Bergedorf. Drei Preisträger werden in Bergedorf mit jeweils 60.000 Euro ausgezeichnet. Wie ihre Sozialunternehmen der Gesellschaft dienen.

Sie kommen aus verschiedenen Branchen, aber sie eint der Unternehmergeist und der Mut, etwas zu verändern: Dr. Titus Bahner, Dr. Frank Hoffmann und Judith Grümmer . Sie zeigen, dass Start-ups keine Frage des Alters sind: Die Welt zu verbessern, ist in jedem Alter möglich. Für ihre innovativen und gesellschaftlich relevanten Gründungen erhalten die drei Sozialunternehmer den mit je 60.000 Euro dotierten Zugabe-Preis 2023 der Körberstiftung.

„Der Zugabe-Preis geht an starke Gründerpersönlichkeiten, die mit ihren Unternehmen aktuelle strukturelle Problemlagen im Fokus haben und persönliche Unterstützungen für Menschen anbieten“, sagt Barbara Wackernagel-Jacobs. Die ehemalige Ministerin für Frauen, Arbeit, Gesundheit und Soziales im Saarland und jetziges Mitglied der Jury freut sich auf die Preisverleihung am 15. Juni bei einer festlichen Gala im Bergedorfer Körberhaus an der Holzhude.

Nachhaltige Landwirtschaft statt Rendite für Grund und Boden

Der Agrar- und Wirtschaftswissenschaftler Dr. Titus Bahner aus Hitzacker hat mit der „Kulturland-Genossenschaft“ ein Zukunftsmodell für Biolandwirte und Bürger ins Leben gerufen, um der zunehmenden Spekulation mit Grund und Boden entgegenzutreten und landwirtschaftliche Flächen für nachfolgende Generationen zu erhalten. Der 62-Jährige ist der Überzeugung, dass fruchtbarer Grund und Boden kein Geldanlageobjekt für Rendite sein sollte. Die Genossenschaft kauft mit den Anteilen ihrer Mitglieder Äcker, Weiden und Wald und stellt diese Flächen ökologisch wirtschaftenden Bauernhöfen sowie Neugründern zur Verfügung – unbefristet und unkündbar. Seit der Gründung 2014 konnten mit 1500 Genossen bundesweit rund 580 Hektar Land für mehr als 30 Bio-Bauernhöfe gesichert werden.

Titus Bahner (62) gründete die „Kulturland-Genossenschaft“ und will die Landwirtschaft erhalten.
Titus Bahner (62) gründete die „Kulturland-Genossenschaft“ und will die Landwirtschaft erhalten. © BGZ | Erhard

Mit Anteilen à 500 Euro finanzieren Bewohner rund um die Höfe aber auch Städter den Landkauf, für den in der Regel eine Kommanditgesellschaft mit den Landwirten gegründet wird. Mit kreativen Lösungen gehen Titus Bahner und seine Mitstreiter auch außerfamiliäre Hofnachfolgen an: Kulturland wird dafür zum treuhänderischen Eigentumsträger des Betriebes und ermöglicht somit den neuen Bäuerinnen und Bauern, auch ohne großes Kapital einen Hof zu übernehmen. Gleichzeitig garantiert die Genossenschaft den Hofgebern eine angemessene Altersversorgung.

Inklusionsunternehmen im Kampf gegen Brustkrebs

Dr. Frank Hoffmann (63), Gynäkologe aus Mülheim an der Ruhr, gründete 2011 sein gemeinnütziges Sozial- und Inklusionsunternehmen „discovering hands gUG“, um die Qualität der Brustkrebsfrüherkennung zu verbessern. Mit 70.000 Erkrankungen im Jahr ist Brustkrebs immerhin die häufigste Krebserkrankung bei Frauen. Jetzt werden blinde und stark sehbeeinträchtigte Frauen mit ihrer besonderen Tastbegabung zu „Medizinisch-Taktilen Untersucherinnen (MTU)“ ausgebildet und ergänzen durch ihren medizinischen Assistenzberuf (die Ausbildung dauert zehn Monate) die fachärztliche Untersuchung: MTU erkennen 30 Prozent mehr und bis zu 50 Prozent kleinere Gewebeveränderungen in der Brust der Patientinnen als Ärzte. Inzwischen arbeiten mehr als 50 erfahrene MTU deutschlandweit in circa 130 kooperierenden Arztpraxen und Brustzentren. Sie sind fest und unbefristet einstellt.

