Reinbek. Der Klimaexperte kommt am 25. Mai nach Reinbek. Im Interview spricht er über das 1,5-Grad-Ziel, die Rolle Chinas und Eigenverantwortung.

Mojib Latif (68) ist Meteorologe, Ozeanograf und Klimaforscher. Er lehrt als Seniorprofessor an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und forscht am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Sein Credo ist: Klimaschutz muss Spaß bringen. Am 25. Mai ist Mojib Latif in Reinbek zu Gast. Imke Kuhlmann, Mitarbeiterin der Bergedorfer Zeitung, sprach vorab mit dem weltweit anerkannten und gefragten Klimaexperten.

Bergedorfer Zeitung: Professor Latif, wann begann Ihr Interesse für das Klima?

Mojib Latif: Ich habe mich als Kind schon für die Natur interessiert. Bei Gewitter überlegte ich mir Theorien, warum es „rumst“ und erklärte mir das mit dem „Zusammenkrachen“ der Wolken. Es war Neugier.

Sie studierten zuerst Betriebswirtschaftslehre und kamen erst später zur Meteorologie, wie kam das?

Meine Eltern rieten mir zu einer wirtschaftlichen Ausbildung aber mein Herz schlug schon immer für die Naturwissenschaften.

Wie kommen Sie zu ihren Erkenntnissen in der Klimaforschung?

Wir führen unter anderem Computersimulationen durch und analysieren Beobachtungen im weltweiten Austausch. Was viele nicht bedenken, Klimawandel ist mehr als die Auswirkung auf die Atmosphäre, es sind auch die Veränderungen in den Ozeanen und in der Eissphäre. Über 90 Prozent der zusätzlichen Wärme beispielsweise verschwinden in den Meeren und dort steigt die Temperatur der oberen zwei Kilometer kontinuierlich. In unseren Forschungen blicken wir sowohl in die Vergangenheit wie beispielsweise in die letzte Eiszeit als auch in die Zukunft.

Das 1,5 Grad Ziel, also die Begrenzung des maximalen globalen Temperaturanstiegs werden wir nach Ihren Aussagen nicht erreichen. Warum sind Sie so sicher?

Was müsste passieren, damit wir die 1,5 Grad Marke nicht reißen? Bis zum Jahr 2030 müssten wir den CO2-Ausstoß weltweit halbieren und in den darauffolgenden paar Jahrzehnten auf null herunterfahren. Doch der CO2-Ausstoß ist insgesamt immer weiter gestiegen, Ausnahme war nur 2020, das Jahr des Corona-Lockdowns. Ich sehe nicht, dass die Weltgemeinschaft bereit ist, das zu tun, was zu tun ist, um das Ziel zu erreichen. Ich sehe in vielen Ländern nicht den politischen Willen. Die Klimaerwärmung wird weiter voranschreiten. Wir werden neue Temperaturrekorde verzeichnen.

Sie sagen, der CO-Ausstoß habe sich in Deutschland seit 1990 um 40 Prozent verringert, in der Welt sei er um 60 Prozent gestiegen. Was bedeutet das?

Die gute Botschaft daran ist, dass ein Industrieland wie Deutschland es schaffen kann, die schlechte, dass Deutschland nur zwei Prozent Anteil an den weltweiten Emissionen hat. Wenn ein Land wie China, mit einem Anteil von 30 Prozent der Emissionen, nicht bereit ist, etwas zu tun, sind wir chancenlos. Auch Indien, das Land mit den meisten Menschen, ist problematisch, wenn es den fossilen Weg geht. Eine grundlegende Veränderung ist nur über die erneuerbaren Energien möglich. Für das Klima ist es egal, wo das CO2 in die Luft kommt. Aber ebenso erfordern es die Abhängigkeit von den konventionellen Energien und unsere ökonomische Zukunft, dass wir auf erneuerbare Energien umsteigen müssen. Ökonomie ist der Ansatz in den USA. Dort geht der Blick nicht auf Klimaschutz, sondern auf den wirtschaftlichen Vorteil. Wir werden dort aus diesem Grund voraussichtlich noch eine große Dynamik erleben.

Sie haben immer auch den Blick auf die Wirtschaft und sagen, wir müssen in Richtung Nachhaltigkeit umbauen, ohne dass langfristig ein ökonomischer Schaden entsteht.

