Deutschlands Boateng über die Folgen des Fouls seines Bruders Kevin-Prince an Michael Ballack und das Gruppenspiel gegen Ghana.

Erasmia. Er wirkt locker und entspannt. Obwohl morgen das aus privater Sicht wichtigste Spiel der WM für Jerome Boateng ansteht, wenn er mit Deutschland im letzten Gruppenspiel am Mittwoch auf Ghana trifft (20.30 Uhr/ARD und im Liveticker auf abendblatt.de) – und seinen Bruder Kevin-Prince, der mit einem Foul im englischen Pokalfinale dafür „sorgte“, dass Michael Ballack in Südafrika fehlt. Nach einigen öffentlichen Scharmützeln herrscht derzeit brüderliche Funkstille.

Abendblatt: Herr Boateng, Ghana gegen Deutschland, das ist auch das Duell der derzeit zerstrittenen Brüder. Wird es zwischen Ihnen und Kevin-Prince auf dem Platz ein gemeinsames Zeichen der Aussöhnung geben?

Jerome Boateng: Das weiß nicht. Wir haben ja nicht mehr miteinander gesprochen. Die Situation ist nun mal so, das kommt in anderen Familien auch vor. Ich warte jetzt ab, wie es während des Spiels oder danach läuft, wünsche Ihm aber trotzdem das Beste. Er ist schließlich mein Bruder.

Hat sich der Familienrat nicht eingeschaltet?

Nein. Was sollten sie auch sagen? Wir sind alt genug, das unter uns zu klären.

Bedauern Sie die öffentliche Eskalation?

Natürlich! Ich finde es schade, dass Kevin damit überhaupt angefangen hat. Ich habe dann zwar auch öffentlich geantwortet, aber über unseren Streit musste ja nicht die ganze Welt Bescheid wissen. Es hätte gereicht, das untereinander zu klären. Er hätte mir in einem Telefonat sagen können: So geht’s nicht. Und beim Spiel hätte man sich die Hand gegeben. Fertig.

Finden Sie es schade, dass die Brüder national getrennte Wege gegangen sind?

Selbstverständlich. Aber es war seine Entscheidung. Er hat eben seinen Kopf und ich meinen.

Nach Kevins Foul gegen Ballack gab es etliche rassistische Reaktionen von deutschen Fans....

…das hat sich inzwischen gelegt. Ich habe sie auch nicht persönlich erhalten, sondern mein Berater per E-Mail. Er hat mir gesagt: Leider ist es immer noch da. Ich selbst hatte aber in den letzten Jahren nicht unter Rassismus zu leiden.

Ist das Spiel am Mittwoch für Ihren Vater am schwierigsten?

Überhaupt nicht. Der hat immer gute Laune, freut sich auf das Spiel und sagt: Der Bessere soll gewinnen. Er wird am Mittwoch auf der Tribüne sitzen.

Wie stehen Sie in Kontakt zu ihm?

Wir haben uns am Sonntag getroffen und uns unterhalten, aber nicht über das Spiel oder das Bruder-Thema. Er sagte nur, dass ich weiter gut trainieren und mir keine Sorgen machen soll. Er wünscht sich, dass ich mich auf den Fußball konzentriere.

Welche sportlichen Erkenntnisse haben Sie über Ghana gewonnen?

Das Spiel gegen Serbien habe ich ganz, die Partie gegen Australien nur am Rande verfolgt. Ghana ist im Angriff schon gefährlich, ist dribbelstark und schnell. Wie die meisten afrikanischen Mannschaften sind sie körperlich stark und aggressiv. Aber wenn wir unser Spiel durchbringen, gewinnen wir auch, weil wir einfach die bessere Spielanlage haben.

Wie bewerten Sie die bisherigen Leistungen Ihres Bruders?

