Arnis. Kerstin Rosinke und Christian Stübler haben 2023 beinahe ihr Haus verloren. Wie es den Betroffenen ein Jahr nach der Sturmflut geht.

Je näher der Tag kommt, desto bedrückter fühle sie sich, sagt Kerstin Rosinke Mitte Oktober in einem Gespräch. „Der Jahrestag beschäftigt mich schon sehr. Ich denke aber, das geht allen Betroffenen so.“ Der Jahrestag, das ist der Tag, an dem sich die große Sturmflut, die im Herbst 2023 die norddeutsche Küste überrollte, zum ersten Mal jährt. Die Menschen, die damals ihr Zuhause verloren, kämpfen nach wie vor mit den Folgen der Überschwemmungen.

Zwei davon sind Kerstin Rosinke und ihr Lebensgefährte Christian Stübler aus Arnis. Ihr kleines Haus wurde am 20. Oktober vergangenen Jahres hart von der Flut getroffen (das Abendblatt berichtete). Der Keller stand komplett unter Wasser, im Erdgeschoss reichte es knapp einen Meter hoch. Viele Dinge sind für immer verloren.

Ostsee: Arnis ein Jahr nach der Flut – „Wir sind dankbar für die Hilfe“

Das Problem: Kerstin Rosinke und ihr Freund waren gerade im Urlaub, sie konnten nicht einmal einzelne Erinnerungsstücke retten oder gar Möbel im ersten Stock in Sicherheit bringen. Sie waren gefangen in Spanien und mussten zusehen, wie ihr Haus überschwemmt wurde. „Es war einfach nur fürchterlich.“

Das Haus der Familie Rosinke in Arnis an der Schlei nach der Renovierung.
Das Haus der Familie Rosinke in Arnis an der Schlei nach der Renovierung. © Rosinke | Rosinke

Jetzt, ein Jahr später, berichtet die junge Frau, wie es ihnen in den vergangenen Monaten ergangen ist. Rund sechs Monate lang lebte das Paar in einer Ferienwohnung in der kleinen Stadt gleich um die Ecke. Ihr Haus war nicht bewohnbar. Riesige Trocknungsmaschinen sorgten für Lärm, die Wände waren zu großen Teilen aufgestemmt – und eine Heizung gab es schon mal gar nicht. „Als die dann im März eingebaut wurde, konnten wir endlich zurückziehen“, so Kerstin Rosinke.

Sechs Monate nach der Sturmflut konnte das Paar zumindest im ersten Stock wohnen

Doch Keller und Erdgeschoss waren nach wie vor nicht nutzbar. „Wir haben im ersten Stock gelebt, hatten dort das kleine Bad und unser Schlafzimmer. Und ein Gästezimmer, das unser Wohnzimmer war.“ Ein Kühlschrank stand im Keller, mit einem kleinen Ceranfeld konnte zumindest Essen erwärmt werden. „Außerdem haben wir uns eine kleine provisorische Arbeitsplatte gebaut.“ Und als das Wetter besser geworden sei, hätten sie oft draußen gegrillt. „Es war alles sehr spartanisch, aber wir waren zurück in unserem Haus, das war für uns entscheidend.“ Die erste Nacht im eigenen Bett werde sie nie vergessen.

Seitdem wurde Stück für Stück das Haus wieder instand gesetzt. Die aufgerissenen Wände wurden verschlossen und verputzt, der Boden abgeschliffen. „Die Küche ist seit etwa zwei Wochen für uns nutzbar, die Möbel für das Wohnzimmer stehen seit einigen Tagen.“ Nach wie vor sei das Badezimmer nicht fertig, „aber wir haben ja das kleine Bad oben im ersten Stock“. Insgesamt hätten sie das Erdgeschoss erst vor etwa zwei Wochen wieder so richtig bezogen, berichtet Kerstin Rosinke.

Weihnachten sollen in dem Haus an der Schlei alle Bauarbeiten abgeschlossen sein

Sie und ihr Lebensgefährte seien überglücklich, endlich fühle es sich wieder wie das eigene Zuhause an, sagt die junge Frau, die die Stadtbücherei von Kappeln leitet. Und die eine oder andere kleine Baustelle störe sie erst einmal nicht. „Ich denke, zu Weihnachten werden wir auch mit den restlichen Arbeiten endlich durch sein.“

Flutopfer Kerstin Rosinke
Kerstin Rosinke in ihrem Haus in Arnis nach der Flut. Mittlerweile können sie und ihr Lebensgefährte hier wieder wohnen. © Stadt Arnis | Stadt Arnis

Weihnachten, das ist ein wichtiger Fixpunkt für die beiden. Im vergangenen Jahr mussten sie in der kleinen Ferienwohnung die Feiertage verbringen. Der Zustand ihres Hauses habe ihnen massiv zugesetzt. „Wir wurden sogar von lieben Menschen aus Arnis eingeladen, aber diese Tage waren, ehrlich gesagt, einfach schrecklich“, sagt Kerstin Rosinke, die lange auch psychisch mit den Folgen der Sturmflut zu kämpfen hatte.

