Schwarzenbek. Eine Woche lang feierte Schwarzenbek die deutsche Verfassung. Doch außer Erfolgen der Demokratie wurden auch Sorgen angesprochen.

Es war einst als Provisorium gedacht, bis wieder der Osten und der Westen Deutschlands vereint sind, aber es musste viel länger halten, als geplant: Die Rede ist vom Grundgesetz, das 1949 von 61 Männern und vier Frauen aus der Taufe gehoben worden ist und das Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als ein „Meisterwerk der Demokratie“ bezeichnet hat.

Zum 75. Geburtstag schenkte die Stadt Schwarzenbek der Verfassung eine komplette Festwoche mit alles andere als trockenen Veranstaltungen. Ein Höhepunkt war die Lesung von der Berliner Journalistin Ursula Weidenfeld aus ihrem Buch „Das doppelte Deutschland“.

Landtagspolitikerin warnt: Unzufriedenheit mit der Politik nimmt weiter zu

Aber so locker leicht und unterhaltsam die Woche mit Lesungen und einer abwechslungsreichen Auftaktveranstaltung auf dem Wochenmarkt auch war – im Hintergrund schwang immer wieder die Sorge um den Erhalt der Demokratie mit. „80 Prozent der Deutschen sind zufrieden mit dem Grundgesetz. Das ist bemerkenswert angesichts der Unzufriedenheit mit der Politik“, betonte Landtags-Vizepräsidentin Eka von Kalben (Grüne) bei der Feierstunde mit rund 300 Gästen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Schwarzenbeker Rathaus am Donnerstag, 12. September.

Eine Demokratie funktioniert nur, wenn die Mehrheit der Menschen dahinter steht

Doch so ein Erfolgsmodell die lebendige Verfassung, die sich im Laufe der Jahrzehnte an neue Gegebenheiten angepasst hat, auch sein mag – alle Gastredner sehen die Demokratie angesichts des Rechtsrucks in der Gesellschaft auch in Gefahr. „Eine Demokratie kann nur Bestand haben, wenn die Mehrheit der Menschen dahinter steht. Im Augenblick haben viele Menschen angesichts der Verunsicherung durch den Krieg in der Ukraine, die Migration und die Klimakrise Zweifel daran. Es gibt einen Ruf nach einem Systemwechsel. Das darf nicht als reines Ostphänomen abgetan werden“, mahnte die Grünen-Politikerin.

„Die Politik muss jetzt entschieden um das Vertrauen der Bürger werben“, betonte Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) in seinem Video-Grußwort. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Nina Scheer lobte die Anpassungsfähigkeit der Verfassung, die im Laufe ihrer Geschichte seit 1949 trotz der hohen Hürden (Zweidrittelmehrheit im Bundestag für Änderungen erforderlich) 67 Mal geändert wurde. „Unter anderem wurde der Umweltschutz als Staatsziel in den 1990er-Jahren aufgenommen. Das ist heute wichtiger denn je“, sagte die Sozialdemokratin in ihrem Video-Grußwort.

Migration war in der Nachkriegszeit ein Stresstest für Schwarzenbek

Insgesamt war es eine bewegte Zeit, in der das Grundgesetz entstand, sagte Gastrednerin Ursula Weidenfeld. Die Journalistin hat lange Zeit über die Entwicklung der DDR und der Bundesrepublik geforscht und das Buch „Das doppelte Deutschland“ geschrieben. Im Vorfeld der Verfassung irrten viele Menschen durch Deutschland. Von den 60 Millionen Einwohnern war ein Drittel entwurzelt.

Viele flüchteten nach dem Verlassen ihrer alten Heimat auch weiter aus der sowjetischen Besatzungszone. Deshalb wuchs auch Schwarzenbek rasant an. „Vor dem Krieg lebten hier 2000 Menschen, danach waren es 6000. Das war ein Stresstest für unsere Stadt“, betonte Bürgervorsteher Roman Larisch (CDU). „Die Integration war eine riesige Herausforderung und eine Belastungsprobe. Dabei wurden auch viele Fehler gemacht, genau wie heute“, sagte Ursula Weidenfeld.

