Pflichtbewusst Dienst leisten oder Jubelarien anstimmen? Wie Unternehmen, Behörden und Schulen mit der frühen Anstoßzeit umgehen.
Hamburg. Ein Interessenkonflikt naht. Wenn morgen undankbarerweise um 13.30 Uhr das WM-Spiel Deutschland gegen Serbien angepfiffen wird, müssen viele Arbeitnehmer eine Entscheidung treffen. Pflichtbewusst Dienst leisten oder schwarz-rot-goldene Jubelarien anstimmen? Anders formuliert: Aktenberg beackern oder Live-Ticker aktualisieren? Eine moralisch harte Nuss.
Rechtlich ist die Sache indes eindeutig. "Grundsätzlich hat ein Arbeitnehmer keinen Anspruch, für ein Großereignis wie die WM freigestellt zu werden", sagt Arbeitsrechtler Christian Oberwetter. Setzen sich Angestellte darüber hinweg, müssten sie zwar nicht mit einer Kündigung rechnen, "aber ein Abmahnungsgrund ist das". Außerdem könnte bei einer vertraglichen Pflichtverletzung das Geld für die Ausfallzeit gestrichen werden. Um derartige Sanktionen zu umgehen, könnte nach Angabe des Hamburger Anwalts unbezahlter oder normaler Urlaub genommen werden. Zudem könne die Arbeitszeit nach vorheriger Absprache unterbrochen werden. "In jedem Fall besitzt der Arbeitgeber Direktionsbefugnis", sagt Oberwetter. Damit stünden ihm aber auch Möglichkeiten offen, entgegenkommende Regelungen für Fußball-Fans zu treffen. Die rechtliche Sichtweise ist aber nur eine Seite der Medaille.
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In einer fußballbedingten Ausnahmesituation denken viele Arbeitgeber zwar weiterhin kundenorientiert, verlieren aber die Motivation ihrer Mitarbeiter nicht aus den Augen. Bei der Haspa mit 5500 Angestellten ist zwar kein hausinternes "Corporate Viewing" geplant. "Wir gehen aber davon aus, dass viele Filialteams etwas organisieren - soweit der Kundenservice dadurch nicht beeinträchtigt wird", sagt Sprecherin Stefanie von Carlsburg.
Ähnlich wird es in der Hamburger Sozialbehörde gehandhabt. "Unsere 1776 Mitarbeiter können im Multifunktionsraum Fußball gucken", sagt Sprecherin Julia Seifert. Voraussetzung: Sie stempeln sich aus oder gewährleisten in Abstimmung mit Vorgesetzten die Erreichbarkeit und den Kundenservice. Seifert selbst muss erreichbar bleiben, hat aber einen Fernseher mit 17-Zentimeter-Bildschirmdiagonale im Büro. "Abgesehen von dieser visuellen Herausforderung kollidiert bei mir Fußballinteresse mit Pflichtbewusstsein, wobei Letzteres überwiegt."
So argumentiert auch die Hamburger Feuerwehr. "Ob und in welcher Form Fußball geguckt wird, regelt jede Dienststelle für sich", sagt Manfred Stahl, Sprecher der Feuerwehr. Aber Dienst- oder Ausbildungseinheiten dürfen nicht leiden, schon gar nicht die Verpflichtung, in voller Stärke einsatzbereit zu sein. "Das schließt ja nicht aus, dass ein Fernseher flimmert." In der Schulbehörde heißt es zu eventuellen Lernboykotts der Schülerschaft: "Das Freitagsspiel und der Umgang damit ist eine Sache, die in die Autonomie jeder einzelnen Schule fällt."
Bei Marriott ist das Problem derweil komplexer - weil internationaler: "Bei uns arbeiten 20 Nationalitäten. Das allein verpflichtet uns zu WM-Lounges - für Gäste und für unsere 220 Mitarbeiter", sagt Peter van Rossen, General Manager des Hamburg Marriott. Der gebürtige Holländer: "Wer WM schauen möchte, bespricht sich mit seinen Kollegen und seinem Abteilungsleiter." Dienstpläne werden sogar nach der individuellen Fan-Euphorie gestaltet. Andreas Ulisch, Geschäftsführer von Edgar Ritter Holzdesign, muss dagegen unnachgiebig sein: "Ein Mitarbeiter hat sich extra frei genommen, aber weil wir einen wichtigen geschäftlichen Termin haben, muss ich ihn Freitag zurückholen." Auch der Chef hat ungünstige Karten für das Spiel: "Ich habe mich vor zwei Monaten bei einem Seminar angemeldet, aus heutiger Sicht natürlich sehr unglücklich." Auch bei Fahrrad Pagels muss gearbeitet werden. Geschäftsführer Jens Meer: "Wir leben vom Tagesgeschäft, da müssen wir flexibel und einsatzbereit sein." Nichtsdestotrotz bemühe er sich, "einen Fernseher in die Werkstatt zu stellen". Geduldetes Fernsehen. Immerhin.