Das Paar hat 2019 das kleine Haus gekauft und Stück für Stück alles renoviert

Umso wichtiger sei es, dass sie dieses Jahr zu den Feiertagen wieder in ihrem Haus sein könnten. „Als wir das Wohnzimmer vor ein paar Tagen eingeräumt haben, da habe ich spontan zu Christian gesagt, schau mal, hier steht dann der Baum.“ Das sei ihr so rausgerutscht. Später sei ihr aber klar geworden, wie wichtig das sei. Dabei sei nicht einmal sicher, ob sie zusammen feiern könnten, „mein Freund muss wahrscheinlich arbeiten“. Das spiele aber alles irgendwie keine Rolle. Hauptsache, sie seien zurück in ihrem Zuhause.

Kerstin Rosinke und ihr Lebensgefährte haben erst 2019 das kleine Haus in Arnis gekauft. Waren gemeinsam aus Hamburg in die kleinste Stadt Deutschlands gezogen und hatten in Eigenarbeit Stück für Stück ihr neues Zuhause hergerichtet. Als die Flut kam, waren sie erst vorher mit den meisten Arbeiten fertig geworden.

Der Schaden am und im Haus beläuft sich auf rund 200.000 Euro

Ein zweites Mal fehlte dem Paar die Kraft, alles selbst zu renovieren. Das Ausräumen des Hauses und den Abbruch hätten sie noch zu großen Teilen selbst gemacht, berichtet Kerstin Rosinke. „Ein Großteil des Wiederaufbaus haben wir dann in die Hände von Handwerkern gegeben. Uns fehlten Zeit und vor allem die Energie, wieder alles selbst zu machen.“

Allerdings hat diese Entscheidung ihren Preis. Rund 200.000 Euro Schaden hatten Kerstin Rosinke und ihr Freund Christian Stübler zu beklagen. Noch immer sind nicht alle Arbeiten erledigt, und damit trudeln auch weiter Rechnungen in ihrem Haus ein, berichtet Kerstin Rosinke. Eine große Summe zur Unterstützung hätten sie beide allerdings aus der Fluthilfe erhalten, die die kleine Stadt aufgelegt hatte.

500.000 Euro an Spenden standen für die Betroffenen in Arnis zur Verfügung

In diesem Topf waren dank vieler großzügiger Spenden nach der Flut rund 500.000 Euro eingegangen. Die Betroffenen konnten sich in den Monaten darauf um eine Unterstützung bewerben, je nach Größe des Schadens wurde dann das Geld an die Einwohner verteilt. Als Grundlage dienten Rechnungen und Belege über Kosten. Kerstin Rosinke und ihr Mann galten mit dem ihrem hohen Schaden als Härtefall und konnten sich über eine großzügige Unterstützung freuen.

Noch immer werde an die Bewohner Gelder ausgezahlt. „Denn nach wie vor laufen in den Häusern auch die Bauarbeiten“, sagt die stellvertretende Bürgermeisterin der Stadt, Michelle Diekmann, die sich im Rahmen eines Spendenausschusses unter anderem um die Verteilung des Geldes kümmert. Ein Fünftel sei noch verfügbar derzeit. Die Summe würde nun Stück für Stück noch an die Betroffenen ausgezahlt.

Überwältigende Hilfsbereitschaft: Damit hatte sie nicht gerechnet

Kerstin Rosinke und ihr Lebensgefährte sind von dieser Hilfsbereitschaft nach wie vor überwältigt. „Ich weiß nicht, ob wir das alles geschafft hätten, ohne diese Unterstützung“, sagt sie heute. In den Tagen nach der Flut sei es erst die Hilfe beim Auspumpen und Ausräumen gewesen. Später habe man ihnen eine Wohnung zur Verfügung gestellt. „Und dann diese finanzielle Unterstützung, das ist einfach enorm.“ Zumal sie nie damit gerechnet hätten.

Zwei Dinge, berichtet Kerstin Rosinke, hätten sie aus dem Erdgeschoss übrigens retten können. Den Esstisch und ein Highboard. Aus massivem Holz mit Metallelementen seien die beiden Möbelstücke, deshalb habe sie von Anfang an daran geglaubt, dass sie noch zu retten seien. „Alle haben mir gesagt, das hat keinen Sinn“, sagt die Arnisserin heute. Doch sie habe wochenlang immer wieder daran gearbeitet, dass diese beiden Möbelstücke wieder in ihrem Esszimmer stehen können.

Einige wenige Möbel konnte das Paar mit viel Aufwand retten

Erst seien sie draußen unter dem Vordach getrocknet worden. Und dann hätten sie die Teile mit Unterstützung eines Tischlers Stück für Stück wieder aufgearbeitet. Seit wenigen Tagen stehen sie nun im fertig renovierten Erdgeschoss. „Mir war das so wichtig, weil ich etwas Vertrautes retten wollte“, sagt Kerstin Rosinke.

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Neue Möbelstücke könnten das nämlich nicht ersetzen. „Also habe ich alles darangesetzt, dass das auch funktioniert.“ Diese Teile nun dort stehen zu sehen, habe sie sehr glücklich gemacht. Genauso wie die Tatsache, dass sie nun, ein Jahr nach der großen Flut, endlich wieder ein beinahe normales Leben in ihrem eigenen kleinen Haus leben können. „Das macht unendlich dankbar.“