Geesthacht. Geesthacht muss leiser werden. Beitragen sollen ruhige Gebiete. Warum der Stadtplanungsausschuss damit überhaupt nicht glücklich ist.

Was ist, wenn sich der Geesthachter Heidbergring mitten in einer neu ausgewiesenen Ruhefläche befände? Dürften auf der Rennstrecke dann überhaupt noch Auto-, Motorradrennen und Motorsporttage durchgeführt werden? Das war eine der Fragen, mit der sich der Ausschuss für Stadtplanung beschäftigen musste.

Auf der Tagesordnung stand der sogenannte Lärmaktionsplan der vierten Stufe. Drei Stunden lang rangen die Mitglieder um Maßnahmen, wie es leiser werden könnte in Geesthacht. Denn die Stadt muss etwas unternehmen gegen den täglichen Lärm, der auf die Bürger einprasselt – wie alle anderen Gemeinden in Deutschland auch.

Lärmaktionsplan macht ruhige Gebiete nötig – Heidbergring läge mittendrin

Als Leitfaden ist ein Maßnahmenkatalog zu erarbeiten. Das ist keine Option, es ist ein Pflichtprogramm. Die EU will es so – und droht säumigen Länderumsetzern mit Strafzahlungen. Aber wie bekommt man eine pulsierende, auf Wachstum getrimmte Kleinstadt eigentlich deutlich leiser?

Eine gewichtige Forderung ist die Ausweisung von ruhigen Gebieten. „Kein Mensch weiß, was das eigentlich ist“, erklärte Lärmreduzierungsexperte Heinz Mazur. Der Ingenieur des PGT Umwelt und Verkehr GmbH aus Hannover war im Stadtplanungsausschuss zu Gast, um die von den Planern vorgeschlagenen Maßnahmen vorzustellen.

Die EU hat nicht ausformuliert, was ruhige Gebiete eigentlich sind

Die EU hat ihren Willen in dieser Sache nicht besonders präzise skizziert. Und das bereitete den Vertretern der politischen Parteien eine Menge Kopfzerbrechen. Nur so viel: „Es sind Gebiete, in denen es nicht lauter werden soll“, meinte Heinz Mazur. Das können Stadtviertel sein, oder eben auch Grünflächen.

So wie im Falle des Heidbergringes. Er liegt am Fahrendorfer Weg, umgeben vom Stadtwald. Dem Planungsbüro schwebt im Entwurf hier eine dieser Ruheflächen vor. Das alarmierte umgehend Markus Gehring (CDU): „Hier kann es wegen der Rennstrecke zu Lautstärkeentwicklung kommen“, merkte er kritisch an. Ob der deutschlandweit bekannte Ring dann in der Existenz gefährdet sei, wollte er wissen.

Ruhige Gebiete müssen parzellenscharf festgehalten werden

So schlimm wird es laut Heinz Mazur dann doch nicht kommen, Ruhefläche hin oder her. Grund: Es geht um den Jahresmittelwert von 55 Dezibel, der nicht überschritten werden solle: „Einmal in der Woche ein Rennen zu fahren, hat andere Dimensionen“, erklärt er. „Es geht um einen Dauerpegel, den dieses Vorhaben nicht erreicht.“

„In den ruhigen Gebieten sollten ein Mittelungspegel von 59 dB(A) tags und 49 dB(A) nachts als Zielwerte gelten“, heißt es in dem Papier, das die Planer aus Hannover vorlegten. Wichtig: Eine grobe Absichtserklärung, von wo bis wo die Ruhefläche gelten soll, genügt nicht. Sie muss „parzellenscharf“ festgehalten werden.

Kommen sich Stadtentwicklung und ausgewiesene ruhige Gebiete ins Gehege?

Stadtvertreter sind dennoch alarmiert: Würde ein Gebiet, das fortan ruhig zu sein hat, der weiteren Quartierentwicklung im Wege stehen, wie etwa einer Nachverdichtung oder anderen Projekten, bei denen zu erwarten ist, dass es bei einer Umsetzung künftig dauerhaft lauter wird vor Ort? „Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht die Zukunft verbauen“, warnte der Ausschussvorsitzende Christoph Hinrichs (BfG).

