Glinde. Wohnsiedlung soll nicht mehr „Negerdorf“ heißen. Deshalb wurden Schilder erneuert. Hat das was gebracht?
Beim Gassigehen mit seinem Hund stoppte Michael Neschki vor wenigen Tagen am Buchdenkmal in Glinde und inspizierte die darauf angebrachten Schilder. Beim Anblick wurde dem 71-Jährigen, Mitglied der Kleinpartei Volt, ganz anders: „Ich dachte, ich falle in Ohnmacht.“ Auf einer der silbernen Tafeln steht das Wort „Negerdorf“. Darüber echauffiert sich der Senior. Und nicht nur er. Die Politik hatte beschlossen, den Begriff zu entfernen. Für die Umsetzung ist die Stadtverwaltung zuständig – und auch aktiv gewesen. „Der Auftrag wurde komplett umgesetzt, da ist etwas abgefallen oder entfernt worden“, sagt Bürgermeister Rainhard Zug.
Neschki war bis zur Kommunalwahl im Mai 2023 für die Glinder Grünen aktiv und kann sich noch gut an die Diskussionen zu diesem Thema erinnern. Die Partei hält die Bezeichnung „Negerdorf“ für rassistisch und diskriminierend, war Initiator einer Umbenennung. „Ich lebe mit einer Halbafrikanerin zusammen, bin dadurch sensibilisiert“, so Neschki. Er hat zwar bei Volt eine neue politische Heimat gefunden, dennoch sofort Grünen-Fraktionschefin Martina von Bargen von dem Ärgernis in Kenntnis gesetzt. Die sagt: „Auch bei uns ist das Entsetzen groß.“
„Negerdorf“: In Glinde herrscht Entsetzen – alter Name ist wieder da
Das 2013 eingeweihte Denkmal ist an einem Wanderweg im Wohngebiet Alte Wache platziert. Es erinnert an die Geschichte des Heereszeugamtes. Das wurde von den Nationalsozialisten 1937 in Betrieb genommen, ein Jahr später dann das Kurbelwellenwerk des Krupp-Konzerns. Tausende Menschen schufteten dort, darunter Zwangsarbeiter aus ganz Europa und Kriegsgefangene vor allem aus Osteuropa, für die ein Lager auf dem Wiesenfeld gebaut wurde. Eine Siedlung in Denkmalnähe aus sieben Reetdachhäusern mit 24 Wohnungen war für Offiziere und Beamte. Sie ist vielen bekannt als „Negerdorf“. Der Volksmund hatte hier prägend gewirkt.
Der Name ist zudem in Akten vermerkt, wurde zum Beispiel 1961 durch das Landesbauamt Lübeck übernommen. Die offizielle Bezeichnung lautet seit 2015 Siedlung Oher Weg. Und genau dieser Begriff, so der politische Wille, ist am Denkmal zu verwenden. Bis man zu einer Einigung kam, dauerte es eine Weile.
„Negerdorf“ in Glinde: Grüne zofften sich mit Christ- und Sozialdemokraten
Rückblick: Im Hauptausschuss am 6. Dezember 2022 präsentieren die Grünen einen Antrag. Inhalt: Tafeln sofort abnehmen und erst wieder anbringen, wenn das Wort „Negerdorf“ durch die novellierte Sprachregelung ersetzt ist. Christ- und Sozialdemokraten verweisen auf die Zuständigkeit des Kulturausschusses, der erst zwei Monate später tagt. Das dauert den Grünen zu lange. Sie schlagen neun Tage später in der Stadtvertretung vor, den Begriff unkenntlich zu machen. Auch dazu sind die beiden größten Fraktionen im Parlament nicht bereit. Die Aufnahme des Gesuchs in die Tagesordnung wird abgelehnt. Das sorgt für Zoff.
Aus Reihen der Grünen gibt es den Vorwurf, man vermisse ein klares Zeichen gegen jede Form des Rassismus und der Diskriminierung. Andere keilen zurück. Die SPD moniert die Forderung einer namentlichen Abstimmung und sagt, es geht nur darum, sie zu brandmarken. Die Christdemokraten verkünden, sie halten nichts von einer Hauruckaktion wie das Herausschneiden von Buchstaben mit einer Flex. Die klare Ansage an die Grünen: „Wir brauchen einen konstruktiven Vorschlag.“
„Negerdorf“ in Glinde: Stadt nahm Namensänderung an zwei Schildern vor
Im Mai des vergangenen Jahres ist der Streit endgültig beigelegt. Druck hatte auch die Glinder Jugendarbeitsgruppe, eine Art Beirat, gemacht und 120 Unterschriften zwecks Namenslöschung gesammelt. Der Kulturausschuss votiert einstimmig: Tafeln mit „Negerdorf“ werden abgeschraubt und mit neuem Text ersetzt. Am 8. September meldet die Stadtverwaltung Vollzug und dokumentiert das mit entsprechenden Fotos auf ihrer Internetseite. Auf zwei Schildern steht nun Siedlung Oher Weg.
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Jenes mit einer Karte des Stadtgebiets wurde neu gefertigt. Das andere ist am linken Rand mit Jahreszahlen versehen. Dazu gibt es dann Erläuterungen. Unter 1937 sind sechs Zeilen verfasst. Dieser Absatz wurde von einer Spezialfirma mit einer Metallplatte überklebt. Das Stück fehlt inzwischen, jetzt ist wieder die alte Gravur mit „Negerdorf“ sichtbar. Das Wort wurde auf den Schildern übrigens bewusst in Anführungszeichen gesetzt. Stadtsprecher Tobias Senff sagt: „Es deutet alles auf Vandalismus hin, die Platte war nämlich sehr kompakt angebracht. Außerdem sind an der Tafel Kratzspuren zu erkennen.“ Die Verwaltung überlege, Anzeige zu erstatten. „Und das Schild wird nun umgehend entfernt“, so Senff.
Chaoten schändeten bereits Gedenktafel auf Schulareal
Es wäre nicht die erste Schändung dieser Art in Glinde. 2023 hatten Chaoten am Schulstandort Wiesenfeld an der Straße Holstenkamp eine Gedenktafel mit blauer Farbe beschmiert. Sie ist neben einem Mahnmal errichtet, das an NS-Zwangsarbeiter im Kurbelwellenwerk erinnert.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wohnten im Reetdach-Ensemble in der Siedlung Oher Weg auch Flüchtlingsfamilien und Heimatvertriebene. 1969 zogen Bedienstete der Bundeswehr ein, die im Gerätehausdepot tätig waren. Es existiert nicht mehr. Seit 2003 stehen die schicken Immobilien unter Denkmalschutz. Eigentümer ist inzwischen die Baugenossenschaft freier Gewerkschafter eG. Sie unterstützte das Ansinnen der Grünen, das Wort „Negerdorf“ von den Tafeln verschwinden zu lassen.