Bargteheide. Die BI Basta in Bargteheide fordert, dass mehr Bauten saniert werden. Und äußert Verdacht, die Stadt lasse Gebäude bewusst verrotten.
Lange war heftig umstritten, was aus der in die Jahre gekommenen Seniorenwohnanlage am Nelkenweg werden soll. Abriss und Neubau, oder Sanierung – diese Frage war in der Kommunalpolitik monatelang diskutiert worden. Bis ein Gutachten Mitte November konkrete Zahlen zur Bauzustandsanalyse geliefert hatte. Wie bereits berichtet, kam der Hamburger Architekt Rüdiger F. Solvie zu dem Schluss, dass eine Sanierung des 1965 entstandenen Komplexes wirtschaftlich kaum zu vertreten sei. Daraufhin hatte der Bauausschuss einstimmig für Abriss und Neubau votiert. Eine Entscheidung, die von der Bürgerinitiative Basta (BIB) jetzt scharf kritisiert worden ist.
Bürgerinitiative kritisiert Prinzip Neubau vor Sanierung
„Es ist doch immer wieder das gleiche Spiel in dieser Stadt. Die Devise lautet: Neubau vor Sanierung. So war es früher und so ist es heute“, moniert Lutz Hansen, Sprecher der BIB. Beispiele für diese Vorgehensweise gebe es inzwischen genug. „Im Steinkreuz wurde ein Haus mit bezahlbarem Wohnraum abgerissen, um für betuchte Bürger Wohnraum zu schaffen. Und An den Stücken unweit des Bahnhofs soll die alte Villa Wacker auch am liebsten platt gemacht werden“, so Hansen.
Dabei werde stets die gleiche Strategie angewandt: Die Stadt lasse alte Bausubstanz verrotten, bis sie nicht mehr zu retten sei. Dann werde ein „teures Gutachten“ in Auftrag gegeben mit dem „garantierten Ergebnis“, eine Sanierung wäre zu teuer. „Wie oft haben die Bürger Bargteheides das schon gehört?“, fragt Hansen. Und wie viel bezahlbarer Wohnraum werde auf diese Weise noch vernichtet?
In Bestandsgebäuden ist viel graue Energie gebunden
Ähnlich wie die Grünen kritisiert auch die Basta, dass solche Entscheidungen allzu oft einzig und allein vom Standpunkt der Wirtschaftlichkeit aus betrachtet werden und viel zu selten unter dem Aspekt des Klimaschutzes. „Dabei hat sich die Stadt doch verpflichtet, bis 2035 klimaneutral werden zu wollen“, wendet Carsten Schroeder ein.
Jeder Abriss sei im Grunde eine Umwelt- und Klimasünde wegen der in den Bestandsgebäuden bereits gebundenen grauen Energie für die Materialherstellung, den Transport und den Bau selbst. „Das kann man doch nicht jedes Mal ignorieren und an dem bestehenden Fachwissen vorbeigehen“, fordert Schroeder.
Bei Herstellung neuer Baustoffe wird viel CO₂ freigesetzt
Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ habe dazu jüngst beeindruckende Zahlen geliefert für ein typisches Mehrfamilienhaus mit 53 Wohneinheiten. Darin seien 2587 Tonnen Beton gebunden, 1850 Tonnen Ziegeln, 517 Tonnen Mörtel, 177 Tonnen Stahl, 108 Tonnen Estrich, 83 Tonnen Dachpfannen, 60 Tonnen Holz, 75 Tonnen Fliesen, sowie weitere Baustoffe wie Dämmmaterial, Gips, Glas, Kunststoff, Bitumen, Kupfer und Aluminium.
