Glinde. Bei Neubauten mitunter nur noch ein Auto pro zwei Wohnungen? Verwaltung legt Entwurf für Stellplatzsatzung vor. Die Details.
Es ist eine Festlegung für künftige Bauprojekte. Jetzt will auch Glinde eine Stellplatzsatzung einführen. Bestandsimmobilien sind davon nicht betroffen. Die Verwaltung hat eine Vorlage erstellt, die auf verdichtete Gebiete zielt und eine sogenannte Verringerung der Herstellungspflicht beinhaltet. Ins Auge gefasst ist ein Bereich um die Innenstadt vom Sandweg im Westen bis zur Straße Am Sportplatz im Osten, weil es dort eine sehr gute ÖPNV-Anbindung gibt. Nach Rathausangaben fahren vom Markt täglich mit Ausnahme von Sonntagen mehr als 200 Busse in alle Richtungen. Erst befasst sich der Ausschuss für Umwelt und Klimaschutz am 9. Februar mit dem Dokument, zwei Wochen später könnte die Stadtvertretung das Schriftstück absegnen.
Ob das geschieht in der vorgeschlagenen Form, ist jedoch fraglich. Die Fraktionssitzungen von CDU und SPD, den beiden großen Parteien, stehen noch aus. Es gibt aber durchaus kritische Anmerkungen. Im Satzungsentwurf ist die Nutzungsart in drei Kategorien aufgeteilt. Zuerst sind Ein- und Zweifamilienhäuser gelistet mit einem Kfz-Stellplatz bis 75 Quadratmeter Wohnfläche und zwei bei mehr Volumen. Bei Mehrfamilienhäusern ab drei Wohneinheiten im frei finanzierten Bereich ist der Schlüssel identisch. Im öffentlich geförderten Wohnungsbau liegt er bei 0,5 bis 75 Quadratmeter und bei 0,7 für größere Bleiben. Was alle drei Segmente eint: Pro Wohneinheit sind zwei Fahrradabstellplätze vorgeschrieben.
Glinde: Ortsmittenkonzept beinhaltet 300 zusätzliche Wohnungen
„Die Landesbauordnung hat sich geändert. Wir sind dazu aufgerufen, eine Stellplatzsatzung zu schaffen“, sagt Bürgermeister Rainhard Zug. Gründe, diese einzuführen, gibt es genug: Die Verwaltung erwähnt das im Februar 2022 beschlossene integrierte Klimaschutzkonzept, die Förderung der Mobilitätswende, Reduzierung von Flächenversiegelung und Förderung von bezahlbarem Wohnraum. Denn Parkplätze kosten Geld und schrauben das Investitionsvolumen von Bauunternehmen bei Projekten hoch. Die Verwaltung verwendet in der Vorlage Zahlen aus dem Stellplatzleitfaden für Schleswig-Holstein der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen (ARGE). Sie beziffert die Kosten eines Tiefgaragenstellplatzes pro Wohneinheit auf 23.323 Euro im Hamburger Umland, oberirdisch sind es 2647 Euro. Für die Organisation mit Sitz in Kiel ist im Geschossbau bei 36 Wohnungen sogar ein Schlüssel von 0,2 denkbar.
Für Glinde ist die Satzung wichtig insbesondere bei der Umsetzung des Ortsmittenkonzepts. Dazu gibt es einen Rahmenplan, in dem die Leitlinien für die städtebauliche Entwicklung festgelegt sind. Bestandteil der Neugestaltung ist die Schaffung von 300 Wohnungen, 100 davon öffentlich gefördert, sowie 4000 Quadratmetern Einzelhandelsfläche. Der Parkplatz am Markt könnte wegfallen, als Ersatz eine Tiefgarage entstehen. Es sind neue Radwege angedacht und eine zentrale Busumsteigestation, die drei Haltepunkte in unterschiedliche Fahrtrichtungen ersetzt. Viele Grünflächen sollen aufgewertet werden. Beim Mobilitätshub sind Car-und Bike-Sharing mitgedacht.
