Kreis Pinneberg. EU-Parlament? Kann er abhaken. Bundestag? Auch futsch. Warum sich niemand um ihn sorgen müsse und wie sein neues „Business“ aussieht.
Vor einem Jahr misslang ihm die Kandidatur um das Spitzenamt der CDU bei der Europawahl. Im Juni musste er nach parteiinternen Querelen den Vorsitz des CDU-Kreisverbandes Pinneberg niederlegen, den er lange innehatte und fast 30 Jahre dem CDU-Kreisvorstand angehörte. Und nun, am Wochenende, scheiterte Christian von Boetticher (53) auch bei der Nominierung seiner Partei für den Wahlkreiskandidaten bei der Bundestagswahl im nächsten Jahr.
Nur 47 von 404 CDU-Mitgliedern auf der Wahlkreisversammlung in Seestermühe trauten dem ehemaligen Europaabgeordneten, Umweltminister und stellvertretenden Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins ein politisches Comeback zu. Das waren gerade mal 11,6 Prozent der abgegebenen Stimmen und 170 Stimmen weniger als der neue Shooting-Star Daniel Kölbl (30) aus Tornesch.
Christian von Boetticher: „Ich bin schon seit 13 Jahren im politischen Ruhestand“
„Ihr habt mich doch schon zweimal in den Ruhestand verabschiedet“, flachste von Boetticher im Gespräch mit dem Abendblatt am Montagmittag, zwei Tage nach der herben Wahlschlappe in Seestermühe. „Dabei bin ich doch schon seit 13 Jahren im politischen Ruhestand.“ Eine Anspielung auf seinen Rücktritt von allen Ämtern wegen seines Verhältnisses zu einer 16-Jährigen, die bundesweites Aufsehen erregte. Danach musste er seine Karriere als Berufspolitiker zunächst an den Nagel hängen.
„Ich bin lange genug im politischen Geschäft, um diese Niederlage in hohem Maße sportlich zu nehmen“, versichert von Boetticher. Seine Parteifreunde wollten offenbar eine Verjüngung und Erneuerung für die Bundestagskandidatur, weshalb sie mit großer Mehrheit Kölbl wählten, Das könne er ihnen nicht verdenken und halte es sogar für „verständlich“, sagt von Boetticher. Mit seiner selbstkritischen Analyse zeigt er, dass er, wie kaum anderer in seiner Partei im Kreis Pinneberg, die politischen Zusammenhänge schnell und präzise erfasst.
Kölbl habe als einziger die kommunalpolitische Trumpfkarte gezogen
Denn Kölbl sei der einzige der fünf Bewerber gewesen, der auf das kommunalpolitische Pferd gesetzt habe. Die Ärztin Dagmar Steiner wollte mit ihrer Expertise in der Gesundheitspolitik punkten, der Berufssoldat Michael Paul mit seinen Kenntnissen in militärischer Sicherheit. „Und ich habe auf die Wirtschaftspolitik gesetzt“, sagt von Boetticher, der bis vor zwei Jahren Geschäftsführer des Hafenflocken- und Pflanzenöl-Herstellers Peter Kölln in Elmshorn war.
Doch all diese Konzepte zu bundespolitischen Themen wollten die meisten Parteifreunde nicht hören, hat von Boetticher festgestellt. Das habe der junge Kollege Kölbl genau richtig verstanden und die Parteibasis mit seinen Vorschlägen für hiesige Brennpunkt-Themen begeistert. So wolle sich der nicht nur – wie die anderen auch - für den Ausbau der A20, A23 und die Beseitigung des Schienenengpasses zwischen Pinneberg und Elmshorn einsetzen. Kölbl sprach zudem von der Reaktivierung der Bahnstrecke von Tornesch nach Uetersen und einem zusätzlichen A7-Autobahnanschluss bei Norderstedt, womit er die Quickborner Parteifreunde auf seine Seite zog.
