe teilnehmen
Anfang April werden die Yachten dann in Itajaí erwartet. Spätestens zu diesem Zeitpunkt werden wieder spannende Tage für Susann Beucke anbrechen. Eine Entscheidung, ob sie bei der vierten Etappe von Brasilien nach Newport in den USA dabei ist, ist bisher nicht gefallen. „Kevin wird es sicher kurzfristig entscheiden“, sagt Susann Beucke. Also nach dem Ende der dritten Etappe. Klar ist, sie stünde bereit und würde sich sofort in den Flieger setzen, sollte er sie nominieren. „Die Chance werde ich mir natürlich nicht entgehen lassen.“
Mit Holcim PRB gehört Susann Beucke dem Team an, das derzeit in der Gesamtwertung führt. Und wer weiß, vielleicht kann sie bereits im Juli zu ihrer Olympiamedaille und anderen unzähligen Preisen noch den des Sieges im Ocean Race hinzufügen.
Einen besseren Start ins Hochseesegeln kann es nicht geben. Denn Susann Beucke ist ehrgeizig. Ihr Ziel: die Vendée Globe 2028. Und ein Sieg im Ocean Race wäre die perfekte Voraussetzung für eine eigene Solokampagne an dessen Ende die Teilnahme an der härtesten Einhandregatta der Welt steht.
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