Reinbek/Aumühle. Bereitschaft, für guten Service zu bezahlen, scheint zu sinken. Ist der Tip noch zeitgemäß? Und wenn ja, wie viel Geld ist angemessen?
Vorweihnachtszeit ist auch Ausgehzeit: Im alten Jahr will man sie unbedingt alle noch einmal treffen, ob Freunde, Familie oder Kollegen, meist in einem Restaurant, einer Bar oder einer Kneipe. Davon profitieren auch die Servicekräfte. Doch was das Trinkgeld angeht, gehen die Meinungen auseinander: Von „in Zeiten des Mindestlohns überholt“ bis „zehn Prozent Minimum“ ist alles vertreten.
Und wie wirkt sich eigentlich die bargeldlose Zahlung auf das Trinkgeld aus? Erhalten die Angestellten dann den gesamten, ihnen zugedachten Betrag, wenn die Rechnung per App oder Karte beglichen wird?
Ist Trinkgeld noch zeitgemäß? Und wenn ja, wie viel ist angemessen?
Der erfahrene Hotelier Karl Schlichting, unter anderem Mitinhaber des Waldhauses Reinbek und stellvertretender Vorsitzender des Fachbereichs Hotellerie im Dehoga-Landesverband Hamburg, stärkt seinen etwa 68 Mitarbeitenden den Rücken: „Auch in Zeiten des Mindestlohns habe ich noch nicht davon gehört, dass ein Trinkgeld überholt sei“, sagt er. „Unsere Gäste halten sich nicht zurück. Das ist eine Wertschätzung gegenüber einer netten Service-Leistung – oft auch am Wochenende, an Feiertagen oder noch spätnachts.“
Schlichting gibt zu bedenken, dass das Trinkgeld im Ausland, etwa in den USA, noch wesentlich höher als in Deutschland ausfalle. Er selbst will sich zu einer üblichen Höhe des Trinkgeldes nicht äußern. „Das ist immer eine individuelle Entscheidung“, betont er. Und zur Zahlungsweise sagt er: „Unsere Mitarbeitenden finden es in bar besser – und wir auch.“
Bereitschaft, Trinkgeld zu zahlen, sinkt im Hotelgewerbe
Hintergrund seien die Gebühren, die anfallen. Je nach Kreditkarte seien es 1,5 bis drei Prozent des Betrages. „Wir rechnen das aus und zahlen selbstverständlich den gesamten Betrag an unsere Mitarbeitenden aus“, erklärt der Arbeitgeber.
Seine Empfangs- und Reservierungsleiterin Alexandra Lange arbeitet selbst nicht im Service. Durch die Kolleginnen und Kollegen hat sie jedoch erfahren, dass die Bereitschaft, ein Trinkgeld zu zahlen, besonders im Hotelgewerbe leicht sinke. „Das liegt häufig daran, dass sich die Gäste die Restaurantkosten auf die Hotelrechnung setzen lassen und dann einfach nicht mehr an das Trinkgeld denken“, erläutert sie.
Selbst bei Gesellschaften geht der Service beim Tip manchmal leer aus
Ihr Kollege Hotelfachmann Ghairatulla Ahmadzai, der für das Abräumen beim Frühstück zuständig ist, hat festgestellt, dass die Gäste ihn eigentlich fast nie persönlich mit Trinkgeld bedenken. „Dabei habe ich morgens wesentlich mehr zu tun als abends beim Service“, erläutert er. „Am Frühstücksbüfett will jeder möglichst vieles kosten und braucht entsprechend viele Teller. Die trage ich alle wieder ab, das macht viel Arbeit.“
Kathrin Mallonn, Inhaberin des Hotels und Restaurants Fürst Bismarck Mühle in Aumühle und des Cafés Alte Deichkate in Billwerder, bestätigt einen deutlichen Trend zu weniger Trinkgeld. „Klar, wenn alles teurer wird“, stellt sie fest. „Das Trinkgeld ist eine freiwillige Leistung für guten Service. Da bleibt dies die einzige Möglichkeit, etwas einzusparen.“ Sie hat es aber sogar schon bei größeren Gesellschaften erlebt, dass kein Trinkgeld gezahlt werde – eine Enttäuschung für ihr Team.
In der deutschen Gastronomie ist man auf das Trinkgeld angewiesen
Sie erzählt von einer denkwürdigen Begegnung, als sie in Dänemark einem Kellner ein Trinkgeld geben wollte, was er zurückwies: „Wir verdienen hier genug Geld“, habe er gesagt. Mallon ist immer noch erstaunt: „Das war mal eine Ansage“, sagt sie anerkennend. Gewöhnlich gibt sie fünf Prozent Trinkgeld, wenn sie mit dem Service sehr zufrieden ist, auch mal zehn.