Lied „Heidewitzka, Herr Kapitän“ war Vorläufer der deutschen Nationalhymne

Allerdings führte das damals nicht zu so einem starken Rechtsruck – auch wenn es noch zahlreiche überzeugte Nationalsozialisten gab. In diesem Umfeld entwickelten sich DDR und BRD parallel. In beiden Teilen Deutschlands wurden 1949 Verfassungen erlassen und eigene Staaten gegründet.

„Die DDR war aber wesentlich weiter. Sie hatte einen Nationalfeiertag und eine Hymne, lange vor der BRD“, so Ursula Weidenfeld. Das war vor allem für Bundeskanzler Konrad Adenauer bei Staatsbesuchen ein Problem. Noch 1953 wurde er bei einer Reise an die großen Seen im Norden der USA offiziell mit dem Lied „Heidewitzka, Herr Kapitän“ empfangen.

Mit 472 Kilogramm Gewicht zum Olympia-Gold gedonnert

Bei den Wintersportspielen 1952 in Oslo wurde der erste westdeutsche Olympiasieger Anderl Ostler mit seinem Vierer-Bob-Team bei der Verleihung der Goldmedaille mit der „Ode an die Freude“ geehrt. „Mitunter wurden bei Sportveranstaltungen dann mangels Nationalhymne auch noch Märsche aus der NS-Zeit gespielt“, erzählte Ursula Weidenfeld, die die rund 300 Zuhörer auch mit der Anekdote über das Zustandekommen der ersten deutschen Nachkriegs-Goldmedaille zum Lachen brachte. Ostler war nämlich mit einem uralten Bob unterwegs, der der Konkurrenz heillos unterlegen war. Deshalb nahm er drei extrem schwergewichtige Anschieber mit zum Rennen und donnerte mit einem Gesamtgewicht von 472 Kilogramm konkurrenzlos schnell der Schwerkraft folgend in die Tiefe.

Dieses Ereignis hatte zwei Folgen: Der Druck, eine Nationalhymne zu komponieren, wuchs und die Regularien im Bobsport wurden geändert. Danach galt eine Beschränkung auf maximal 420 Kilogramm Startgewicht für den Vierer-Bob. Mit guter Laune nach dem kurzweiligen Exkurs in die deutsche Geschichte versammelten sich noch viele Besucher zum Empfang mit Bürgermeister Norbert Lütjens auf dem Ritter-Wulf-Platz.

Zum Abschluss der Reihe gibt es noch eine Lesung mit Konzert

Mit dem Festakt ist die Veranstaltungsreihe „75 Jahre Grundgesetz“ in Schwarzenbek allerdings noch nicht zu Ende. Einen besonderen kulturellen Leckerbissen gibt es zum Abschluss noch am Tag der Deutschen Einheit:

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Mit einer Lesung, einer Performance und einem Konzert nehmen der Schauspieler Roman Knižka (u. a. Tatort) und das Bläserquintett OPUS 45 das Grundgesetz von seiner Entstehung bis heute unter die Lupe. Dazu gibt es literarische, philosophische und humoristische Texte unter anderem von Susanne Baer, Max Czollek, Herta Müller, Heribert Prantl, Lucy Wagner sowie Sitzungsprotokolle des Parlamentarischen Rats, Briefe, Telegramme, Zeitungsartikel und vieles mehr. Die Musik für Bläserquintett, mal korrespondierend, mal kontrapunktisch zur Lesung, stammt unter anderem von Johann Sebastian Bach, Ludwig van Beethoven, Paul Taffanel, August Klughardt, Maurice Ravel und Henri Tomasi. Beginn ist am Donnerstag, 3. Oktober, um 12 Uhr im Festsaal des Rathauses. Der Eintritt ist frei.