Geesthacht. Drei Rehe sind offenbar wochenlang ohne Nahrung auf einem privaten Grundstück in Waldnähe eingesperrt. Wie konnte das passieren?

Tierdrama beim Geesthachter Richtweg: Ein neu gebauter Zaun versperrte einer Rehfamilie tagelang den Rückweg von einem unwirtlichen Grundstück in den nahen Wald zum Äsen und Trinken. Eine tödliche Falle. Als Tierfreunde am Freitagnachmittag (2. August) zufällig von der Situation hörten und zu Hilfe eilten, war es für eines der Rehe bereits zu spät.

Eine Ricke lag tot im Brombeergestrüpp, möglicherweise verdurstet. Das Gelände böte kein Wasser, auch das Grün sei verschwunden, es erwecke insgesamt einen sonnenverglühten Eindruck, berichten die Tierfreunde. Der Eigentümer des Grundstücks soll sich im Urlaub befinden.

Tödliche Falle: Neuer Zaun sperrt Rehfamilie ein

Ein privat hinzugezogener Experte, der den Kadaver am Freitagnachmittag begutachtete, schätzt, dass die Ricke etwa zwei, höchstens drei Tage tot war. Woran das Tier gestorben ist, ließ sich für den Sachverständigen vor Ort nicht herausfinden. Es hatte sich zum Sterben zu tief in den Brombeerbusch zurückgezogen.

Einige haben Tränken aufgestellt, die Rehe sind gern gesehene Gäste

Frank Böhmke (l.) und Markus Kaminski machten sich als Anwohner für ein neues Bewirtschaftungskonzept des Geesthachter Stadtwaldes stark.
Frank Böhmke (l.) und Markus Kaminski machten sich als Anwohner für ein neues Bewirtschaftungskonzept des Geesthachter Stadtwaldes stark. © Dirk Palapies | Dirk Palapies

Frank Böhmke ist ein Naturfreund, der sich als Anlieger bereits für den Umbau des Geesthachter Stadtwaldes engagierte. Rehe sind ein gewohnter Anblick für die Bewohner der Häuser, die sich parallel zum Richtweg den Hang hinaufziehen. Die Grundstücke grenzen an den Wald oder liegen zumindest ganz in der Nähe. Die Tiere kommen und gehen, äsen frisches Gras. Einige Anwohner haben Tränken aufgestellt, die Rehe sind oft gern gesehene Gäste.

So auch von Frank Böhmke. „Ich habe eine Wildblumenwiese, da stehen sie immer drin“, erzählt er. Schon seit einigen Tagen allerdings nicht mehr. Frank Böhmke vermutet, dass das eingesperrte Trio diejenigen Rehe waren, die früher fast täglich seinen Garten besuchten. Er macht sich große Sorgen, zieht in der Nachbarschaft umher und fragt, ob die beiden Überlebenden mittlerweile wieder irgendwo gesehen wurden.

Als der Gärtner von der Situation berichtet, schrillen die Alarmglocken

Als sein Gärtner ihm von der Situation auf dem Grundstück gleich um die Ecke erzählte, schrillten bei Frank Böhmke die Alarmglocken. Er alarmierte seinen Nachbarn Stephan Meißner. Um nach dem Rechten zu sehen, marschierten die beiden mit dem Gärtner dorthin. Das Bild, das sich ihnen bot, war jammervoll.

Von der toten Ricke lugten die Beine unter den Brombeeren hervor, der Rehbock hatte sich komplett in den dornigen Ranken verfangen, ein Jungtier stand furchtsam auf wackligen Beinen im verdorrtem Gras. Frank Böhmke rief die Feuerwehr an. Dann entschieden die drei angesichts der dramatischen Bilder aber, sofort selbst zu handeln.

Kann das Jungtier bereits ohne seine Mutter überleben?

Der Gärtner schnappte sich seinen Knarrenkasten, gemeinsam löste das Trio ein Element des Zauns. „Er ist viel zu hoch für die Rehe, um darüber zuspringen“, sagt Frank Böhmke. Stephan Meißner krabbelte schließlich mit Heckenschere bewaffnet auf einer quer gelegten Leiter zwischen den Dornenranken durch, um den erschöpften Bock freizuschneiden.

Er trug ihn auf dem Arm in Sicherheit, setzte ihn dann ab. „Der Bock war ziemlich abgemagert. Er fühlte sich vom Gewicht her so an wie ein siebenjähriges Kind“, schildert Stephan Meißner den bewegenden Moment. Er schätzt, dass die Tiere ein paar Wochen auf dem unwirtlichen Areal gelebt haben müssen.

Tierfreund ärgert sich: Warum reagierten die Nachbarn nicht früher?

Ein Grundstück in der Nähe bietet frisches Gras, eine Tränke ist aufgestellt. Die beiden haben die Hoffnung, dass sich die ausgemergelten Tiere hier gestärkt haben, bevor sie in den Wald verschwunden sind. Das Jungtier schätzt Frank Böhmke auf etwa drei Monate. Er hofft, dass es überlebt, ohne seine Mutter.

Was ihn furchtbar ärgert: Ihm sei erzählt worden, dass einige Nachbarn schon länger gewusst haben sollen, dass sich die Rehe auf dem Grundstück befanden, berichtet Frank Böhmke. Ob sie die Gefahr falsch einschätzten und nicht ahnten, dass die Tiere durch den neuen Zaun wie eingemauert waren, ließ sich nicht klären.

Warum wurden die Rehe beim Setzen des Zaunes übersehen?

Unklar ist zudem, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass die Rehe beim Setzen des Zaunes übersehen wurden. Hatte sich das Trio auf dem verwilderten Grundstück zu Beginn der Arbeiten aus Angst zu gut versteckt und sich zunächst nicht mehr herausgetraut?

Das Kreis-Veterinäramt ist über die Vorgänge informiert, will weitere Informationen einholen. Im Raum steht, ob ein tierschutzrechtlicher Sachverhalt vorliegt. Der Rehleichnam soll am Mittwoch (7. August) vom Tierkörperbeseitigungsdienst abtransportiert werden.

Geesthachter Feuerwehr rettet meistens Katzen aus Bäumen

„Viele Tierrettungen fallen nicht an pro Jahr“, sagt der Geesthachter Wehrführer Sascha Tönnies. In 2024 seien es bisher vier gewesen, rückblickend bis 2020 sieben bis zehn per anno. Ein vergleichbarer Vorfall ist ihm nicht bekannt. Wenn Rehe in Not geraten, dann, weil sie zwischen Zaunstäben stecken blieben. Der Standard sei die Katze auf dem Baum oder Vögel, die sich in Angelsehnen verheddert hätten.

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Wichtig sind Zeugen, die eine Rettungsabsicht bestätigen

Aber es musste auch schon mal ein Hund vom Dach gerettet werden. Er war durch ein offenstehende Veluxfenster heraufgeklettert. Und einmal flog ein Papagei durch die Lagerhalle eines Supermarktes. Er wurde mit einem Kescher eingefangen. Probleme machten die Tiere bei der Rettung eigentlich nicht, erinnert sich Sascha Tönnies. Nur Katzen zeigten sich hin und wieder widerspenstig.

Die Polizeidirektion Ratzeburg empfiehlt, bei der Beobachtung eines Tieres in Not zunächst Feuerwehr, Ordnungsamt oder eben die Polizei anzurufen, um sich beraten zu lassen oder um Hilfe zu bitten.