Denn sie weiß: „Die Mitarbeitenden in der deutschen Gastronomie und im Gastgewerbe sind trotz Tarif, den wir zahlen, auf das Trinkgeld angewiesen“, erklärt die Gastronomin. Ihr Team organisiert sich in Sachen Trinkgeld selbst. Einer der Mitarbeitenden sammle alles und teile es unter den anwesenden Kolleginnen und Kollegen auf – inklusive der Küche. Gerechtigkeit beim Trinkgeld sei im Team ein großes Thema.
„Ohne Trinkgeld würden viele ihren Job in der Gastronomie aufgeben“
Einer, der weiß, wovon sie spricht, ist Stelios Arvanitidis, Kellner in einem beliebten Restaurant in Reinbeks Innenstadt und seit 30 Jahren im Gastgewerbe tätig. Er sagt, dass die Kultur des Trinkgeldgebens in der jüngeren Generation verloren gehe.
„Ich glaube, in etwa fünf Jahren wird die Gastronomie eine andere sein“, erklärt der 49-Jährige. „Sicher ist das Trinkgeld eine freiwillige Leistung. Aber ohne diese finanzielle Wertschätzung würden viele von uns diesen Job nicht mehr machen, schlicht, weil man ohne nicht genug verdient – unabhängig vom Mindestlohn.“
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Er gibt zu bedenken, dass er meist arbeitet, wenn andere freihaben: am Wochenende, abends und nachts. Wenn er um 22 Uhr oder später Feierabend macht, tun ihm die Füße weh nach rund 15.000 Schritten, die er während der Arbeit läuft.
Ein Stapel Teller wiege gut und gern an die zehn Kilogramm. „Wenn wir kein Trinkgeld mehr erhalten, werden die Restaurantbetreiber die Gehälter erhöhen müssen, damit wir bleiben“, erklärt Stelios Arvanitidis. Deshalb geht er davon aus, dass die Preise noch steigen und in einem Restaurant zu essen in etwa fünf Jahren nur noch ein Vergnügen für Besserverdienende sein wird.
Treue Stammgäste zahlen weiter gutes Trinkgeld
Olivio Petrosan, Inhaber des beliebten italienischen Restaurants La Villa an der Bahnhofstraße in Reinbek, beobachtet hingegen keinen Rückgang beim Trinkgeld: „Ich habe vier Kellner, und die bekommen meist sieben bis zehn Prozent Trinkgeld“, erzählt er. „Denn wir haben sehr treue Stammgäste, die unseren Service zu schätzen wissen.“
Ob die Gäste in bar oder bargeldlos zahlen, wirke sich nicht auf den Tip aus. Bei bargeldloser Zahlung würden allerdings Gebühren fällig, die der Gastronom derzeit übernehme. „Das geht, weil wir auch noch viele Barzahler unter unseren Gästen haben“, erläutert er. Seine Mitarbeitenden würden sich das Trinkgeld teilen und zwei Prozent an die Kollegen in der Küche abgeben.
Trinkgeld: Eine gute Motivation
Auch bei anderen Dienstleistungen, etwa im Friseursalon, bei der Kosmetik oder bei Lieferdiensten, ist ein Tip üblich. Doch einige Berufsgruppen, etwa Mitarbeitende staatlicher Einrichtungen, dürfen überhaupt keinen Dank in Form von Geld annehmen, beispielsweise Boten der Deutschen Post oder die Leute der Müllabfuhr. Denn dort gibt es strenge Anti-Korruptions-Regeln. Olaf Stötefalke, Sprecher der AWSH (Abfallwirtschaft Südholstein) sagt dazu: „Als Unternehmen im öffentlichem Auftrag möchten wir jedem Eindruck entgegenwirken, dass Leistungen nicht auf der Basis der entsprechenden Tarifordnung erbracht werden.“
Die Friseurmeisterin Josy Behm aus Wentorf teilt die Beobachtung, dass die Menschen weniger bereit sind, Trinkgeld zu zahlen, nicht. „Aber der soziale, wiederkehrende Kontakt im Friseursalon ist auch intensiver als in der Gastronomie“, stellt sie fest. „Dort sind es immer nur Momente.“ Die Wentorferin selbst gibt gern Trinkgeld, ob im Café oder bei der Kosmetik. Wenn der Service stimmt, auch zehn Prozent. „Denn das ist eine gute Motivation“, weiß sie.