Arnis. Ein Paar aus Arnis schildert, wie die Wassermassen sein Zuhause zerstört haben. Bürgermeister über die aktuelle Lage.
Drei Jahre lang haben Kerstin Rosinke und ihr Freund Christian Stübler in Arnis, in der kleinsten Stadt Deutschlands, ihr Haus instand gesetzt. Stück für Stück hat das Paar alles renoviert und erneuert, vieles davon selbst gebaut. Vor kurzem erst wurde das Dach gedeckt, das Erdgeschoss gerade erst komplett renoviert. Doch nun ist alles weg. Weggespült. Zerstört. Von der Sturmflut, die vor knapp zwei Wochen die Ostseeküste heimgesucht hat.
„Im Keller und Erdgeschoss ist alles verloren“, sagt Rosinke und stockt. Es fällt ihr schwer, darüber zu sprechen. Über das, was die Wassermassen mit ihrem Haus angerichtet haben.
Ostsee nach der Sturmflut: Arnis am schlimmsten betroffen
Erst 2019 sind die 39-Jährige und ihr Lebensgefährte von Hamburg nach Arnis gezogen. Rosinke leitet die Stadtbücherei von Kappeln, ihr Freund arbeitet auf dem Nord-Ostsee-Kanal. Hier haben sich die beiden ein altes Haus gekauft und die Renovierung zu ihrem ganz eigenen Projekt gemacht. „Mein Partner hat so unendlich viel Arbeit und Liebe hier reingesteckt“, sagt sie. „Ich kann immer noch nicht begreifen, dass das nun alles verloren sein soll.“
Arnis, das gerade gut 300 Einwohner zählt, ist wie kein anderer Ort von der Sturmflut betroffen gewesen. Der malerische Ort direkt an der Schlei, der bei Touristen sehr beliebt ist, liegt unterhalb des Meeresspiegels. Auch deshalb sollen zwei Deiche das Städtchen vor schlimmen Fluten schützen. Doch einer der Deiche brach in der Sturmflutnacht vor knapp zwei Wochen – innerhalb kürzester Zeit wurde Arnis zu einer Insel.
Sturmflut in Arnis: Niemand hat damit gerechnet, dass ein Deich bricht
Jens Matthiesen, Bürgermeister in Arnis, berichtet von den dramatischen Stunden. „Wir haben den ganzen Tag versucht, unsere Deiche zu sichern.“ Die Bewohner der Stadt und er seien zuversichtlich gewesen, dass sie halten würden und hätten gemeinsam rund 25.000 Sandsäcke gepackt und platziert.
„Wenn dann ein wenig Wasser darüber geschwappt wäre, das hätten wir verkraften können“, so Matthiesen. Aber dass einer der Deiche bricht, damit habe niemand gerechnet. „Als wir absehen konnten, dass das Wasser über den Deich laufen wird, haben wir vorsorglich alle Menschen in den dahinterliegenden Häusern evakuiert.“
Schwere Sturmflut: Deich in Arnis auf 50 Meter Länge gebrochen
Zum Glück. Denn kurze Zeit später sei plötzlich der große Damm auf 50 Meter Länge komplett gebrochen, berichtet der Bürgermeister. Das Wasser schoss durch die Straßen und in die Häuser hinein. Eine Fläche von 20 Hektar wurde sofort überflutet. Der Strom fiel aus, die Kanalisation musste abgestellt werden. Auch fast zwei Wochen später stehen noch Dixi-Toiletten in ganz Arnis, einige Häuser sind noch immer ohne Strom und Abfluss.
Rund 20 von den Häusern hätten schnell unter Wasser gestanden. Da Arnis so tief liegt, so der Bürgermeister, sei das Wasser nicht wie in anderen betroffenen Orten wie Damp oder Flensburg wieder herausgeflossen.
Mithilfe der Feuerwehr und des Katastrophenschutzes des Kreises Schleswig-Flensburg versuche man nun seit fast zwei Wochen, die Stadt von dem Wasser zu befreien. Matthiesen: „Die Pumpen laufen ununterbrochen.“ Doch aus den am schlimmsten betroffenen Häuser sei das Wasser erst seit zwei oder drei Tagen wieder raus.
Ostsee: Paar ist zum Zeitpunkt der Sturmflut im Urlaub in Spanien
Dazu gehört auch das Haus von Kerstin Rosinke und ihrem Lebensgefährten. Das Paar ist zudem besonders betroffen, weil es zum Zeitpunkt der Sturmflut im Urlaub war. „Wir haben uns nach drei Jahren Bauphase zum ersten Mal eine kleine Auszeit in Spanien gegönnt“, sagt Rosinke.
Wegen der Deiche wähnten sich die beiden zunächst in Sicherheit. Doch als dann einer der Deiche gebrochen war und das Paar so schnell wie möglich nach Hause wollte, „haben wir keinen Rückflug bekommen“, so die 39-Jährige. Gefangen seien sie gewesen in ihrem Urlaub – „wir konnten nichts tun, es war einfach nur fürchterlich.“
Betroffene der Sturmflut an der Ostsee: „Es ist alles verloren“
Das Paar konnte keine Erinnerungsstücke retten, keine Möbel in den ersten Stock transportieren. „Es ist alles verloren“, sagt Rosinke. Der Keller ihres Hauses stand komplett unter Wasser, im Erdgeschoss stand es 70 Zentimeter hoch. Seit etwa einer Woche sei das Erdgeschoss dank der Pumpen nun wieder wasserfrei.
