Reinbek. 18 Frauen und zwei Männer aus Afghanistan und der Ukraine bringen Szenen aus ihrem Leben auf die Bühne. Dabei fließen häufig Tränen.

Flucht, Gewalt und Ängste – diese Erfahrungen haben die Darstellerinnen des Stücks „Wartesaal der Hoffnung – wenn ich mein Herz öffne…“ gemeinsam. Etwa 20 Geflüchtete aus Afghanistan und aus der Ukraine proben seit September vergangenen Jahres ein- bis zweimal die Woche in der Mensa des Schulzentrums. Zusammengebracht haben sie Marina Umlauff, Karin Tillmanns und Frank Tiedemann von der Flüchtlingsinitiative Reinbek.

Mit festen Schritten und suchendem Blick betritt in der ersten Szene eine Frau die Bühne – in der einen Hand einen kleinen Klapphocker, mit der anderen zieht sie einen Einkaufstrolley hinter sich her. Immer wieder ertönt die nervtötende Ansage: „Bitte warten Sie! Bitte warten Sie! Bitte warten Sie! Der nächste Platz ist für Sie reserviert.“ Eine zweite Frau erscheint mit ihrem Gepäck. Beide sitzen sie und warten am vorderen Rand der Bühne. Die andere schaut auf ihr Handy, plötzlich fällt sie auf die Knie und streckt ihre zitternden Hände aus – offenbar hat sie eine Schreckensnachricht empfangen.

Integration in Reinbek durch gemeinsames Theaterspielen

„Wissen Sie“, erklärt die 19 Jahre alte Melina Mohammadi. „Es ist egal, wie lange man hier ist und wie sehr man sich angenommen fühlt. Das Heimweh bleibt.“ Im Alter von zwölf Jahren ist sie mit ihren Eltern aus Herat in Afghanistan nach Deutschland gekommen. „Aber meine ganze Familie ist noch dort, Tanten, Onkel, Cousinen. Bei jedem Anruf hat man vorher Angst, ob sie überhaupt noch leben. Wir sind Schiiten. Und die Sunniten wollen uns immer vertreiben. Wir waren immer auf der Flucht, deshalb mussten wir fort.“

Die Szene, wenn die Träume der Afghaninnen platzen: Sie haben in ihrer Heimat keine Zukunft mehr.
Die Szene, wenn die Träume der Afghaninnen platzen: Sie haben in ihrer Heimat keine Zukunft mehr. © Susanne Tamm | Susanne Tamm

Ihr und ihrer Freundin Amtar ist die Szene wichtig, in der die afghanischen Frauen für ihre Rechte und gegen die Taliban demonstrieren. Eben noch eine helle Traumwelt ihrer Kindheit, landen die weißen Laken an den Wänden plötzlich wie aufgebahrte Totentücher auf der Erde und die Frauen trauern um ihre verlorene Zukunft. „Da habe ich am meisten Emotionen, wenn die Träume platzen, da werde ich ganz traurig“, erzählt Amtar leise.

In den Bühnenszenen verarbeiten sie viele eigene Erlebnisse

In elf Szenen wie dieser spielen die 18 Frauen und zwei Männer Erlebnisse aus ihren Leben, für die sie auf der Bühne eine neue stilisierte Form gefunden haben – meist ohne Worte. Untermalt von unterschiedlicher Musik von Erik Saties 1. „Gymnpédie“ bis zu Andrea Jürgens’ „Ein bisschen Frieden“ haben sie in den gemeinsamen Proben mit Regisseur Frank Tiedemann die passenden Bilder erarbeitet und entwickelt.

Dabei galt es nicht nur sprachliche Hürden zu überwinden, sondern oft auch emotionale. Häufig sind Tränen geflossen, jede Darstellerin und jeder Darsteller empfindet eine andere Szene als die wichtige seines Lebens. Ihre Erlebnisse und Erfahrungen gaben die Impulse, um die bildhaften Szenen zu entwickeln. Da ist die Gruppe aus der Ukraine: Gerade sind sie noch am Flöte spielen, sie schminken sich oder spielen am Computer, da bricht plötzlich die Musik ab, das Licht geht aus. Aufgeschreckt und orientierungslos rennen sie umher und telefonieren: Soldaten erscheinen, laute Töne dröhnen, eine Mauer bricht zusammen.

„Wir möchten erklären, wie wir uns fühlen und warum“

„Meine Schwester und ihre Familie stammen aus Cherson“, erläutert Liudmyla Moíseienko aus der Ukraine die Szene, die genauso heißt: „Cherson.“ Die 50-Jährige stammt aus Bila Tserkva und ist nun fast ein Jahr in Deutschland. „Wir möchten erklären, wie wir uns fühlen und warum wir so empfinden“, erzählt sie. „Wir lieben unser Land und wir möchten nur, dass der Krieg schnell endet.“

Die Aufführung ist am Sonntag,12. März, um 18 Uhr in der Aula der Gemeinschaftsschule am Mühlenredder. Das Theaterstück besteht aus elf Szenen und dauert – einschließlich einer Pause – etwa 75 Minuten. Die Zahl der Sitzplätze ist auf rund 150 beschränkt. Der Eintritt ist kostenlos, das Projekt wird von der Kulturstabsstelle des Kreises Stormarn und der Abteilung Kultur der Stadt Reinbek unterstützt. Eintrittskarten gibt es in der Stadtbücherei, im Schloss und in der BeGe-Neuschönningstedt.

Theaterspiel hilft dabei, Traumata zu bewältigen

„Alle Mitwirkenden auf der Bühne wie auch alle an der Organisation Beteiligten engagieren sich ehrenamtlich“, betont Marina Umlauff. Bis zu 35 Menschen auf und hinter der Bühne machen mit. Die künstlerische Leitung liegt beim freien Bühnenkünstler Frank Tiedemann. Er hat Gesang, Schauspiel und Tanz studiert. „Wir wollen nicht einfach das Erlebte nachspielen“, erläutert er. „Emotionale Eindrücke und Zustände wollen wir mit Hilfe der Musikauswahl und einfachen choreografischen Mitteln nacherlebbar zeigen. Das Bühnengeschehen wirkt dadurch an einigen Stellen wie eine surreale Performance.“

Marina Umlauff sagt: „Auf diese Weise hilft die Probenarbeit den Schauspielerinnen auch, ihre individuellen traumatischen Erfahrungen zu verarbeiten.“ Karin Tillmanns ist überzeugt, dass das Theaterspiel zur Steigerung des Selbstwertgefühls der Frauen beiträgt. Nicht zuletzt hat Akram Karimi als sensible mehrsprachige Kulturmittlerin für die Kommunikation gesorgt und dafür, dass sich „die Herzen öffnen“.