Geesthacht. Die zwei Pflanzen stehen auf der Roten Liste ganz weit oben, sind vom Aussterben bedroht. Warum sie in Geesthacht gedeihen.
Nicht zu fassen, es ist ein Naturwunder: Gleich zwei der größten botanischen Kostbarkeiten in ganz Schleswig-Holstein wachsen in Geesthacht an der Bundesstraße auf zwei gegenüberliegenden Straßenseiten. Auf der Ostseite der B404 die Mauerraute, das Herzgespann, ein altes Wildkraut, gleich gegenüber auf der Westseite.
„Ich kenne keinen weiteren Standort in Schleswig-Holstein“, sagt Friedhelm Ringe vom Geesthachter Nabu bezüglich des Herzgespanns. Bedroht vom Aussterben sind beide Pflanzen in unseren Breiten. „Rote Liste Platz eins“, so der Biologe.
Geesthacht: Zwei Naturwunder wachsen direkt an der Bundesstraße
Für das Herzgespann gibt es bundesweit sogar Initiativen, um die Vermehrung zu fördern. Und in Geesthacht zeigt sich die traditionelle Heilpflanze aus der Klostermedizin, eingesetzt bei Herzbeschwerden, zwischen Brennnesseln neben dem vierspurigen Richtweg, der als B404 den Elbhang hinaufläuft.
Aber das Überleben hier hängt an einem seidenen Faden. Und das liegt nicht an den Lastwagen, die dicht am Herzgespann vorbeidonnern. Der Standort ist mit Pfosten markiert, um den mit der Grünarbeit betrauten Mitarbeitern der städtischen Betriebe zu signalisieren: „,Hier darf nicht gemäht werden. Mahd ist verheerend“, erklärt Friedhelm Ringe.
Es ging runter wie beim Abzählreim – jetzt sind es nur noch zwei Pflanzen
Leider sei das nicht immer so, wie es sein sollte, hat er ausgemacht. Vor Jahren habe es noch bis zu 18 der Pflanzen gegeben, „und dann ist hier doch gemäht worden“, sagt er. Folgend ging die Zahl runter wie beim Abzählreim. Mittlerweile sind es nur noch zwei – das macht das Herzgespann zur seltensten Pflanze in der Stadt.
Die Blütezeit erstreckt sich noch bis September. Das Herzgespann ist ein Lippenblütler. „Das heißt, dass man als Insekt einen langen Rüssel benötigt, um an die Pollen zu kommen“, sagt Friedhelm Ringe. So wie Hummeln. Dem anderen botanischen Schatz auf der anderen Straßenseite geht es indes besser. Die Mauerraute – der Name deutet es an – schätzt als Untergrund Mauern und ähnliches.
Die Mauerraute könnte vom Klimawandel profitieren
Allerdings anders als das Herzgespann vermehrt sie sich in Geesthacht zunehmend. 600 Exemplare der Pflanze aus der Gattung der Streifenfarne wachsen mittlerweile an der Mauer. Durch ihre Sporen hat sie zudem den Sprung auf die Westseite des Richtweges geschafft.
„Sie scheint vom Klimawandel zu profitieren“, meint Friedhelm Ringe. So kann die Mauerraute auch Trockenheit aushalten. Der Biologe hat beim Grundstückseigentümer vorgesprochen und den Sachverhalt erklärt, damit die rare Pflanze nicht Putzmaßnahmen an der Mauer zum Opfer fällt.
Nährstoffarmer Boden – viele darauf spezialisierte Rote-Liste-Arten wachsen in Geesthacht
Sie schädigt den Untergrund nicht. Versteht sich, dass die Reinigung mit Wasserdruckgeräten bei Friedhelm Ringe nicht hoch im Kurs steht. Sie hinterlassen blitzblanke Untergründe – aber eben nichts sonst.
Die beiden Pflanzen sind nicht die einzigen Naturwunder, die es im Stadtgebiet gibt. In einem Teich in der Feldmark gibt es eines der größten Vorkommen von Froschkraut in Schleswig-Holstein, in der Oberstadt wächst eine Orchidee wie die Breitblättrige Stendelwurz, hinzu kommen größere Vorkommen von Rote-Liste-1-Arten wie Knorpellattich und Feld-Mannstreu.
Eine der seltenen Pflanzen ist schon von weitem nicht zu übersehen
„Geesthacht ist eine Besonderheit, weil wir hier die totalen nährstoffarmen Sande haben“, erklärt Friedhelm Ringe. Und es gibt noch eine Besonderheit: Geesthacht hatte zehn Sonnenstunden mehr im Vergleich zu Hamburg aufs Jahr gesehen. „Hier herrschen schon Einflüsse vom kontinentalen Klima“, sagt der Wissenschaftler.
Sind die vorgenannten Arten eher unscheinbar, ist eine weitere seltene Pflanze schon von Weitem nicht zu übersehen. Am Ende des Hafenbeckens bei den Parkplätzen für die Besucher des Menzer-Werft-Platzes steht ein mächtiger Baum. „Es ist eine der ganz wenigen Schwarzpappeln, die es hier noch gibt“, erklärt Friedhelm Ringe. Nur auf der Schleuseninsel gebe es vielleicht auch noch zwei bis drei.
Das Holz der Schwarzpappel wurde gern für Dielen verwendet
Zum Verhängnis der Bäume wurde, dass ihr Holz gern für Dielen verwendet wurde wegen natürlicher Feuerbeständigkeit. Hinzu kam vor Ort die Konkurrenz mit Zuchtpappeln für die Zündholzindustrie, „deswegen gab es mal die Zündholzfabrik in Lauenburg“, erklärt Friedhelm Ringe.
Auch Entwässerungen für die Landwirtschaft trugen zum Rückgang bei. Im gesamten Bundesgebiet sollen nun nicht mehr als 3000 Altbäume existieren, vornehmlich in Einflussbereich von Flüssen wie Elbe, Rhein und Oder.
Behütete Ackerwinde als Insekten-Oase in der Steinwüste
Und dann gibt es noch Pflanzenarten, die zwar nicht selten sind, aber im Stadtbild trotzdem eine besondere Rolle einnehmen. So hängt am unteren Ende des Richtweges eine Ackerwinde wie ein üppiges Blumenbouquet über einem Zaun. Ein ungewöhnlicher Anblick mitten in der Stadt.
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Die vielen trichterförmigen Blüten sind ein wunderbarer Hingucker – und eine regelrechte Oase für Insekten in der Steinwüste. Bienen und Schwebfliegen schwirren an der viel befahrenen Straße in großer Zahl herbei. Dank eines ehemaligen Friedhof-Steinmetzes, der sie pflegt und hütet wie seinen Augapfel, überlebt sie Jahr um Jahr.
„Er sorgt dafür, dass sie nicht weggerissen wird“, sagt Friedhelm Ringe. Für ihn ist das ein wunderbares Beispiel, wie das Engagement einzelner zu wunderbaren Verbesserungen führt. „Dass Menschen sich kümmern, darum geht es ja auch“, findet Friedhelm Ringe.