Die Parteibasis interessiere sich mehr für Wahlkreis als den Bund
„Die Leute sind heute weit von der Bundespolitik entfernt.“ Das sei von Boettichers Lehre aus diesem Parteitag. Die Parteibasis interessiere sich mehr für die Verbesserung von Radwegen und anderer Infrastruktur bei ihnen vor der Haustür, wo sie mitreden könnten, als für das, was in Berlin vorexerziert werde. „Das hat Daniel Kölbl toll erfasst, indem er seine Kandidatur voll und ganz auf kommunalpolitische Anliegen konzentrierte.“
Um ihn persönlich brauche sich niemand zu sorgen, betont der junge Familienvater von Boetticher. Er habe als Geschäftsführer des Elmshorner Flocken-Imperiums gut verdient und eine hohe Abfindung erhalten, sei also finanziell gut abgesichert. Gleichwohl habe er sich nun selbstständig gemacht und nutze seine Erfahrungen und Kenntnisse aus der Ernährungsindustrie, erklärt von Boetticher. „Ich habe nun mehr Zeit für mein Business.“
Von Boetticher handelt jetzt mit natriumarmen Salzen aus Chile
So importiere er jetzt natriumarmes Salz aus Chile, das gesünder und bekömmlicher als herkömmliches sei und trotzdem gut schmecke. „Die Nachfrage ist groß. Wir haben jetzt die Lieferkette dafür aufgebaut.“ Die Fleisch- und Backindustrie sowie Hersteller von länger haltbaren Convenience und Fertigprodukten wären daran sehr interessiert.
Nach Berlin fahre er auch ohne das CDU-Ticket aus Pinneberg weiterhin oft, berichtet von Boetticher. Er habe dort drei Ehrenämter zu vertreten – als Landesvorsitzender des CDU-Wirtschaftsrates, als Vorsitzender des Förderkreises des Deutschen Feuerwehrverbandes und als bundesweiter Vorstandschef der Vereinigung der deutschen Ehrungsindustrie. Alle drei Geschäftsstellen lägen nur 500 Meter auseinander in Berlin. Und in seinem Amt für die 6000 Unternehmen der Ernährungsindustrie, die 600.000 Menschen beschäftigten, treffe er demnächst auf Landwirtschaftsminister Cem Özdemir und Wirtschaftsminister Robert Habeck.
Bei der nächsten Landtagswahl werde er bestimmt nicht antreten
Die politischen Fronten werde er natürlich nicht wechseln. Dafür sei er seit 36 Jahren zu sehr der CDU verbunden. Die Berufspolitik habe er aber nun abgehakt – auch wenn er „gerne“ das Bundestagsmandat angestrebt habe. „Sie können sicher sein, für den Landtag in Schleswig-Holstein kandidiere ich nicht noch mal“, versichert der Pinneberger. Die Landtagswahl 2027 wäre nach den beiden verpassten Gelegenheiten EU-Parlament und Bundestag sozusagen die nächste Chance. Aber dafür hege er keinerlei Ambitionen, beruhigt von Boetticher auch seine Parteifreunde in Kiel.
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Nun käme es für den Pinneberger Wahlkreis darauf an, dass Kandidat Kölbl nicht nur den Wahlkreis gewinnt, sondern auch ein besseres Erststimmenergebnis erziele als die Wahlkreise Plön oder Lauenburg, die bei der Bundestagswahl zuletzt besser abgeschnitten haben als Pinneberg.
Denn durch das neue Wahlgesetz könnte es passieren, dass die CDU zwar zehn der zwölf Wahlkreise im Land hole, aber wegen des Zweitstimmenergebnisses nur acht Abgeordnete stellen dürfte. Und dann würden die beiden Wahlsieger mit dem schlechtesten Prozentsatz bei den Erststimmen nicht in den Bundestag kommen, sondern wären „Streichkandidaten“.
Kandidat Kölbl müsse besseres Erststimmenergebnis holen als andere Wahlkreise
Dazu brauche Kölbl gerne drei, vier oder gar fünf Prozentpunkte mehr Erststimmen als Zweitstimmen, was Ole Schröder viermal gelungen sei. Kölbl müsse also auch eine starke Persönlichkeit ausstrahlen, um erfolgreich zu sein, rät von Boetticher.
Im schlimmsten Fall für die Kreis-CDU könnte sie zwar den Wahlkreis direkt gewinnen, würde aber nicht in den Bundestag einziehen, was wiederum dem SPD-Kandidaten Ralf Stegner trotzdem über die Landesliste gelingen könnte, skizziert er ein mögliches Horror-Szenario für seine Parteifreunde. „Jetzt gilt es für die CDU, im Wahlkampf die Ärmel richtig hochzukrempeln“, sagt von Boetticher. „Und da werde ich gerne mithelfen.“