Der Gynäkologe Frank Hoffmann (63) machte in seiner Duisburger Praxis de Erfahrung, dass die Zeit für eine gründliche Diagnose zur Brustkrebsfrüherkennung nicht ausreicht.
Der Gynäkologe Frank Hoffmann (63) machte in seiner Duisburger Praxis de Erfahrung, dass die Zeit für eine gründliche Diagnose zur Brustkrebsfrüherkennung nicht ausreicht. © BGZ | Bozica Babic

Jede Frau kann die Untersuchung in einer der Praxen wahrnehmen, auch wenn sie dort ansonsten keine Patientin ist. Bereits 33 gesetzliche und alle privaten Krankenkassen übernehmen die Kosten. In Zukunft soll der Diagnostikansatz erweitert werden, etwa auf Lymphknoten- und Schilddrüsenuntersuchungen.

Audiobiografien als Vermächtnis sterbender Eltern

Die dritte Preisträgerin, die Hörfunkjournalistin Judith Grümmer und dreifache Mutter (64) aus Köln, gibt Palliativpatienten eine Stimme, die bleibt: Mit ihrer gemeinnützigen Organisation „Familienhörbuch gGmbH“ bietet sie unheilbar erkrankten Müttern und Vätern die Möglichkeit, ihre persönlichen Lebensgeschichten kostenfrei und professionell als Audiobiografien für ihre minderjährigen Kinder aufzunehmen. Dabei erleben viele junge Eltern die Aufnahmearbeiten als Unterstützung bei der Bewältigung ihrer Erkrankung. Für die Kinder bewahren die Hörbücher die Stimmen und Lebensgeschichten ihrer Eltern. Das Start-up, welches 2019 gegründet wurde, hat bereits rund 200 Familienhörbücher produziert.

Das Sozialunternehmen arbeitet auf der Basis von Spenden, und die betroffenen Familien erhalten die Hörbücher kostenlos. Neben der Schaffung eines unersetzlichen Andenkens möchte Grümmer mit ihren Familienhörbüchern den Tod junger Eltern – und die Trauer der hinterbliebenen Kinder – stärker in den gesellschaftlichen Fokus rücken. Die jungen Palliativpatienten eint in den meisten Fällen eine Krebsdiagnose: jährlich erkranken deutschlandweit etwa 37.000 Eltern minderjähriger Kinder neu an Krebs. Rund ein fünftel der Erkrankungen kann nicht geheilt werden. In den vergangenen Jahren machte Judith Grümmer aus ihrem Ein-Frau-Projekt ein wachsendes Sozialunternehmen mit einem etablierten etwa 60-köpfigen Team aus Engagierten und freiberuflichen Hörbuchdesignern. Insgesamt sind bereits gut 200 Familienhörbücher entstanden.

Im Mittelpunkt der drei Zugabe-Preise stehen also Menschen, die mit ihren Initiativen zeigen, dass sich Erfahrung und Innovation, Ruhestand und Aufbruch, Alter und Social Impact produktiv ergänzen. Jury-Mitglied Barbara Wackernagel-Jacobs lobt die „wunderbaren Vorbilder in einer Gesellschaft, die noch mehr ermuntert werden muss, die Älteren in ihrer Kompetenz wertzuschätzen, in ihrer Lebenserfahrung und ihrer Bereitschaft, sich gesellschaftspolitisch einzumischen“.