„Es gibt keine Definition, welche Auswirkungen die Ausweisung von ruhigen Gebieten auf die zukünftige Planung hat“, bemängelte Michael Backs (parteilos). Beispielhaft führte Andreas Schwandt (CDU) an, weshalb er die Gegend beim alten Bahnhof und der Teppichfabrik eben nicht als Ruhezone festgelegt haben möchte, wie ebenfalls ein Vorschlag empfahl. Am Bahnhof würde es deutlich lebendiger im Falle eines Bahnanschlusses, und auf dem Areal der Teppichfabrik könnte es mal zu Wohnungsbebauung kommen.

„Absolut sinnfrei“ – Politik sieht noch viel Klärungsbedarf

Ein weiteres Vorgehen, ohne zu wissen, was die Ausweisung von solchen Ruheflächen juristisch konkret bedeuten würde, „ist absolut sinnfrei“, brachte Christoph Hinrichs sein Unbehagen auf den Punkt. „Es ist noch zu viel Klärungsbedarf zu leisten.“ Damit stand er nicht allein. Nur Gerhard Boll (Grüne) plädierte für mehr Gelassenheit: „Es gibt keine Verordnung, damit auch keine Gerichtsurteile, somit können wir uns etwas entspannen“, schlussfolgerte er.

Es half nichts. Der Widerstand der Mehrheit erwiesen sich als so groß, dass die Ausweisung von ruhigen Flächen als Maßnahme zunächst aus dem Geesthachter Lärmaktionsplan herausgelöst wurde. „Es ist eine Wundertüte, ich verstehe nicht die Folgen“, sprach Michael Backs den Zweiflern aus der Seele. Muammer Kazanci (SPD) erbat hierzu eine fachliche Einschätzung der Verwaltung.

Die Zeit läuft – Fachdienst Umwelt will ruhige Gebiete nachliefern

Anette Platz vom Fachdienst Umwelt hatte schließlich ein Einsehen und kreierte einen Vorschlag zum weiteren Vorgehen. „Das Thema ist total kompliziert, weil es auch so schwammig ist“, räumte sie ein. Zunächst sollen erst mal die ruhigen Gebiete herausgenommen werden aus der Beschlussfassung.

Als Vorschläge in die Liste sollen zunächst potenziell konfliktfreie Gebiete, wo mit einiger Sicherheit nichts verändert werden wird, wie die Besenhorster Sandberge, aufgenommen werden. „Ich würde das mit dem Land auch so besprechen, dass wir den Lärmaktionsplan vorlegen ohne diese Gebiete, mit der Ankündigung, dass das noch von uns nachgeliefert wird. Dann wird Frau von der Leyen sicher nicht kommen, und mich festnehmen – und Sie auch nicht“, sagte Anette Platz mit Verweis auf die deutsche Präsidentin der EU-Komission.

Ab 65 Dezibel steigt das Herzinfarktrisiko

So blieben am Ende nur die Vorschläge übrig, die von Heinz Mazur als „sich langsam mit kleinen Aktionen durchbeißen“ bezeichnet wurden. Hier eine neue Tempo-30-Strecke, dort verkehrsberuhigende Änderungen, oder auch mal die Aufbringung von Flüsterasphalt.

Im Focus stehen die Straßen, die sich als besonders laut erwiesen haben. Bei Menschen, die vor ihrer Haustür permanent ein Straßenverkehrslärm tagsüber von 65 Dezibel oder mehr zu ertragen haben, ist ein höheres Herzinfarktrisiko zu befürchten. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt daher, den durchschnittlichen Straßenverkehrslärm auf unter 53 Dezibel und nachts auf unter 45 Dezibel zu senken.

Hochbelastete Straßen von Düneberg bis Tesperhude

In Geesthacht zeigt die Lärmkartierung hochbelastete Situationen im Bereich der B404 mit Geesthachter Straße (besonders Schäfertrift bis Bahnstraße), Berliner Straße und Richtweg, im Zuge der L 205 (Hansastraße), insbesondere im Abschnitt Am Spakenberg bis Wandsbeker Ring sowie Hammer Kamp bis Barmbeker Ring.

Auch intteressant

Laut ist es im Bereich des Straßenzuges Düneberger Straße zwischen Geesthachter Straße und Am Moor sowie auf der Südseite der Straße Am Moor, im Stadtzentrum ab der Norderstraße und Rathausstraße, Markt, Steinstraße, Lauenburger Straße, Rathausstraße und Sielstraße. Auch der Ortsrand ist betroffen. So die Anwohner an der K63 mit Tesperhuder Straße und auch Steinberg. Alle genannten Straßen kommen auf Fassadenpegel von 55 Dezibel und teilweise über 60 Dezibel auch nachts.