Wie berichtet, präsentierte das Architekturbüro SKAI im Mai 2021 einen Entwurf der neuen Innenstadt. Demnach bleiben lediglich Rathaus, Bürgerhaus und ein Komplex im Norden bestehen. Das überplante Gebiet umfasst rund 30.000 Quadratmeter. Auf dem Parkplatz an der Ecke Möllner Landstraße/Oher Weg ist das höchste Gebäude mit bis zu neun Geschossen verortet, zu sehen sind jede Menge Gebäude mit Giebeldächern. Unter dem Marktplatz befindet sich eine Tiefgarage. 680 Parkmöglichkeiten sind es insgesamt auf dem Areal, 75 Prozent davon liegen unter der Erde.
SPD-Politiker fordert flankierend den Radwegeausbau
Rund um den Markt gibt es mehr als zwei Dutzend Eigner von Grund und Immobilien. Ohne ihre Einwilligung bleibt der Komplettumbau der Innenstadt Wunschdenken. Bislang ist das Interesse, sich an einer Umstrukturierung zu beteiligen, gering. Die hohen Baukosten dürften ihren Teil dazu beitragen. Aber das kann sich noch ändern. Darauf hofft auch Glindes Bürgermeister.
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In Sachen Stellplätze und Mobilitätswende nennt Zug die Baugenossenschaft Sachsenwald mit dem geplanten Quartier im Stadtteil Wiesenfeld als Vorreiter: „Das Unternehmen hat schon vor der gesetzlichen Änderung einen Anstoß gegeben.“ Der nun vorgeschlagene Schlüssel sei hier bereits im Konzept verankert. Am Buchenweg beabsichtigt die Genossenschaft den Bau von 149 Wohnungen in sieben Mehrfamilienhäusern inklusive Car- und Bike-Sharing sowie Elektro-Tankstellen. Der Entwurfs- und Auslegungsbeschluss für den Bebauungsplan wurde einstimmig gefasst. Derzeit geht es aber nicht voran, weil die Förderung für den energetischen KfW-55-Standard gestrichen wurde. Die BG Sachsenwald hält an dem Vorhaben fest, hat aber noch keine Lösung, wie es finanzierbar ist.
Glinde: „Das Auto wird noch lange Zeit unverzichtbar bleiben“
Beim Wiesenfeld-Projekt sind Politiker vom neuen Stellplatzschlüssel überzeugt, Zweifel gibt es mit Blick auf die Innenstadt, obwohl es auch dort Ziel ist, den Individualverkehr zu reduzieren. „Ich bin zwiegespalten. Alles, was zur weiteren Verknappung führt, ist für viele Leute problematisch. Das Auto wird noch für lange Zeit unverzichtbar bleiben“, sagt der CDU-Fraktionsvorsitzende Rainer Neumann. Im Fall des Baus einer Tiefgarage werde man wohl nicht drumherum kommen, als Nutzer Gebühren zu zahlen ob der hohen Investition. Derzeit ist das Parken auf dem großen Platz am Markt kostenfrei.
Peter Michael Geierhaas, umweltpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, fürchtet einen so hohen Parkdruck, dass man Menschen verschrecke. Er sagt: „Generell ist eine Stellplatzsatzung richtig. Keiner weiß allerdings, wie es bei einer umgestalteten Ortsmitte funktionieren soll. Durch Neubebauung mit Restaurants, Geschäften und Wohnungen entsteht ein zusätzlicher Bedarf gegenüber heute.“ Der Markt müsse weiterhin seine herausragende Versorgungsfunktion für Glinde und Umgebung wahrnehmen können, dazu gehöre ein Angebot an Parkplätzen. Geierhaas fordert flankierende Maßnahmen wie den Radwegeausbau und eine höhere Taktung der Buslinie von Barsbüttel nach Glinde. „Mir sind Rahmenbedingungen nicht klar, ich habe noch viele Fragen an die Verwaltung“, so Geierhaas. Für die FDP ist der Satzungsentwurf laut Fraktionschef Thomas Kopsch akzeptabel. Er wünscht sich zudem eine Projektleitung für die Innenstadtentwicklung.