Lübeck. Prozess gegen 27-Jährigen hat begonnen. Er soll zehn Taten östlich von Hamburg begangen haben. Sein Anwalt glaubt an eine Verwechslung.

Es ist noch dunkel, als an einem Spätsommermorgen im Jahr 2022 eine vermummte Person in die Tankstelle am Alten Frachtweg in Wentorf stürmt. Mit vorgehaltenem Messer fordert die dunkle Gestalt die Kassiererin auf, das Kassengeld herauszurücken. Weil die Tankstelle zu diesem Zeitpunkt – es ist gegen fünf Uhr – aber noch keine Einnahmen gemacht hat, muss die Person schließlich ohne Beute verschwinden. Für die Kassiererin bleiben schreckliche Erinnerungen, die ihr Leben bis heute maßgeblich beeinträchtigen.

Der versuchte Raub in der Tankstelle in Wentorf war kein Einzelfall. Östlich von Hamburg kam es im vergangenen Jahr zu mehreren Überfällen dieser Art. Teilweise wurden dabei dreistellige Geldbeträge erbeutet. Seit Dienstag muss sich ein 27-Jähriger vor dem Landgericht Lübeck verantworten. Der Vorwurf lautet unter anderem räuberische Erpressung. Der Mann soll achtmal Tankstellen in Wentorf, Großhansdorf, Trittau, Glinde und Oststeinbek sowie zwei Spielhallen in Oststeinbek und Reinbek überfallen haben.

Prozess: Angeklagter 27-Jähriger schweigt vor Gericht

Auch fast ein Jahr später bricht die Kassiererin aus Wentorf in Tränen aus, wenn sie von der Tat erzählt. Die 60-Jährige ist noch immer krankgeschrieben und befindet sich in therapeutischer Behandlung. Im Gerichtssaal kommt sie schnell außer Atem. Zu groß ist sie Aufregung, vor den Richtern auszusagen und dem vermeintlichen Täter ins Gesicht zu schauen.

Der Tatverdächtige sitzt zurzeit in Untersuchungshaft. Er ist ein schlanker Mann mit athletischer Figur und blassem Gesicht. Seine braunen Haare sind an den Seiten auf wenige Millimeter heruntergetrimmt, er trägt einen Dreitagebart. Der Blick ist leer. Während der Zeugenaussagen verzieht er keine Miene. Auch nicht, als Aufnahmen von Überwachungskameras, die mehrere Taten gefilmt haben, abgespielt werden.

Verteidiger habe „mehrere verschiedene Personen gesehen“

Zwischen einigen Überfällen gebe es den Zusammenhang, dass der Täter eine „große, markante Nase“ habe, berichtet eine Kriminalkommissarin in ihrer Zeugenaussage. Auf den Angeklagten trifft dieses Merkmal durchaus zu. Und: In einer der Videoaufnahmen ist die Nase des Täters deutlich unkennbar.

Der Tatverdächtige blickt mal auf einen der Monitore, dann wieder auf den Boden. „Ich habe mehrere verschiedene Personen gesehen“, sagt der Verteidiger nach der Sichtung der Videobilder. Ein einheitliches Vorgehen bei den Überfällen ist nicht unbedingt erkennbar. Manchmal wirkt die Person aggressiv, dann wieder etwas zurückhaltend. Die Aussagen der Zeugen zur Körpergröße schwanken von 1,70 bis 1,90 Meter.

Täter soll bei Überfällen seine Sprache verstellt haben

Eine 26 Jahre alte Kassiererin, die in der Tankstelle an der Möllner Landstraße in Glinde arbeitete, will beim Überfall im August 2022 einen russischen Akzent verstanden haben. „Nichts passieren, nichts passieren“, habe der Täter gesagt, der nach Aussage des Verteidigers klares Deutsch spricht. In der Anklageschrift hieß es, der Tatverdächtige hätte seine Stimme bewusst verstellt. Bei einem anderen Überfall soll er auch türkische Wörter benutzt haben.

In den gezeigten Aufnahmen war der Täter meistens komplett schwarz gekleidet. Häufig trug er einen schwarzen Pullover mit weißen Streifen an den Armen, dazu eine schwarze Jogginghose und schwarze Schuhe der Marke Emporio Armani. Doch war es überhaupt ein Mann? Auch das zweifelt der Verteidiger an: „Die Bewegungen waren teilweise weiblich anmutend.“ Genau festlegen können sich die beiden Kassiererin dazu nicht, auch wenn sie zunächst aussagten, dass es sich um einen Mann gehandelt habe.

Beide Frauen würden noch heute unter Angstzuständen leiden. Die Tankstelle in Glinde wurde in den Monaten nach dem Überfall von Sicherheitsleuten bewacht, die 26-Jährige arbeitet mittlerweile aber an einem anderen Standort. Die Kassiererin der Tankstelle an der Hamburger Straße in Trittau konnte ihre Arbeit nicht mehr ausführen. Überfälle dieser Art gebe es regelmäßig, erzählt der zuständige Pächter, der mehrere Filialen in Norddeutschland betreibt. Doch: „Dass eine Mitarbeiterin danach so fertig ist, habe ich noch nicht erlebt“, sagt der 42-Jährige vor Gericht.

Zehn weitere Verhandlungstage anberaumt

Während der gesamten Verhandlung schweigt der Angeklagte. Sein Verteidiger betont, dass eine solide Beweislage nicht gegeben sei: „Die Vorwürfe sind lediglich eine Aneinanderreihung von Indizien.“ Für die kommenden Wochen sind zehn weitere Verhandlungen anberaumt. Fortgesetzt werden soll der Prozess am Donnerstag, den 6. Juli. Der aktuell letzte Termin ist für den 10. Oktober angesetzt.