Bundestrainer Joachim Löw profitiert bei der Weltmeisterschaft in Südafrika vor allem vom FC Bayern und der Nachwuchsarbeit des DFB.
Erasmia/Durban. Es hatte fast etwas Unterwürfiges, als DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger am Montagmittag das Wort erhob und den neben ihm sitzenden Bundestrainer in fast pathetischen Worten mit Lob überschüttete: "Ich möchte, unabhängig davon, was noch passiert, Joachim Löw sehr herzlich danken für seine Arbeit. Er hat diese junge Mannschaft nach seiner Spielphilosophie geprägt und geführt. Ich bin sehr glücklich, dass wir diesen Bundestrainer haben." Und weiter: "Herzlichen Dank, der deutsche Fußball weiß, was er an Ihnen hat."
Nun hat Zwanziger schon vor Turnierbeginn deutlich gemacht, dass er Löw unbedingt über die WM-Endrunde hinaus halten möchte. Das erneute "Liebeswerben" des DFB-Bosses mit den einschmeichelnden Sätzen untermauerte aber im Grunde nur die Tatsache, dass im Zuge der gescheiterten Vertragsverlängerung mit Löw und DFB-Manager Oliver Bierhoff eine ganze Lkw-Ladung Vertrauen zu Bruch gegangen ist. Noch immer gilt eine Weiterbeschäftigung Bierhoffs nach der WM als so gut wie ausgeschlossen. Kein Wunder also, dass es Zwanziger im Mannschaftsquartier vermied, von Löws Team in der Gesamtheit zu reden.
Dabei wächst mit Spielen wie gegen Australien der Druck auf Zwanziger, zumindest mit Löw unbedingt zu verlängern, immens. Der 50-Jährige hat es wieder geschafft, trotz aller Widrigkeiten vor und während der Vorbereitung eine Mannschaft gemäß seiner Spielphilosophie zu gestalten und dafür mutige Personalentscheidungen getroffen. Er setzte auf Sami Khedira und nicht auf Torsten Frings, weil ihm eine "Feuerwehr im Mittelfeld nicht mehr ausreicht". Beispielhaft auch, wie er Lukas Podolski verteidigte: "Mir fehlt jegliches Verständnis, dass über ihn so heftig diskutiert wurde, er hat eine unglaubliche Qualität, warum sollte ich an ihm zweifeln? Das sind genau die Spieler, die zu meiner Philosophie passen."
In intelligenter Art und Weise hat sich Löw für die DFB-Auswahl dabei vor allem zwei Vorteile zu Nutzen gemacht: Viele Junge kennen sich von der U-21-Nationalmannschaft und haben Spielzüge in hohem Tempo und in Doppelpassformen automatisiert. Gerade im Offensivbereich gingen gegen Australien Mesut Özil, Thomas Müller, Lukas Podolski und auch Miroslav Klose immer wieder in die Zwischenräume und hebelten die Defensive aus. Über vier Wochen hat Löw immer wieder über das zu verbessernde Spiel ohne Ball doziert und daran gearbeitet. So hat Löw den eigentlichen Nachteil der relativen Unerfahrenheit zu einem Vorteil umgekehrt. "Das ist sicher die neugierigste Mannschaft, die ich kenne. Sie folgen den Anweisungen des Trainers blind, glauben daran und versuchen sie umzusetzen", hat Bierhoff beobachtet.
Als Gewinner des umschwärmten Australien-Spiels dürfen sich indirekt auch der DFB und Sportdirektor Matthias Sammer fühlen, der den nach der völlig misslungenen EURO 2000 einsetzenden Schwerpunkt der Verbandsarbeit in der Nachwuchsförderung entscheidend vorangetrieben hat. Der Gewinn der Europameisterschaften der U 21 und der U 19 waren Vorboten dieses gewinnbringenden Prozesses.
Der zweite Vorteil für Löw ist die Blockbildung mit fünf Bayern-Spielern (plus dem früheren Münchner Podolski). "Das hat doch eine große Bedeutung", wies Miroslav Klose auf die Ähnlichkeit der Systeme hin. Von der hervorragenden Nachwuchsarbeit - zeitweise standen bei Bayern sieben Eigengewächse auf dem Platz - profitiert nun auch der DFB. Die Anspielung von Müller ("Louis van Löw") hat deshalb durchaus seinen Hintergrund.
In der unbekümmerten Leichtigkeit, mit der diese deutsche Mannschaft zu Werke geht, das Land in Verzückung und die Welt in Erstaunen versetzt, liegt die große Stärke, aber auch eine Gefahr. Schließlich könnte ein allzu sorgloses Verteidigen gegen einen stärkeren Gegner gravierende Folgen haben. "Wir müssen in der Defensive noch kompakter und besser in der Ordnung stehen", monierte Bastian Schweinsteiger, "und dürfen dem Gegner nicht so viele Räume bieten." Doch die Mentalität scheint diesbezüglich in die richtigen Bahnen gelenkt zu sein.
Trotz des 4:0 begann schon in der Kabine die Fehleranalyse. Die häufigsten Anmerkungen der Spieler lauteten danach sinngemäß: Noch ist nichts gewonnen. Den hohen Sieg richtig einordnen. Die Konzentration nicht verlieren. Weitermachen. So scheint die von Löw gewünschte Verteilung der Verantwortung nach dem Ausfall seines Kapitäns Michael Ballack in Rekordzeit den gewünschten Effekt zu haben. Es "brüllt" nicht mehr nur ein Löwe. Der erste Schritt im erzwungenen Generationenwechsel ist also geglückt, die DFB-Elf ist gerade im Spiel nach vorne viel unberechenbarer geworden. Aber nicht alle dürften den Aufbruch ohne Argwohn verfolgt haben. Sollte Ballack hören, wie Löw von Sami Khedira schwärmte, dass dieser "wie der junge Michael Ballack aus seiner Position immer wieder in die Tiefe gegangen" sei, dürfte er sich gefragt haben: Und was wird aus dem alten Ballack?