Vor dem Spiel wurde Mesut Özil von den Fans noch als Spieler des Jahres ausgezeichnet. Mit seiner Auswechslung hagelte es ein gellendes Pfeifkonzert. Boateng steht seinem Kollegen bei und kritisiert die Fans scharf.
Stuttgart. Zwischen aufmunterndem Applaus und gellenden Pfiffen lagen für Mesut Özil gerade 90 Minuten. Vor dem Anpfiff des Länderspiels gegen Chile wurde der kriselnde Fußball-Künstler vom Fanclub der Nationalmannschaft noch als Spieler des Jahres ausgezeichnet, doch diese Ehrung für überragende Leistungen im vergangenen Jahr war schnell vergessen. Bei seiner Auswechslung kurz vor dem Schlusspfiff bekam an erster Stelle der sensible Arsenal-Profi den Unmut des Stuttgarter Publikums zu spüren. „Das ist eine Frechheit. Einen Spieler auszupfeifen, der auch noch in einer schwierigen Situation steckt, geht gar nicht“, schimpfte Kollege Jérome Boateng.
Özil flüchtete ohne Worte aus dem Stadion, eiligen Schrittes hastete er in den Katakomben an Reportern und Kameras vorbei. Der 25-Jährige ist Fan-Unmut und Kritik seit mehreren Wochen gewöhnt, auch in England durchlebt der 50 Millionen Euro teure Star derzeit schwere Zeiten. Beim 0:2 des FC Arsenal im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League gegen Bayern München etwa verschoss er einen Elfmeter.
„Ich glaube, Mesut haut nichts mehr um“, bemerkte Arsenal-Kollege Per Mertesacker nach dem 1:0 am Mittwochabend. Auch Teammanager Oliver Bierhoff rügte dezent die zahlenden Stadion-Besucher. „Ich finde es schade, wenn so ein Spieler wie Mesut herausgepickt wird. Da wünsche ich mir in so einem Spiel mehr Unterstützung“, sagte der Ex-Profi.
Der Bundestrainer wollte Özil helfen, ihn trotz Formschwäche nicht auf die Ersatzbank setzen. Joachim Löw hat sich auch in London mit seinem sensiblen Spielmacher getroffen. „Wir haben uns immer wieder ausgetauscht.“ Im Hinblick auf die Weltmeisterschaft in Brasilien baut der Bundestrainer weiter auf den 53-maligen Nationalspieler. „Ich weiß, was Mesut Özil kann. Ich habe hundertprozentiges Vertrauen, dass er bis zur WM zu seiner Form findet“, sagte Löw.
Özils Können ist unbestritten. Mit acht Toren war er nicht nur der erfolgreichste deutsche Torschütze in der WM-Qualifikation. Er ist nicht umsonst der Fan-Liebling, der nun plötzlich im Nationaltrikot die schmerzhafte Kehrseite mit Unmutsäußerungen und Pfiffen erlebt.
Löw wollte Özil nicht auf die Bank setzen. Mit der Maßnahme, ihn rechts im Mittelfeld aufzubieten und nach der Pause als falsche Neun in die Spitze zu stellen, wo der nicht so robuste Techniker ein weiteres Mal erkennbar fremdelte, half er seinem kriselnden Regisseur allerdings nicht. Nur im Zentrum, wohin es ihn immer wieder drängte, flackerte Özils Können wenigstens in einzelnen Szenen auf, etwa bei der sehenswerten Vorbereitung des Siegtores von Mario Götze.
„Ich muss für Mesut keine Rolle suchen“, wiegelte Löw ab. „Ich weiß, auf welchen Positionen er spielen kann.“ Am wertvollsten aber war der Spielmacher immer in der Mitte. Löw hat einen WM-Sorgenfall mehr, den er lösen muss. „Mesut ist ein großartiger Fußballer. Er wird uns bei Arsenal und dem DFB noch Freude bereiten“, glaubt Lukas Podolski, der ihn als Teamkollege in London Tag für Tag hautnah erlebt.