Da Nachbarn mit anpackten, konnten Rosinke und ihr Freund das Stockwerk schnell leerräumen. „Wir mussten die Wände aufmachen und die Dämmerung herausholen, damit alles trocknen kann.“ Nun sei in den vergangenen Tagen auch der Keller leer gepumpt worden. Doch die dicke Schlammschicht am Boden, die mussten sie mühsam und gemeinsam mit vielen freiwilligen Helfern herausschaufeln.
Nach der Sturmflut: Paar bangt um sein Haus – „Ausnahmezustand“
Kerstin Rosinke weiß immer noch nicht, ob ihr Haus zu retten ist oder womöglich sogar abgerissen werden muss. „Wir warten auf Experten und Gutachter, die uns eine Einschätzung geben.“ Das Problem: Das Haus ist ein sogenanntes Holzträgerhaus. „Und ob das Holz es ausgehalten hat, tagelang unter Wasser zu stehen, ist bisher unklar“, sagt sie. Seit das Paar aus dem Urlaub zurück ist, schläft es bei Freunden und nun in einem Hotel in Kappeln.
Unklar ist auch, ob die Versicherung den Schaden oder zumindest Teile des Schadens übernehmen wird. „Bisher haben wir mündlich eine Ablehnung bekommen“, sagt Rosinke. Nun warte sie auf eine schriftliche Erklärung.
Ob sie dann mit Anwälten, die bereits Unterstützung angeboten haben, dagegen angehen will, das weiß sie noch nicht. „Wir sind seit Tagen in einem Ausnahmezustand.“ Seitdem sie die Nachricht von der Überflutung ihres Hauses erreicht hat, schlafe sie kaum noch. Rosinke: „Manchmal fallen wir vor lauter Erschöpfung in den Schlaf – aber oftmals liegen wir einfach nur wach und zermartern uns den Kopf.“
In Arnis ist der Zusammenhalt nach Sturmflut groß – alle helfen mit
Das Paar erhält große Unterstützung von seinen Nachbarn, genauso wie all die anderen betroffenen Menschen in Arnis. „Die Hilfsbereitschaft ist unglaublich“, sagt Kerstin Rosinke. Die kleine Stadt hat mehrere WhatsApp-Gruppen, über die nun Hilfe koordiniert wird. „Wenn da jemand nach einer Kabeltrommel fragt, ist die mit Sicherheit spätestens zwei Minuten später da.“ Das helfe ihr zumindest ein wenig, wenn auch nicht viel.
Auch Bürgermeister Matthiesen lobt den Zusammenhalt der Stadt. „Was da in der ersten Nacht und in den Tagen danach auf die Beine gestellt wurde, das ist einfach phänomenal“, sagt er. Die Möglichkeiten vonseiten der Stadtverwaltung seien begrenzt – doch zwei Dinge haben Matthiesen und seine Kollegen initiiert.
Sturmflut: Spendenkonto für betroffene Bürger eingerichtet
Zum einen tagte am Donnerstag erstmals ein Hochwasserausschuss, der unmittelbar nach der Sturmflut gegründet wurde. Hier sollen die Fäden des Wiederaufbaus zusammenlaufen, hier sollen die Gelder verwaltet werden. „Zum anderen haben wir ein Spendenkonto mithilfe der Stadt Kappeln eingerichtet“, so der Bürgermeister.
Ziel des Spendenkontos (Empfänger: Stadt Kappeln für die Stadt Arnis, IBAN: DE41 2175 0000 0080 0021 73, Verwendungszweck: PK38 Spende Hochwasser Arnis) ist es, schnell und unbürokratisch Hilfe zu leisten. Denn nach wie vor ist unklar, ob und wie viel finanzielle Hilfe die Stadt und ihre Bewohner von Bund und Land erhalten.
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Kerstin Rosinke und Christian Stübler sind noch immer den ganzen Tag damit beschäftigt, ihr Zuhause leerzuräumen, trocken zu legen und sauberzumachen. Wie es weitergeht, wissen sie nicht. Nur so viel: Sie wollen alles dafür tun, ihr Haus wieder instand zu setzen. „Das ist unser Zuhause“, sagt die 39-Jährige und fängt wieder an zu weinen. „Ich möchte einfach nur mein Zuhause zurück.“
Nach der Sturmflut – Trennung von wertvollen Erinnerungen
Bis dahin werden aber noch Monate vergehen. „Gerade heute Morgen ist mir durch den Kopf geschossen, wo wir denn nun Weihnachten feiern.“ Eine vielleicht belanglose Frage, sagt Rosinke. Angesichts ihres Unglücks stünde die Frage allerdings symbolisch für ihren großen Verlust.
Als Nächstes muss das Paar den Sperrmüll bereitstellen. Dieses Mal sind die Dinge aus dem Keller dran. Wieder müssen die beiden sortieren, sich von wertvollen Erinnerungen trennen. Und wieder wissen sie nicht, ob und was sie davon jemals ersetzt bekommen.