Lübeck. Prozess um Raubserie in Stormarn und Lauenburg vor dem Landgericht Lübeck. Anwalt legt überraschend neue Informationen vor.

Das Landgericht Lübeck hat die Plädoyers im Prozess um eine Serie von Raubüberfällen auf Tankstellen und Spielhallen in Südstormarn und im Westen des Kreises Herzogtum Lauenburg vertagt. Seit Ende Juni sitzt ein 27-Jähriger auf der Anklagebank, dem die Staatsanwaltschaft vorwirft, für zehn Taten zwischen Januar und Ende 2022 verantwortlich zu sein.

Eigentlich hatte das Gericht geplant, am Donnerstag nach der Vernehmung der letzten Zeugen mit den Schlussvorträgen zu beginnen. Doch das verhinderte die Verteidigung, die weiteren Klärungsbedarf sieht und einen Beweisantrag für den folgenden Verhandlungstag am kommenden Donnerstag, 7. September, ankündigte. Es gebe nach wie vor erhebliche Zweifel an der Täterschaft des 27-Jährigen.

Prozess um Raubserie: Neue Informationen könnten Angeklagten entlasten

Die Staatsanwaltschaft ist hingegen überzeugt, dass die Polizei den Mann gefasst hat, der die Überfälle auf acht Tankstellen in Großhansdorf, Trittau, Glinde, Oststeinbek und Wentorf sowie auf zwei Spielhallen in Wentorf und Reinbek begangen hat. In mehreren Fällen soll er dreistellige Bargeldbeträge erbeutet haben.

In der Reinbeker Spielhalle belief sich der Schaden sogar auf rund 5000 Euro. Eine Aushilfe hatte dem Eindringling eine Tasche mit Schlüsseln mitgegeben, in der dieser offenbar weiteres Geld vermutete. Der Geschäftsführer musste daraufhin alle Schlösser austauschen lassen.

Anklage stützt sich auf die Aufnahmen von Überwachungskameras

Die Anklage stützt sich vor allem auf Bild- und Videoaufnahmen von Überwachungskameras. Eindeutig zu erkennen ist der Räuber darauf allerdings nicht. Auch Zeugen konnten den 27-Jährigen an den vergangenen acht Verhandlungstagen nicht zweifelsfrei identifizieren. Ihre Beschreibungen wichen stark voneinander ab. Mal soll der Täter aggressiv gewesen sein, dann wieder etwas zurückhaltend.

Bei einem Überfall habe er die türkischen Wörter tamam (ok) und yalla (los) benutzt. Andere Zeugen berichteten wiederum von einem russischen Dialekt. Und wieder andere wollten sich erinnern, dass der Räuber akzentfrei Deutsch gesprochen habe. Die Aussagen zur Körpergröße schwanken von 1,70 bis 1,90 Meter.

Für die Verteidigung handelt es sich um verschiedene Personen

Verteidiger Andreas Mroß sagte nach der Sichtung des Videomaterials, aus seiner Sicht seien verschiedene Personen zu sehen. Doch es gibt auch Überschneidungen: Die stets gleiche Vorgehensweise, bei der der Täter die Angestellten unter Vorhalt eines Messers zur Herausgabe des Geldes aus der Kasse aufforderte, der schwarze Kapuzenpullover, den er trägt und die große, markante Nase, an die sich mehrere Zeugen erinnern wollen.

Eine solche hat auch der Angeklagte. Auch andere Merkmale aus der Beschreibung mehrerer Zeugen stimmen mit dem Erscheinungsbild des 27-Jährigen überein: groß, schlank, athletische Figur, helle Augen und blasses Gesicht.

Polizei sieht Indizien dafür, dass es sich um denselben Täter handelt

Laut Polizei gibt es zahlreiche Indizien dafür, dass es sich in allen Fällen um denselben Täter handelt. „Anhand der Überwachungsbilder ließen sich die ungefähre Körper- und Schuhgröße bestimmen“, sagte der zuständige Ermittlungsführer von der Reinbeker Polizei am Donnerstag vor Gericht. Beides passe zum Angeklagten.

Zudem seien in der Wohnung des 27-Jährigen Kleidungsstücke sichergestellt worden, die der Räuber auf mehreren Videoaufnahmen trägt, darunter eine schwarze Jogginghose der Marke Champion, schwarz-weiße Turnschuhe der Marke Emporio Armani und der schwarze Kapuzenpullover mit Bauchtasche. Darin hätten die Beamten einen weißen Beutel gefunden, den der Täter nach Aussage mehrerer Zeugen nutze, um darin das erbeutete Geld zu verstauen.