„Allein bei der Herstellung einer Tonne Zement, ein Bestandteil des Betons, wird eine halbe Tonne Kohlendioxid freigesetzt, bei einer Tonne Stahl sind es sogar 1,5 Tonnen“, rechnet Schroeder vor. Zudem fallen beim Abriss eines Gebäudes große Mengen Bauschutt an, der von spezialisierten Unternehmen aufbereitet werden muss. „Diese Kosten werden nur selten ermittelt und schon gar nicht transparent diskutiert“, so Schroeder.
Acht Millionen Euro Differenz zwischen Sanierung und Neubau
Dabei erschließe sich im konkreten Fall Nelkenweg noch nicht einmal das Argument der Wirtschaftlichkeit. Gemäß den Berechnungen des Gutachters würde eine reine Instandsetzung der bestehenden 25 Einheiten ohne Wohnflächengewinn 3,27 Millionen Euro kosten und eine Instandsetzung mit Dachausbau in Wohnungen 5,39 Millionen. „Einen Abriss mit Neubau bezifferte Solvie hingegen auf etwa 13,5 Millionen Euro. Kann sich die Stadt solch eine gravierende Kostendifferenz in ihrer aktuellen Finanzlage überhaupt leisten?“, will Lutz Hansen wissen.
Auch die Abriss-Argumente des Gutachters, wonach die gegenwärtige Bebauung das Potenzial des Grundstücks am Nelkenweg völlig unzureichend ausnutze und durch die Laubengänge zu viel Wohnfläche verloren gehe, mag der Basta-Sprecher nicht gelten lassen. Die nun beschlossene Maßgabe einer „optimalen Ausnutzung des Grundstücks“ könne doch nur bedeuten, dass noch mehr wertvolle Freifläche versiegelt werden soll. Das interpretiert Hansen als „rücksichtslosen Flächenfraß für einen Wohnungsbau um jeden Preis“.
Mieterinteressen und Umweltbelange werden missachtet
Diese Art der Stadtentwicklung berücksichtige weder Mieterinteressen noch Belange des Umwelt- und Naturschutzes. Und sie diene erst recht nicht dem Erhalt des örtlichen Charakters. Dass Abriss und Neubau der Seniorenwohnanlage am Nelkenweg im Bauausschuss zu allem Überfluss sogar einstimmig beschlossen wurde, sei ein fatales Signal. „Unglaublich: Wo bleibt bei fünf verschiedenen Fraktionen die Vielfalt der Politik?“, so Hansen.
Entstanden ist die Bürgerinitiative Basta 2016 als Reaktion auf die Pläne für das Wacker-Areal östlich des Bahnhofs. Ersten Entwürfen zufolge sollten im sogenannten Krähenwald nach Abriss der Bestandsbauten drei fünfgeschossige Mehrfamilienhäuser mit rund 100 Wohnungen sowie eine dreigeschossige Parkpalette entstehen.
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Innerhalb kurzer Zeit hatte die BIB, der seinerzeit 26 Bürger angehörten, mehr als 1000 Unterschriften für den Erhalt des historischen Ensembles gesammelt. 2018 war das Verfahren zur Änderung des Bebauungsplans, das unter anderem die Fällung von bis zu 70 Bäumen vorsah, ausgesetzt und seitdem nicht wieder aufgenommen worden.
Villa Wacker steht inzwischen unter Denkmalschutz
„Wir haben den Krähenwald immer als Teil eines für die Stadt wichtigen Grünzugs bis hin zum Bachstraßenpark gesehen, der nicht so ohne Weiteres zerstört werden darf“, sagt Basta-Gründungsmitglied Christel Klabunde. Bisher sei man hier erfolgreich gewesen. Nicht zuletzt deshalb, weil die Villa Wacker, aka „Landhaus Lüneburg“, seit Mitte März 2023 unter Denkmalschutz steht.
Für den Erhalt der Wohnanlage am Nelkenweg sehen Klabunde und ihre Mitstreiter indes kaum noch Chancen. „Da müsste wohl schon ein kleines Wunder geschehen“, ist man sich bei der Bürgerinitiative Basta einig.