Geesthacht. Die alleinerziehende Mutter muss ihre städtische Notunterkunft wegen Sanierungsarbeiten verlassen. Die Folgen sind für sie dramatisch.

Am rechten Fenster in der Wohnung im Erdgeschoss ist eine einsame Lichterkette angebracht. Etwas verloren hängt sie dort, aber nach mehr Weihnachtsschmuck ist Nicole S. absolut nicht zumute. Spätestens am 7. Januar muss die Geesthachterin, alleinerziehende Mutter von drei Kindern, ihre Wohnung am Richtweg verlassen haben.

Die einzige Option, die sie für ein Dach über dem Kopf hat, lässt die 44-Jährige verzweifeln. Sie ist höchst ungewöhnlich. Die neue Unterkunft befindet sich nur 1700 Meter Luftlinie entfernt von der alten. Aber in Wirklichkeit liegt eine ganze Welt dazwischen. Die vierköpfige Familie zieht um aus einer Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung in ein einziges Zimmer in der Flüchtlingsunterkunft an der Mercatorstraße.

Wohnungsnot: Geesthachterin muss mit drei Kindern ins Flüchtlingsheim

Das Containerdorf im Industriegebiet ist eine Sammelunterkunft der Stadt Geesthacht. Sie wurde zwar perspektivisch so angelegt, dass sie grundsätzlich allen offen steht, die in Wohnungsnot geraten sind. „Allerdings kann ich mich nicht erinnern, dass da jemals jemand war, der kein Flüchtling war“, berichtet ein Mitarbeiter vom Träger DRK.

Die dreifache Mutter Nicole Soltau (44) muss wegen Renovierung aus ihrer Wohnung ausziehen; in Geesthacht ist nichts günstiges für sie zu finden, Anfang Januar wird sie mit ihren Kindern in der Flüchtlingsunterkunft ein Zimmer belegen
Die Containerunterkunft an der Mercatorstraße steht perspektivisch allen offen, die in Wohnungsnot geraten sind. © Dirk Palapies | Dirk Palapies

Ansonsten möchte man sich beim DRK zu dem einmaligen Fall nicht äußern - und verweist für Informationen an die Stadt als Eigentümer der Anlage. Auch dort zeigt man sich zugeknöpft - Auskünfte könne man aus Datenschutzgründen nicht geben, hieß es auf Anfrage.

Politiker: „Das ist definitiv heftig, was ihr abverlangt wird“

Selbst die oft geräuschvolle Stadtpolitik hat in der Vorweihnachtszeit bei diesem Thema bereits in den Stille-Nacht-Modus umgeschaltet. Immerhin Christoph Hinrichs (BfG) ließ das Schicksal von Nicole S. keine Ruhe. Er schrieb einen Brief an den Bürgermeister Olaf Schulze (SPD), berichtet er.

Laut Christoph Hinrichs steht eine Antwort aus. „Das ist definitiv heftig, was ihr abverlangt wird. Das hätte man mit deutlich mehr Fingerspitzengefühl besser hinkriegen können“, schimpft der ehemalige Linke.

Größte Sorge: Muss ein Sohn in eine Pflegefamilie?

So ist es nur Nicole S. selbst, die Auskunft über ihr Schicksal geben kann. Das in Aussicht stehende Leben im beengten Wohncontainer führt bei ihr zu einer ganzen Kette von Problemen: Wohin nur mit den Möbeln? Da sind das Sideboard der verstorbenen Großmutter, an dem sie so hängt, zwei Schränke, Schreibtische, Garderobe, Betten, Esstisch und Regale.

Die dreifache Mutter Nicole Soltau (44) muss wegen Renovierung aus ihrer Wohnung ausziehen; in Geesthacht ist nichts günstiges für sie zu finden, Anfang Januar wird sie mit ihren Kindern in der Flüchtlingsunterkunft ein Zimmer belegen
Trostlose Situation: Eine einsame Lichterkette ziert das Fenster der Wohnung am Richtweg. Nicole S. ist die Vorweihnachtsstimmung vergangen. © Dirk Palapies | Dirk Palapies

Und wie eigentlich soll sie den Umzug stemmen? Ihr eigenes Auto ist kaputt. Als erwachsene Helfer gibt es nur zwei Freundinnen. Der einzige Verwandte, ein Cousin, fällt aus, er hat es im Rücken. Die größte Sorge aber ist: Verliert sie nach der Wohnung womöglich auch noch den zweitjüngsten Sohn an eine Pflegefamilie?

