Reinbek. Wird die Hermann-Körner-Straße umbenannt? Tomas Unglaube erforscht Körners Vita (1907-’77) als Entscheidungsbasis für die Politik.
Die Stadtrechte, die Elektrifizierung der Bahnstrecke bis Reinbek 1969, der Bau von Reinbek-West, der Siedlung Cronsberg sowie auch das gemeinsame Gewerbegebiet von Reinbek, Schönningstedt und Glinde – in 20 Jahren Amtszeit hat Hermann Körner, von 1951 bis 1971 Bürgermeister in Reinbek, viel für die Stadt erreicht. „Er war hoch angesehen und galt als hoch effizienter Verwaltungsfachmann“, stellt Tomas Unglaube, Geschichtslehrer im Ruhestand, fest. Nach Körners Vergangenheit habe damals kaum jemand gefragt, geschweige denn geforscht.
Die Straße aus der Stadt ins Gewerbegebiet wurde nach dem einstigen Bürgermeister benannt, der 1972 sogar mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde. Doch Hermann Körner war bereits unter den Nationalsozialisten Verwaltungschef, von 1933 bis 1939 als „jüngster Bürgermeister des Reiches“ in Werneuchen sowie von 1939 bis 1945 im damaligen Küstrin (heute Kostrzyn nad Odra in Polen). Seine nationalsozialistische Vergangenheit kam 2017 durch eine Ausgrabung in der ehemaligen Festung Küstrin ans Licht und in die Schlagzeilen. Somit wurden auch seine Ehrungen und der Reinbeker Straßenname auf den Prüfstand gestellt. Unglaube, 2017 noch SPD-Stadtverordneter, hat Körners Geschichte recherchiert und darüber einen Aufsatz veröffentlicht. Ein zweiter ist in Arbeit.
Hermann Körner – NS-Vergangenheit auf dem Prüfstand
„Dass Hermann Körner Mitglied der NSDAP gewesen war, war bekannt“, berichtet der 71-Jährige. „Aber er hat seine anderen Posten verschwiegen. Oder er versuchte, sie möglichst gering darzustellen.“ Gegenüber der Entnazifizierungskommission etwa habe er behauptet, nur kurz Kreisleiter der NSDAP im Kreis Königsberg/Neumark gewesen zu sein. „In seinem Gebiet war er der drittoberste Nazi“, ordnet Unglaube dieses Amt ein. Tatsächlich aber habe er den Posten bis Kriegende innegehabt. „Ich habe dies mithilfe der örtlichen Tageszeitung dort recherchiert“, sagt der Lehrer im Ruhestand. „Er tauchte dort immer wieder auf.“
Als Mitglied der Kreisleitung der NSDAP in Oberbarnim/Eberswalde ab 1936 war Körner verantwortlich für die gesamte Propaganda im Kreis. Bevor er Bürgermeister in Küstrin wurde, war er bereits Gauredner geworden. Seine Aufgabe sei es gewesen, im Gau Brandenburg die Reden im Sinne der NSDAP zu halten. „So etwas ist nur als überzeugter Nazi möglich“, stellt Unglaube fest. In der Aktentasche, die man bei den Ausgrabungen gefunden hatte, war neben anderen Ausweisen und einer Waffe auch Körners Parteiausweis. „Er ist 1928 bereits in die NSDAP eingetreten“, erklärt der Reinbeker Historiker. „Nicht erst 1930, bewogen durch die Weltwirtschaftskrise, wie Hermann Körner es behauptet hatte.“
Körner hat sich der Macht eines NS-Bürgermeisters bedient
„Es geht aber nicht allein um darum, welche Posten der NSDAP Herr Körner wahrgenommen hat“, betont Tomas Unglaube. „Vielmehr geht es darum, welche Handlungsspielräume man auf diesen Posten hatte, und wie man diese nutzte.“ Hermann Körner sei nicht bloß Propagandist des Nationalsozialismus gewesen. Er habe sich der Machtmittel des Bürgermeisters bedient, der damals zugleich Ortspolizeibehörde war, um gegen Mitbürger vorzugehen, die sich – und sei es nur störend im Alltag – der Gleichschaltung verweigerten, beschreibt Tomas Unglaube in seinem ersten Aufsatz. Dies zeige beispielsweise der Fall des Karl Stroyek.