Er hat sehr gut gespielt, gerade wenn man seine Umstände berücksichtigt, mit denen er sehr gut umgegangen ist. Schließlich heißt es nicht: Heute spielt der Kevin. Man sagt: Heute spielt der Treter. Ich hoffe, dass er sich auch am Mittwoch nicht so einen Kopf gegen uns macht und sein Spiel machen kann. Natürlich will ich nicht, dass er sein bestes Spiel macht…(lacht)

Ist er einer der gefährlichsten Spieler, was den Zug zum Tor betrifft?

Kevin ist nicht nur sehr torgefährlich, gerade auch aus der Distanz, sondern er verfügt auch über eine gute Übersicht. Außerdem ist er sehr zweikampfstark.

Was mag er nicht so, wie kann man ihn eingrenzen?

Ich weiß noch von früher: Wenn einer die ganze Zeit bei ihm ist und ihn nervt, mag er das überhaupt nicht. Er ist ja auch ein sehr emotionaler Typ.

Gehen Sie nicht auch emotional vorbelastet in das Spiel? Warum ist nicht zu befürchten, dass sie übermotiviert wären?

Ich kann solche Überlegungen verstehen und natürlich kann es sein, dass ich ein Stück aufgeregter bin als sonst. Aber wenn ich an das Russland-Spiel in der WM-Qualifikation, denke, an mein erstes Länderspiel: Damals war ich auch verdammt aufgeregt, und nach dem Anpfiff gab es nur noch den Fußball. Dann ist alles andere vergessen. Ich könnte diese ganzen Randerscheinungen auch gegen Ghana beiseite schieben.

Fühlen Sie sich als Verlierer der Vorbereitung?

Nein. Erstens bin ich noch jung, und zweitens wollte Philipp Lahm gerne rechts spielen. Es ist ja nicht so einfach, sich gegen den Kapitän durchzusetzen. Man muss alles positiv sehen. Ich versuche mir jetzt eben einiges abzuschauen, auch von den Innenverteidigern.

Gibt es eine Chance auf einen Einsatz in der Verteidigung, zum Beispiel als Badstuber-Ersatz?

Das kann ich noch nicht sagen, das hat man im Training noch nicht erkennen können. Natürlich hoffe ich darauf und biete mich an. Als Linksverteidiger sehe ich mich nicht unbedingt, aber ich kann es auch spielen wie beim HSV zwei-, dreimal gegen die Bayern. Zu Holger möchte ich aber noch etwas sagen: Sicher kann man Kritik üben, aber was mit ihm passiert ist, fand ich übertrieben. Es ist immer schwer für einen jungen Spieler, wenn er fertig gemacht wird. Er ist kein gelernter Außenverteidiger. Ich finde, er hat seine Sache trotzdem gut gemacht.

Sie waren noch nie in Ghana. Hat der Aufenthalt hier in Südafrika Ihre Lust verstärkt, das Land Ihres Vaters zu besuchen?

Ich hatte die ganze Zeit Lust, aber das hier gibt mir schon noch einen Schub. Als ich 2007 hinfliegen wollte, stieg ich gerade in Berlin zu den Profis auf. Seitdem hatte ich nie im Winter zwei, drei Wochen frei. Und ich möchte schon längere Zeit dort sein, damit ich alles in Ruhe sehen und meine Familie kennen lernen kann, ein bisschen mehr von der Kultur erfahre.

Haben Sie ein wenig von der Sprache mitbekommen?

Bisher habe ich sie mir nur angehört, aber noch nicht versucht, sie zu lernen. Aber mir gefällt die Sprache. Die reden immer sehr laut, das finde ich witzig.

Was könnten wir Europäer uns von den Afrikanern abschauen?

Die gute Laune! Das ist schon auffällig. Obwohl man sieht, dass es Ihnen nicht so gut geht, viele in großer Armut leben, jubeln sie uns zu, freuen sich. Ein paar Sachen könnten sie sicher auch von uns lernen. Aber die Lebensfreude der Afrikaner ist schon beeindruckend.