Wo die Familienkatzen bleiben sollen, ist völlig unklar

Der Zwölfjährige hat einen Pflegegrad, leidet an Wahrnehmungsstörungen. „Unsere drei Katzen bringen ihn immer wieder herunter“, erzählt Nicole S. Aber die dürften nicht mit. Sie hat Angst: „Ohne die Katzen dreht er durch, da ist Ärger programmiert“.

Und dann könnte er beginnen, gegen Wände und Heizkörper zu schlagen, sagt sie. Sollte es so weit kommen, dürfte das in der neuen Einrichtung nicht gut ausgehen - und das Jugendamt auf den Plan rufen, befürchtet Nicole S. Wo die Katzen bleiben werden, auch dafür gibt es noch keine Lösung.

Auch die Wohnung am Richtweg ist eine Notunterkunft

Bereits die Wohnung am Richtweg, in der für Nicole S. nun der Countdown läuft, ist eine Notunterkunft der Stadt. Dass sie nur temporär hier sein würde, war bereits beim Einzug im Frühjahr vor zwei Jahren klar. Im April beginnt 2025 die städtische WoGee, das Gebäude im großen Stil zu sanieren. 89 Wohnungen sind betroffen.

Nicole S. zeigt vor dem Haus mit dem Finger auf eine Fensterreihe unter dem Dach. Die Familie, die dort lebte, hat eine neue Wohnung gefunden, ist schon ausgezogen. „Sie freut sich immer mit, wenn die anderen etwas finden“, sagt Freundin Daphne P. Nur Nicole S. fand nichts.

Wohnberechtigungsschein hilft angesichts der Wohnungsnot nicht

Die 44-Jährige bezieht Bürgergeld und verfügt über einen Wohnberechtigungsschein. Nur: Das nützte ihr in Geesthacht gar nichts angesichts des angespannten Wohnungsmarktes. Die Mitteilung, dass ihre Wohnzeit am Richtweg in einem Jahr zu Ende gehen würde, erhielt sie im Dezember 2023.

Seitdem habe sie sich intensiv um eine neue Unterkunft bemüht, betont sie. Über Makler auf dem privaten Markt, bei Unternehmen wie der Neuen Lübecker und Vonovia - alles vergebens. Ein Problem: Die Wohnungen, die im Budget liegen, sind zu klein für vier Bewohner, „das wäre überbelegt“, habe sie zu hören bekommen.

Ratschlag, sich lieber im Raum Lauenburg umzusehen

Größere Wohnungen aber könne sie sich nicht leisten. 920 Euro seien das Äußerste. „Ich bekam sogar den Rat, mich lieber im Raum Lauenburg umzusehen“, berichtet Nicole S. Aber das kam für sie der Kinder wegen nicht infrage. „Ich bin auf der Suche nach einem Einhorn - einem Fabelwesen“, meint sie über ihre Bemühungen.

Die Wohn-Abwärtsspirale nahm Ende 2022 Fahrt auf. Da war sie Mieterin einer Dreizimmerwohnung beim Moorviertel. Aber der Vermieter starb, und die Immobilie wurde verkauft, erzählt Nicole S. Sie musste ausziehen. Eine neue Wohnung zu finden, habe sich bereits damals für sie als unmöglich erwiesen. Bis die Stadt ihr beisprang und sie mit den Kindern am Richtweg unterbrachte.

Dramatischer Ausblick auf die Wohnsituation in Geesthacht

Ihr Fall wirft ein Schlaglicht auf die fatale Situation von Menschen mit wenig Geld, die sich ein Wohnen in Geesthacht immer schwieriger leisten können. Die IFS, die Integrierte Fachstelle für Wohnungshilfen, ist eine Einrichtung innerhalb des Fachdienstes Soziales der Stadt Geesthacht, die sich um ihre Notlagen kümmert.

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107 Personen seien durch ein Einweisungsverhältnis in einer der stadteigenen Unterkünfte untergebracht, ergab ein Sachstandsbericht im Sozialausschuss im März 2024. Deutlich wurde: Die gegenwärtige Situation ist schlecht, der Ausblick aber noch dramatischer.

Wohnungsnot: Immer mehr Familien droht die Obdachlosigkeit

„Immer mehr einkommensschwache Familien kommen zur Beratung in die IFS“, heißt es in dem Papier. „Vielen droht die Obdachlosigkeit, da die Wohnkosten nicht mehr aufgebracht werden können, preiswerte Wohnungen gibt es so gut wie gar nicht mehr. Der IFS fällt es zunehmend schwerer, wohnungslose Personen unterzubringen“.

Das liest sich so, als ob Nicole S. und ihre Kinder zwar die ersten, aber nicht die letzten Geesthachter sein dürften, die sich zu den Flüchtlingen in den Containern an der Mercatorstraße gesellen.