Glinde. Tiere zerstören Gärten im Norden der Stadt, Anwohner fühlen sich bedroht. Nun sind Jäger im Einsatz – und müssen sehr vorsichtig sein.
Auf seinem Handy zeigt Oliver Scheer Videoaufnahmen aus der Nacht zum vergangenen Sonnabend. Zu sehen sind zwei Wildschweine, eine Bache und ihr Frischling. Die Tiere machen sich wieder in seinem Garten zu schaffen, können aber nicht mehr so viel Schlimmes anrichten. Sie haben hier schon zerstört, große Teile des Rasens umgegraben, einen etwa vier Meter breiten Windschutzzaum aus Holz auf der kleineren Terrasse malträtiert, auf dem Wall gesetzte Pflanzen herausgerissen und den Sand nach unten gedrückt, wodurch sich Steine an der Rasenkante verschoben haben. Es sieht aus wie auf einem Schlachtfeld. Täglich sind die Vierbeiner auf seinem Terrain. Der 55-Jährige ist kein Einzelfall. Betroffen von der Wildschweinplage sind mehrere Grundstückseigentümer im Norden der Stadt Glinde. Die Jäger haben einiges getan, um das Problem in den Griff zu bekommen. Bislang ist das noch nicht gelungen.
Scheer wohnt seit 2009 in einem Endreihenhaus mit Feldlage an der Straße Am Spitzwald. Es ist idyllisch, aber ruhig inzwischen nur noch an Vor- und Nachmittagen. Anfang 2023 haben ihn die Krawallmacher das erste Mal besucht. „Meine Frau wacht momentan fast jede Nacht auf durch das laute Gegrunze“, sagt der Logistiker. Die beiden haben getrennte Schlafzimmer, jenes seiner Gattin ist auf der Hinterseite des Gebäudes. Vor etwas mehr als zwei Jahren hat das Paar 7000 Euro in den Garten investiert, unter anderem Rollrasen verlegt. Bilder aus dieser Zeit zeugen davon, mit wie viel Liebe das Areal gestaltet wurde. Pflanzen in unterschiedlichen Farben blühen auf dem Wall, ringsherum ist alles sehr gepflegt.
Glinde: Wildschweine verwüsten Wohngebiet – hoher Sachschaden
„Ein Gartenbauer hat den Schaden auf 25.000 Euro beziffert“, sagt der Glinder. Seine Versicherung komme dafür nicht auf. Als er im Sommer mit Whisky und einer Zigarre zu später Stunde auf der Terrasse direkt am Haus gesessen habe, sei eine Sau plötzlich auf ihn zugelaufen. „So schnell war ich noch nie drin.“ Er sprang vom Stuhl auf, spurtete ins Wohnzimmer und verriegelte die große Glastür. Die Familie fühlt sich von den Wildschweinen bedroht. Mitunter stünden die Tiere morgens um 5 Uhr am Hauseingang. Zum Schutz will der kräftige Mann jetzt einen Zaun setzen. Und zwar hinter dem Wall am Rand des Feldes. Von der Grundeignerin muss er sich noch die Erlaubnis einholen.
Wie viele Schweine in der Gegend ihr Unwesen treiben, kann niemand sagen. Scheer hat jedoch an der Stelle, wo die Straße unweit der Sportanlage des TSV Glinde verengt ist, vor Kurzem eine Rotte mit rund 30 Tieren gezählt. „Ich bin nachts mit dem Auto unterwegs gewesen und vorsichtig herangefahren. Trotz Lichthupe sind die erst mal stehengeblieben.“
Wildschweine in Glinde: Laut Rathaus kann Problem nicht sofort komplett beseitigt werden
Rund 100 Meter entfernt von diesem Punkt in westlicher Richtung liegt die Bahnstraße mit Einfamilienhäusern. Hier lebt Dieter Teske, vier Jahrzehnte Leiter der Glinder Musikschule und ein führender Kulturschaffender der Stadt. Auch bei ihm waren die Tiere aktiv. „Erst haben sie Randbereiche des Grundstücks umgegraben, dann war ein Drittel des Gartens dahin“, sagt der 77-Jährige. Sein Areal ist 1000 Quadratmeter groß. Das Schwarzwild kam über einen mit einer Hecke bepflanzten Sandwall. „Ich habe das der Polizei gemeldet. Mir wurde gesagt, ich soll wieder anrufen, wenn ich die Schweine sehe. Nachts schlafe ich allerdings.“ Er wisse von Nachbarn, bei denen ebenfalls Schaden entstanden sei. Teske hat vor drei Wochen einen Zaun ziehen lassen über 20 Meter Länge, der tief in der Erde verankert ist. Das verhindert ein Umreißen. Er ist 130 Zentimeter hoch. Kosten: rund 1500 Euro. „Seit der Installation ist kein Schwein mehr aufgetaucht.“
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Bei Scheers Bekannter Saskia Brandt, die nur einen Steinwurf entfernt von ihm ein Reihenendhaus an der Straße Kiefernbogen bewohnt, gleicht der komplette Garten einer Kraterlandschaft. Ihr Grundstück umfasst 450 Quadratmeter. Die 48-Jährige hat als Schutz Palettenteile in die Hecke gelegt, das hat jedoch nichts gebracht. Jetzt wird auch sie einen Wildzaun bauen. Die Schweine seien seit Juni regelmäßig bei ihr. Dokumentiert ist das durch eine am Objekt angebrachte Kamera. Brandt hat im Sommer im Rathaus angefragt, was die Stadt gedenkt zu unternehmen. In der Antwort-Mail vom 28. August heißt es: „Die Wildschweinplage in Glinde ist uns bewusst, und es wurde bereits ein Jäger beauftragt. Die Jagd hat auch schon begonnen, allerdings kann das Problem nicht sofort komplett beseitigt werden und benötigt seine Zeit.“
Wildschweine in Glinder Wohngebiet: Jäger haben in diesem Jahr sechs Tiere erlegt
Das Revier in Glinde beackern sechs ehrenamtliche Jäger. Einer davon ist Michael Medag. Er hat eine Vermutung, weshalb die Wildschweine ins Wohngebiet vorgedrungen sind: „Vor einiger Zeit wurde auf einem angrenzenden Feld Mais angebaut. Es konnte nicht geerntet werden, weil der Boden feucht war.“ Für die Tiere gab es also reichlich Nahrung. Erst seit 2024 stellen die Experten dem Wild auf dieser Ecke nach. „Wir schießen mit großem Kaliber, sieben bis neun Millimeter, müssen extrem vorsichtig sein, weil sich hier Spaziergänger aufhalten oder Jugendliche eine Party feiern“, sagt Medag.
Man habe drei Hochsitze parallel zur Kreisstraße 80 errichtet, die 3,50 Meter emporragen. „Und in diesen Bereichen wurde Feldfrucht angebaut, um von den Gärten abzulenken.“ Ein- bis zweimal pro Woche sitzen die Jäger an, haben in diesem Jahr sechs Schweine erlegt. Muttertiere, die Frischlinge führen, dürfen sie nicht schießen. Die Kleinen sind hingegen bevorzugte Beute ob der Fleischqualität. „Wir versuchen, den Jagddruck aufrechtzuerhalten“, so Medag. Er sei regelmäßig in Gesprächen mit Anwohnern. Sein Rat: „Die beste Maßnahme ist der Bau eines Wildschutzzauns.“