Reinbek. Anekdoten aus Niemann’s Gasthof: Alter und neuer Eigentürmer tauschen sich über die Geschichte des Traditionshauses aus.
Seit 120 Jahren steht sie dort am selben Fleck, „das dolle Ding“, wie Ex-Gastronom Joachim Niemann die Registrierkasse von Niemann’s Gasthofs in Reinbeks Stadtteil Silk liebevoll nennt. Der Landgasthof ist 168 Jahre alt, aus jeder Fuge atmet das Gebäude Geschichte. Und der Senior, der das Objekt im Februar an Philipp Tatschl verkauft hat, kennt jeden Stein. „Die Kasse hat mein Großvater Wilhelm Niemann angeschafft“, erläutert er dem 30-Jährigen. Auf Anhieb findet der 71-Jährige den richtigen Sicherungsschalter, es rappelt in der großen Kasse. „Oh, die hat ja sogar einen eigenen Trafo“, stellt Philipp Tatschl entzückt fest.
Denn der neue Eigentümer interessiert sich brennend für die Geschichte und liebt die Atmosphäre des Traditionshauses. Deshalb hat er die Ausstattung auch so belassen, wie sie ist: Die weinroten Wände, der Holzfußboden und die Kaffeekannen an den Wänden sind noch da. Auch die Gaststube mit dem dunkelgrünen Kachelofen und die Geweihe zieren noch die Wände. Und gegenüber dem Tresen steht immer noch die alte Kasse. „Von der sind unsere Gäste immer sehr begeistert und drücken gern an den Tasten und Hebeln“, erzählt Tatschl.
Gastronomie: Wenn diese 120 Jahre alte Kasse aus Reinbek erzählen könnte
Joachim Niemann kennt das: „Deshalb habe ich damals die Kurbel und das Papiermesser sowie die ölhaltige Stempelfarbe herausgenommen, weil sie mit der Zeit alles verklebt.“ Schon als Kind war er immer dabei und hat genau aufgepasst, wenn das Gerät ein- bis zweimal gewartet wurde. Dann wurde sie von einem eigens angereisten Fachmann geölt, der Papierschneider für die Bons wurde geschliffen sowie Farbe nachgefüllt.
„Zweimal im Jahr wurde sie mit heißem Wasser und grüner Seife abgeschrubbt und dann glänzte die Kasse wieder“, erzählt der Gastronom im Ruhestand. „Durch den Küchendunst und den Zigarettenrauch damals war sie natürlich schnell wieder dunkel. Auf den Ecken lagen weiße Fliesen auf denen ein Aschenbecher thronte.“
Joachim Niemann ist im Gasthof und in der Küche groß geworden
Daher kennt er sich sehr gut mit dem alten Gerät aus. „Jeder Kellner hatte sein eigenes Register“, erläutert er die erste vertikale Reihe von neun Knöpfen. „Jeder hatte seinen eigenen Schlüssel für sein Register. Dort wurden genau die einzelnen Umsätze und die Bons registriert, die jeder pro Tag gemacht hatte. Das war eine tolle Sache.“ Es gab ein zusätzliches Zählwerk für bestimmte Bongruppen, wo die die Preise hinterlegt waren, erläutert Niemann. „Unten war ein Sichtfenster für die Anzahl der Bons, oben eines für den Tagesumsatz.“
Dank der Kasse habe er seine Fähigkeiten im Kopfrechnen enorm gesteigert. Denn sein Großvater hatte ihm aufgetragen, genau aufzupassen. „Die Kellner listeten die Getränke einzeln für den Tresen auf, damit sie dort ausgeschenkt wurden“, berichtet Niemann. Als Steppke kannte er die Preise der einzelnen Getränke schnell auswendig. „Ich musste nur hinter das Komma schauen um zu erkennen, ob sie sie richtig eingaben. Das hat mir in der Schule sehr geholfen.“
Einmal sei herausgekommen, dass ein Kellner seine eigenen Preise machte. „Ein Gast sprach meinen Vater darauf an, warum er alle seine Preise um 50 Pfennige erhöht hatte“, erzählt Joachim Niemann. „Er brauchte nur in seinem Register nachschauen und da flog alles auf. Der Kellner durfte sofort gehen.“
Bis 1976 war die Kasse im Betrieb und sie funktioniert heute noch
Unter dem reich verzierten Gehäuse aus Nickel verbergen sich verschiedene Gusswalzen. „Irgendwelche Leute haben immer in ihrem Brausebrand daran herumgedrückt“, erinnert sich Joachim Niemann. „Einmal war eine Walze gebrochen. Da mussten wir die Registrierkasse ein halbes Jahr zur Reparatur geben. In der Zwischenzeit hatte Großvater ein gebrauchtes Nachfolgemodell von 1925 angeschafft. Sie steht heute im Glinder Heimatmuseum in der Kupfermühle und funktioniert ebenfalls noch einwandfrei.“
Und die Ziffer 7 hängt: „Da ist einmal die Feder gebrochen“, erinnert sich der 71-Jährige. „Das war Ende der 60er-Jahre. Das Auswechseln sollte ein paar 100 Mark kosten. Deshalb haben wir uns mit einem Draht und einem Gummiband beholfen, das musste regelmäßig erneuert werden.“ Bis 1976 war die Kasse noch im Betrieb.