Die Wirtschaft hat retrospektiv durch die Abhängigkeit von Importen einen großen Fehler gemacht. Schauen wir einfach nur auf die Energiekrise oder den Mangel an wichtigen Medikamenten. Auf der anderen Seite wurde geglaubt, dass die billige Energie immer bleiben würde, doch es wird nichts mehr so sein, wie es war. Wir müssen viel mehr erneuerbare Energien erzeugen und mehr Kapazitäten im europäischen Zusammenspiel aufbauen. Bereits bei der Ölkrise vor 50 Jahren hätten wir hellhörig werden können. Die Wirtschaft sollte erkennen, dass Klimaschutz sie ökonomisch stärkt. Deutschland muss zukunftsfähig werden. Viele Entwicklungen wurden beispielsweise in der Autoindustrie verschlafen. Wir laufen Gefahr, dass uns andere Länder bei der E-Mobilität den Rang ablaufen. Unsere Autos sind viel zu groß und zu teuer. Zudem bedeutet E-Mobilität mehr als nur der Antrieb, sie beinhaltet auch Digitalisierung. Aus meiner Sicht sind unsere Unternehmen bislang zu träge. Jahrzehntelange Erfolge und ein Kuschelkurs der Politik haben ihnen den Blick für die Zukunft vernebelt.

Es gibt jedoch viel Diskussion darum, ob E-Mobilität wirklich die Zukunft ist.

Letzten Endes haben wir nur die Wahl zwischen besonders umweltschädlich und weniger umweltschädlich. Dass es etwas gibt, was die Umwelt nicht schädigt, ist ein Irrglaube.

Wir müssen weg von einer Verzichtsdebatte, das heißt wir müssen positiver mit dem Thema umgehen, so ihr Credo.

Ja, dazu gehört, dass wir schneller werden müssen und erkennen, dass uns Klimaschutz Arbeitsplätze sichert. Oder nehmen wir die Bahn. Sie muss attraktiv sein. Andere Länder machen uns vor, dass es pünktlich und mit einem stabilen Internet geht. Nur so bekommen wir die Pendler von der Straße. Tatsächlich wähle auch ich manchmal das Auto, weil ich mich nicht immer auf die Bahn verlassen kann. Wenn sich das ändert, macht Klimaschutz Spaß.

Helfen die Klimakleber, das Thema in den Vordergrund zu rücken?

Ich halte die Aktionen für kontraproduktiv. Die Form des Protestes steht im Vordergrund, über Klimaschutz wird in dem Zusammenhang gar nicht mehr geredet. Am Ende werden dann alle, die sich für Klimaschutz einsetzen in einen Topf geworfen.

Haben Sie einen Rat für jeden von uns?

Die Politik muss Rahmenbedingungen setzen, wie beispielsweise die Verbesserung der Bahn. Dazu gehören öffentliche Verkehrsmittel genauso wie vernünftige Fahrradwege. Wir sollten lernen, die Vorzüge zu sehen. Wenn ich das Rad nehme, tue ich gleich etwas für meine Gesundheit. Autofreie Innenstädte erhöhen die Lebensqualität. Und wenn es doch das Auto sein soll, so können wir durch eine reduzierte Geschwindigkeit Energie und Geld sparen. Ich habe mein persönliches Tempolimit und fahre auf der Autobahn nur 100 km/h.

Ende des Monats sind sie in Reinbek. Worüber sprechen Sie in Ihrem Vortrag „Das Ende der Ozeane“?

Im ersten Teil werde ich die Faszination der Meere beschreiben, nach dem Motto, was man liebt, das schützt man. Im zweiten Teil gehe ich auf den Klimawandel und die globale Erwärmung ein. Die Meere spielen hier eine große Rolle. Da ist auf der einen Seite die Meereserwärmung und die Aufnahme von CO2, die zur Versauerung des Meerwassers führt, auf der anderen Seite der steigende Meeresspiegel. Das generelle Problem ist, dass wir die CO2-Verschmutzung oder die Versauerung nicht sehen können, das macht den Klimawandel in den Meeren so abstrakt.

Prof. Mojib Latif spricht am 25. Mai von 19 Uhr an im Reinbeker Schloss. Die Veranstaltung ist zugleich der Gründungstermin der Sektion Reinbek der SHUG (Schleswig-Holsteinische Universitätsgesellschaft) die mit dem Ziel gegründet wurde, Wissen zur Bevölkerung zu bringen. Hochschullehrer aller acht Fakultäten der CAU halten Vorträge aus ihren Fachbereichen. Eine Mitgliedschaft bei der SHUG kostet 20 Euro pro Person und Jahr. Beitritte sind jeweils am Vortragsabend möglich. Der Eintritt zu den Vorträgen ist als Mitglied kostenfrei. Nicht-Mitglieder zahlen 8 Euro. Der Kartenvorverkauf ist unter Telefon: 040/72 75 08 00 per E-Mail: tickets@reinbek.de oder über die Webseiten des Schlosses Reinbek www.schloss-reinbek.de unter Kulturprogramm und der Stadtbibliothek www.stadtbibliothek-reinbek.bibliotheca-open.de möglich.