Lauenburg. Das Lauenburger Projekt ist preisgekrönt. Doch das Land streicht Geld für Integration. So hat die Initiative kaum noch Hoffnung.
Ob in der Familie, am Arbeitsplatz oder in diversen Talkrunden – kaum ein Thema wird derzeit so intensiv diskutiert, wie die Migrationspolitik in Deutschland. Städte und Gemeinden fühlen sich mit dem anhaltenden Zustrom Geflüchteter zunehmend überfordert. Und selbst wenn die Unterbringung noch einigermaßen gelingt, die Integration dieser Menschen steht dann noch auf einem ganz anderen Blatt.
Die Stadt Lauenburg hat knapp 100 Wohnungen speziell für Flüchtlinge angemietet. Die dezentrale Unterbringung hat den Vorteil, dass die zum Teil schwer traumatisierten Familien in ihren eigenen vier Wänden erstmal zur Ruhe kommen können. Es gibt aber auch einen gravierenden Nachteil: Integrationsangebote vor Ort gibt es nicht, so wie das in zentralen Sammelunterkünften möglich ist. Dank einer zunächst privaten Initiative wird dieses Defizit bisher aufgefangen. Doch das Projekt steht vor dem Aus, das Land hat die Mittel gestrichen.
Land streicht Geld für Integrationsprojekt in Lauenburg
Zur Initiative „SML individuell“ hatten sich zu Beginn des Ukraine-Krieges drei Lauenburgerinnen zusammengeschlossen. Die Arbeit von Leyla Novruzova, Marzena Podolski, Sylwia Sobotko begann damit, Spenden zu sortieren und deren Transport in das Kriegsgebiet zu organisieren. Als dann ukrainische Frauen mit ihren Kindern in Lauenburg eintrafen, wurden die drei Freundinnen zur ersten Anlaufstelle. Marzena Podolski und Sylwia Sobotko sind immer noch dabei. Aus der Initiative ist mittlerweile ein multikultureller Treffpunkt geworden. Die Stadt beteiligt an der Finanzierung durch die Übernahme der Betriebskosten für den Treff in der Berliner Straße.
An fünf Tagen bieten die beiden Frauen feste Angebote vor allem für Familien an. Die reichen von der Kindergruppe für Kinder ohne Kitaplatz über tägliche Hausaufgabenbetreuung, niedrigschwellige Deutschkurse bis zu gemeinsamen Aktionen wie Backen und Kochen. Jeden Donnerstag gibt es um 10 Uhr einen internationalen Brunch. In den Bürozeiten leisten sie Hilfe bei Arztbesuchen und Behördengängen, aber auch beim Ausfüllen von Papieren.
Diakonisches Werk: Landesmittel ermöglichen befristete Festeinstellung
Im März vergangenen Jahres wurde das Hilfsprojekt vom Diakonischen Werk des Kirchenkreises Lübeck-Lauenburg übernommen. „Die Stadt Lauenburg bat uns darum. Als wir die Arbeit vor Ort angeschaut hatten, mussten wir nicht lange überlegen“, sagt Geschäftsführer Dr. Ulf Kassebaum. Mit Fördergeld aus dem „Aktionsprogramm familienunterstützende Maßnahmen für Geflüchtete“ des Landes Schleswig-Hollstein erhielten die beiden Frauen eine Festanstellung.
Bis zu 70 Menschen besuchen täglich den Treffpunkt SML an der Berliner Straße 5. Längst sind es nicht nur Ukrainerinnen und ihre Kinder. „Einmal war der Imam der türkisch-islamischen Gemeinde bei uns und hat sich über unsere Arbeit erkundigt“, erzählt Sylwia Sobotko. Seitdem kämen auch türkische und syrische Frauen in die Begegnungsstätte. Auch russische Frauen gehen hier inzwischen ein und aus.
Initiative als „Zukunftsprojekt“ von unserer Zeitung ausgezeichnet
Im Juli dieses Jahres ist das Lauenburger Integrationsprojekt mit dem Preis „Wir für die Zukunft“ ausgezeichnet worden, den die Bergedorfer Zeitung gemeinsam mit der Volksbank Bergedorf und dem Verein „Hamburger Abendblatt hilft“ ausgeschrieben hatte. Die 3000 Euro Preisgeld halfen den Initiatoren zwar, Ausflüge für die Teilnehmer zu organisieren oder kleinere Anschaffungen für den Treffpunkt zu finanzieren, das Projekt selbst kann diese Summe nicht retten.
Das Landesprogramm für „Familienunterstützende Maßnahmen für Geflüchtete“ läuft zum Jahresende nämlich aus – und damit auch die Teilzeitstellen für die beiden Betreuerinnen. „Unsere Suche nach anderen Fördermitteln war leider nicht erfolgreich. Unsere letzte Hoffnung ist, dass wir einen Sponsor finden, der uns kurzfristig mit einem mittleren fünfstelligen Betrag zum Erhalt der Personalstellen helfen kann“, sagt Kassebaum.
MdL Ute Röpke (Grüne): Die Stadt Lauenburg soll sich finanziell stärker beteiligen
Schon im April dieses Jahres zeichnete sich ab, dass es möglicherweise keine Folgefinanzierung des Aktionsprogramms „Familienunterstützende Maßnahmen für Geflüchtete“ geben werde. Bei einem Besuch der grünen Landtagsabgeordneten Oliver Brandt und Ute Röpcke in dem Treffpunkt sprachen diese auch die Finanzierung an. „Müsste sich die Stadt Lauenburg an dem Integrationsprojekt finanziell nicht mehr beteiligen, als lediglich die Betriebskosten für die Räumlichkeiten zu bezahlen?“, wollte Röpke wissen.
Dass sich die Lauenburger Politiker diesen Schwarzen Peter zuschieben lassen, ist allerdings kaum vorstellbar – und angesichts der desolaten Haushaltslage der Stadt auch wenig realistisch. Als die Stadtvertretung im März vergangenen Jahres darüber diskutierte, ob die Stadt ein Integrationskonzept brauche oder nicht, brachte es der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Thorsten Pollfuß auf den Punkt: „Wir leiden als Kommune darunter, dass alle Aufgaben nach unten wegdelegiert werden“, sagte er.
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Begegnungsstätte SML: Ukrainische und russische Mütter helfen sich hier gegenseitig
Damit ist sich Pollfuß mit dem Geschäftsführer des Städteverbandes Marc Ziertmann einig, der fordert: „Bund und Länder bleiben in der Pflicht, die Kommunen in Zeiten hoher Zugangszahlen weitgehend von den finanziellen Mehrbelastungen freizuhalten und hierfür die erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen.“
Von diesem politischen Hickhack werden die Besucher der Begegnungsstätte in Lauenburg wohl nichts mitbekommen. Für sie steht mehr auf dem Spiel als Deutschkurse, Behördenberatung und Hausaufgabenhilfe. „Für viele Teilnehmer ist SML ein zweites Zuhause, Kinder kommen zur Ruhe, ukrainische und russische Mütter helfen sich hier gegenseitig“, hieß es in der Laudatio für den Zukunftspreis unserer Zeitung. Wer helfen kann und möchte, kann telefonisch unter 04541/ 88 93 34 mit dem Diakonischen Werk Herzogtum Lauenburg Kontakt aufnehmen.