Stroyek lebte seit 1934 in Werneuchen und hatte sich zum Leidwesen der NSDAP-Funktionäre dort dem Hitlergruß verweigert und öffentlich im Gasthof den Nationalsozialismus kritisiert. Sein Verhalten war allerdings strafrechtlich schwer greifbar. So zweifelte er beispielsweise die Sinnhaftigkeit der Beschränkungen für jüdische Kaufleute an. Die NS-Machthaber der Kleinstadt fühlten sich durch ihn zunehmend in ihrer Autorität untergraben. Der NSDAP-Ortsgruppenleiter Köhler forderte Bürgermeister Körner am 22. Juni 1938 schriftlich auf, gegen Stroyek vorzugehen.
Körner wollte den NS-Kritiker im KZ sehen
Und Hermann Körner habe noch am selben Tag gehandelt, schreibt Unglaube. Er ließ Stroyek verhaften. Körners Begründung: „Stroyek steht in dringendem Verdacht, sich durch dauernde staatsfeindliche Äußerungen heute noch im kommunistischen Sinne zu betätigen.“ Noch am 22. Juni 1938 wurden sieben Zeugen vernommen, telefonierte Körner mit der Gestapo in Potsdam. Doch entgegen deren Rat, den Beschuldigten zuerst dem zuständigen Amtsrichter vorzuführen, ließt Körner Karl Stroyek zwei Tage später, von Werneuchen direkt zur Gestapo nach Potsdam bringen. Körner habe damit nicht nur gegen die Weisung aus Potsdam verstoßen, so Unglaube: Er habe Stroyek auch bewusst einem möglicherweise milde urteilenden Richter entzogen.
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In einem Brief habe der junge Bürgermeister der Gestapo zudem empfohlen, zitiert Unglaube: „Bei ihm fruchten Verwarnungen nicht, sondern er muss einige Strafen erfahren. M. E. wäre es richtig, Strojek für einige Zeit in ein K.-Lager einzuliefern.“ Niemand habe ihn zu einem derartigen Vorschlag gezwungen, betont der Reinbeker Historiker. Dies sei aber nur ein Fall, wo Hermann Körner diesen Spielraum missbraucht habe, sagt Unglaube.
Tomas Unglaubes Forschungen sollen als Entscheidungsbasis dienen
Ob die Hermann-Körner-Straße unbenannt werden oder etwa um einen Kommentar als Schild oder per QR-Code ergänzt werden soll, müssen die Stadtverordneten entscheiden. Tomas Unglaube, der auch Mitglied des Arbeitskreises zum Thema ist, hofft, dass er seine Forschungsergebnisse zum Jahresende mit den anderen Mitgliedern diskutieren kann. Unter Leitung von Stadtarchivar Carsten Walczok wird der Kreis dann eine Empfehlung aussprechen, die den Stadtverordneten als Entscheidungsbasis dienen soll. „Wir richten uns dabei nach den Kategorien, die die Universitäten in Freiburg, Düsseldorf und Hannover für Änderungen von Straßennamen erarbeitet haben“, sagt Tomas Unglaube.
Stadtarchivar Walczok und Bürgermeister Björn Warmer haben sich bereits vor einigen Jahren im Küstriner Festungsmuseum informiert. „Dort hat man es wohlwollend aufgenommen, dass wir uns für die Problematik interessieren“, berichtet Warmer. Tomas Unglaube arbeitet derzeit an seinem zweiten Aufsatz über die Vita Hermann Körners, der im Dezember im Brandenburger Heimatkalender erscheinen soll. Darin geht es unter anderem um zwei weitere Fälle, in denen Hermann Körner seine Macht während der NS-Zeit ausgeschöpft haben soll.