Mobiltelefon des 27-Jährigen wurde in der Nähe der Tatorte registriert

„Die Statur, die Kleidung, das Messer, der Modus Operandi – all das spricht aus meiner Erfahrung dafür, dass es sich um denselben Täter handelt“, sagte der Ermittler. Eine Auswertung der Funkzellen habe zudem ergeben, dass das Mobiltelefon des 27-Jährigen an drei Tatorten in zeitlicher Nähe zu den Überfällen registriert wurde.

Auch ein anderer Polizeibeamter, der an der Festnahme des Verdächtigen kurz vor Weihnachten 2022 beteiligt war, ist überzeugt, dass es sich bei dem Angeklagten um den Täter handelt. Der Ermittler ist Teil einer Spezialeinheit der Oldesloer Kriminalpolizei, die für Observierungen geschult ist. Seit September 2022 hatten sein Team und er Tankstellen und Spielotheken in der Region überwacht, in der Hoffnung, den Kriminellen auf frischer Tat zu ertappen.

Polizist ist sich sicher, dass er den Angeklagten erkannt hat

Das gelang den Beamten auch beinahe im Dezember 2022 in Aumühle. „Wir lagen nahe einer Tankstelle auf der Lauer, als sich eine Person mit dem Auto genähert hat“, so der Ermittler. Der Angeklagte habe seinen Wagen in einiger Entfernung an einer schlecht einsehbaren Stelle geparkt.

„Das erschien mir schon auffällig, weil es spät abends war und deutlich nähere Parkmöglichkeiten frei waren“, so der Ermittler. Der 27-Jährige sei ausgestiegen und zu der Tankstelle gegangen. „Ich hatte mir die Kameraaufnahmen vorher immer wieder angesehen und war mir deshalb zu 100 Prozent sicher, dass das der Mann aus den Videos ist“, erklärte der Polizist.

Der 27-Jährige lieferte sich vor seiner Festnahme eine Verfolgungsjagd

Die Statur, die Nase, und die Art, wie er seine Hose getragen habe – reingesteckt in weiße Tennissocken – all das habe übereingestimmt. Doch der 27-Jährige habe offenbar bemerkt, dass er beschattet wird und drehte um, ohne die Tankstelle zu betreten. „Er ging schnellen Schrittes zurück in Richtung Auto. Daraufhin haben wir uns als Polizei zu erkennen gegeben und wollten ihn festnehmen.“

Doch das sei zunächst nicht gelungen. „Er ist ins Auto, hat sich eingeschlossen und ist losgefahren.“ Erst nach einer wilden Verfolgungsfahrt durch Schleswig-Holstein und Hamburg hätten sie den Angeklagten in Glinde stellen können. Seitdem sitzt der 27-Jährige in Untersuchungshaft.

Verteidiger legt überraschend möglicherweise entlastende Beweise vor

Am neunten Verhandlungstag legte Verteidiger Andreas Mroß dem Gericht nun – für Kammer und Staatsanwaltschaft überraschend – eine Ermittlungsakte vor, die aus seiner Sicht weitere Zweifel an der Schuld seines Mandanten säht. „Darin geht es um weitere Taten in der Region, schon vor dem hier angeklagten Zeitraum im Januar 2022“, sagte der Anwalt.

Auch hier seien Tankstellen überfallen worden, die Täterbeschreibung und der Tatablauf „gleichen den angeklagten Vorwürfen wie ein Auge dem anderen.“ Das Pikante: Laut Akte habe ein 21-Jähriger die Überfälle bereits eingeräumt. „Mein Mandant wurde in diesem Verfahren zeitweilig ebenfalls als Beschuldigter geführt, die Ermittlungen dann aber eingestellt“, so Mroß. Die Akte habe er von der Staatsanwaltschaft erhalten.

Kammer möchte neue Informationen zunächst prüfen

Dem Gericht liegen diese Erkenntnisse nach Aussage der Vorsitzenden Richterin, Ute Schulze Hillert, nicht vor. „Wir werden uns die Akte besorgen und prüfen, inwieweit sie für dieses Verfahren relevant ist“, kündigte sie an. Das Verfahren soll am Donnerstag, 7. September, fortgesetzt werden. Bislang sind noch zwei weitere Termine bis Anfang Oktober angesetzt.