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Eine Goldgrube in den 1950er Jahren
Joachim Niemann erinnert sich noch gut an die Hochzeiten der Landgasthöfe: „Am besten lief der Himmelfahrtstag, da hatten wir von 6 Uhr morgens bis Mitternacht geöffnet. Drei verschiedene Musikkapellen spielten, vorn auf der Terrasse auf dem Saal und hinterm Haus. In den 1950er Jahren wurden hier einmal 15.000 Mark umgesetzt. Das würde heute 100.000 Euro entsprechen. Am Himmelfahrtstag 1956 haben über 50 Hektoliter Bier verkauft, es kamen den Tag über mehr als 10.000 Gäste“, berichtet er.
„Meine Schwester und ich mussten in der Küche jeder 360 Eier aufschlagen für Rühreier und Bauernfrühstück.“ Sein Vater habe vorher zehn Schinken à 40 bis 50 Pfund gekauft: Die Pape und die Nuss wurden aufgeschnitten, der Rest wurde für Bauernfrühstück gewürfelt.
„Wir haben hart gearbeitet und auch viel wieder in den Betrieb investiert“
„Das waren goldene Zeiten“, sagt der Ex-Wirt. 1964 ließ sein Großvater Wilhelm Niemann Strom bis zum Bahnhof Wohltorf legen, damit er den Weg beleuchten lassen konnte. „Es hatten ja noch nicht viele ein Auto“, erklärt Joachim Niemann. „Wenn es dunkel wurde, schaltete er die Beleuchtung ein. Der Lokführer der letzen Bahn tutete dreimal vor der Abfahrt. Dann wusste Großvater, dass er das Licht wieder ausschalten konnte.“
Er selbst stieg 1974 in den Betrieb ein, als sein Vater Willi Niemann schwer krank war. 1983 übernahm er den Gasthof von seiner Mutter und bezahlt ihn bis 2003 per Leibrente ab. „Wir haben hart gearbeitet und auch viel wieder in den Betrieb investiert“, sagt der 71-Jährige.
Das Hotel trägt sich bereits, doch Tatschl will einen Saal bauen
Von den goldenen Zeiten kann Philipp Tatschl nur träumen, aber er ist sehr zufrieden: „Das Hotel mit 18 Zimmern läuft sehr gut, besser als 2022“, berichtet er. „Es trägt sich bereits. Und auch als Veranstaltungsort für runde Geburtstage, Konfirmationen oder Hochzeiten werden wir immer gebucht. Besonders das schöne Ambiente spricht sich schnell herum.“
Bisher sei dies allerdings nur für bis zu 70 Gäste möglich. „Wir warten sehnlichst darauf, dass wir eine Genehmigung für einen Saalanbau bekommen“, sagt Tatschl. Die Bauvoranfrage laufe. Der alte Saal war vor einigen Jahren den Hotelzimmern gewichen. Aus dem ersten kleinen Gastraum sind zwar die Möbel verschwunden, weil die Gäste der runden Geburtstage, der Konfirmationen und Hochzeitstage, die dort gefeiert werden, dort gern tanzen. Deshalb soll ein neuer Saal her. Tatschl arbeitet derzeit noch als Elektroingenieur, betreibt das Hotel nebenberuflich.