Oststeinbek. Weil die Taliban älteren Mädchen den Schulunterricht verbietet, sollen auch die Jungen nicht weiterlernen. Doch es gibt Hoffnung.

Herber Rückschlag für die Entwicklungshilfe, die die Ehrenamtlichen des Vereins Afghanistan-Schulen aus Oststeinbek seit Jahrzehnten für die Bildung am Hindukusch leisten. Das Unterrichtsverbot der Taliban für Mädchen ab den siebten Klassen hat nun auch die Schulen des Vereins in Andkhoi erreicht. In Mazar-e-Sharif unterstützt der Verein 15 Schulen, an denen 19.820 Jungen und 24.879 Mädchen eingeschrieben sind. 13.043 Mädchen davon dürfen die Schule zurzeit nicht besuchen. In der ländlichen Region Andkhoi besuchen normalerweise 31.089 Jungen und 23.966 Mädchen die Schulen. 8437 Mädchen an 41 Schulen ist zurzeit der Unterricht verwehrt.

„Bis Weihnachten liefen unsere Projekte ohne Probleme“, berichtet Vereinsvorsitzende Marga Flader. „Wir waren sehr froh, dass in den Regionen, wo wir tätig sind, alle Mädchen von der ersten bis zur zwölften Klasse die Schule besuchen konnten.“ Aber auch in der Region Andkhoi – hier wird auch im Winter unterrichtet – sei dies aktuell nicht mehr möglich. Die Taliban hätten den Unterricht ab den siebten Klassen für Mädchen untersagt. Deshalb hat der Verein seine weiterführenden Schulen auch für die Jungen geschlossen. Außerdem haben die Taliban auch Studentinnen den Hochschulbesuch verboten.

Entwicklungshilfe: Schulverbot auch bei Afghanistan-Schulen aus Osteinbek

In Mazar-e-Sharif hingegen sind zurzeit Winterferien. „Wir werden erst im Frühjahr erfahren, ob die Schulen dort für Schülerinnen ab Klasse 7 offen sind oder nur für die Grundschülerinnen und Grundschüler“, sagt Marga Flader.

Doch die engagierten Ehrenamtlichen geben nicht auf. Es gibt auch einen Hoffnungsschimmer aus der Zoom-Konferenz mit ihren Kollegen in Andkhoi von Sonntag früh. „Ihre Verhandlungen mit dem Schulamt in der Provinzhauptstadt und in Andkhoi sowie dem Bezirksgouverneur waren insoweit erfolgreich, dass sie zugesagt haben, dass wir unsere Projekte langsam – Stück für Stück – wieder anlaufen lassen dürfen“, berichtet Flader.

Lehrvideos über Kabel-TV und Social Media geben Hoffnung

Zunächst dürfen die wichtigsten Mitarbeiterinnen wieder ihre Arbeit aufnehmen – noch nicht zu 100 Prozent, aber stundenweise. Sie dürfen auch bei der Verteilung von Brennholz in den Grundschulen mithelfen; dies passiert in den kommenden Tagen. Als nächstes werden Lehrvideos über das lokale Kabel-TV, Facebook und YouTube veröffentlicht.

Ein Erfolg bei dem Arbeitsverbot, was die Taliban auch für Frauen in Hilfsorganisationen ausgesprochen hat. Ihre Verbote haben die Taliban jedoch zum Teil wieder zurückgenommen: Frauen dürfen jetzt Medizin studieren und private Grundschulen, deren Lehrerinnen direkt bei den NRO (Nicht-Regierungs-Organisationen) angestellt waren, wieder geöffnet werden.

Lagerschule für geflüchtete Kinder durfte wieder öffnen

„Auch unsere Schule im Ferdawsi-Lager für Binnenvertriebene war eine Woche geschlossen“, sagt die Oststeinbeker Ehrenamtliche. „Aber nun sind die Kinder glücklich, dass sie wieder lernen dürfen.“ Das Leben in einem solchen Lager, das sich langsam zu einer Siedlung entwickelt, sei besonders hart.

Eine Woche lang durften die Grundschüler im Camp Ferdawsi nicht in die Schule gehen.
Eine Woche lang durften die Grundschüler im Camp Ferdawsi nicht in die Schule gehen. © Afghanistan-Schulen | Afghanistan-Schulen

„An unserem Ausbildungszentrum in Andkhoi werden Jungen und Mädchen ab Klasse 7 auf die Universität vorbereitet“, erläutert Marga Flader. „Weil die Mädchen nun nicht mehr kommen dürfen, haben wir die Türen auch für die Jungen geschlossen.“

Ehrenamtliche aus Oststeinbek geben nicht auf

Sogar die Frauenzentren mussten geschlossen werden. „Wir hoffen sehr, dass die neuen Vorschriften, die Frauen und Mädchen in unerträglicher Weise diskriminieren, bald aufgehoben werden“, sagt die Vereinsvorsitzende. „Örtliche Taliban-Verwaltungen haben es bisher noch nicht geschafft, diese Entscheidungen zu umgehen. Für die Menschen in Afghanistan ist es schlimm.“ Die Angst im Land sei groß, auch weil es viele Verhaftungen gebe. So sei beispielsweise ein Mann verhaftet worden, der aus stillem Protest auf die Straße gegangen sei und dort Bücher aus seiner umfangreichen Bibliothek verschenkt habe.

Marga Flader vergleicht die Lage am Hindukusch mit der ersten Phase der Taliban-Herrschaft. Von 1986 bis 2002 unterstützte der Oststeinbeker Verein Schulen in Pakistan für geflüchtete, afghanische Kinder. Die 68-Jährige war 1998 zuerst in Afghanistan. „Damals war das Land ohne Internet und Fernsehen noch abgeschiedener“, erläutert die 68-Jährige. „Damals gab es noch Prügel-Szenen auf der Straße. Heute meiden die Taliban Gewalt in der Öffentlichkeit. Aber die Frauen leben heute wieder in Abgeschiedenheit, sie dürfen allein nicht auf die Straße.“

Entwicklungshilfe: Verein hilft auch mit Lebensmitteln und Decken

Die Mitarbeiterinnen in Mazar-e-Sharif und Andkhoi arbeiten im Homeoffice. Sie halten Kontakt mit ihren Kolleginnen und Kollegen sowie den Schülerinnen und Schülern. Sie erarbeiten Pläne für die zukünftige Arbeit, erstellen Online-Unterrichtsvideos und machen ihnen Mut in dieser schwierigen Zeit.

Die Frauen dürfen in Afghanistan nicht mehr allein aus dem Haus gehen. Der Oststeinbeker Verein Afghanistan-Schulen hat im Camp Ferdawsi Decken und Lebensmittel verteilt.
Die Frauen dürfen in Afghanistan nicht mehr allein aus dem Haus gehen. Der Oststeinbeker Verein Afghanistan-Schulen hat im Camp Ferdawsi Decken und Lebensmittel verteilt. © Afghanistan-Schulen | Afghanistan-Schulen

„Wir werden weiter an der Seite der Menschen in Afghanistan stehen, die nun von Hunger und Krankheit bedroht sind und von einem besseren Leben nur träumen können“, erklärt die Vereinsvorsitzende. „Wir haben gerade Lebensmittel und Wolldecken an 250 Familien in der Region Andkhoi verteilt. Hierfür haben wir 25.000 US-Dollar (rund EUR 23.200) investiert. Und wir planen noch eine weitere ähnliche Aktion.“

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