Glinde. Rainhard Zug drängt auf Vorschrift bei Neubauten in der City. Politiker sind skeptisch. Sie wollen Autofahrer nicht vergraulen.

Rainhard Zug ist ein Verfechter von weniger Autoverkehr in der Innenstadt. Um die Mobilitätswende voranzutreiben, möchte der Glinder Bürgermeister eine Stellplatzsatzung einführen lassen. Einen Entwurf hatte er der Politik bereits vorgelegt.

Das Dokument stieß auf wenig Gegenliebe. Der Verwaltungschef hält an seinem Vorhaben fest und lässt nichts unversucht, um die Parteienvertreter zu überzeugen. In seinem Auftrag engagierten Mitarbeiter aus dem Rathaus einen Experten, der sich mit der Materie auskennt und Schützenhilfe leisten sollte. Wirklich weiter brachte ihn das allerdings nicht.

Glinde: Weniger Auto in der Innenstadt erhöhen die Lebensqualität

„Wir sollten in der Ortsmitte langsam auf Stellplätze verzichten, um die Lebensqualität zu steigern. Wenn man dort wohnt, braucht man kein Auto“, sagt Zug und verdeutlicht damit seinen Standpunkt. Im jüngsten Ausschuss für Umwelt und Klimaschutz war Maik Lindemann, Fachbereichsleiter Planung, Bauordnung und Vermessung in Göttingen, per Video zugeschaltet und berichtete von seinen Erfahrungen. Die niedersächsische Stadt hatte das Reglement 2017 eingeführt. In Göttingen leben 130.000 Menschen, davon sind 30.000 Studierende. 13 Fakultäten zählt die Universität.

In der dortigen Stellplatzsatzung werden die unterschiedlichen Bedürfnisse in den Stadtteilen berücksichtigt. Man hat das Gebiet in drei Zonen aufgeteilt, die Kategorie A ist jene mit der höchsten Verdichtung. In der Altstadt kann der Schlüssel laut Lindemann auf bis zu 0,35 Stellplätze pro Wohnung gesenkt werden, wenn ein Mobilitätskonzept vorliegt zum Beispiel mit Car-Sharing und der Bereitstellung von E-Bikes.

CDU-Chef will erst Umsetzung von Mobilitätskonzepten

Generell sei man dort, wo viele Menschen leben, bei einem Wert von 0,7 im Geschosswohnungsbau. „Der Verzicht auf Stellplätze senkt die Baukosten“, betont Lindemann einen Vorteil der Verordnung. Wie vielerorts in Deutschland werden Wohnungen auch in Göttingen immer teurer. Die durchschnittliche Netto-Kaltmiete stieg in der Uni-Stadt binnen vier Jahren bis 2022 um 25 Prozent auf 9,52 Euro.

Glindes Politiker hörten den Ausführungen des Fachbereichsleiters gespannt zu. Der Erkenntnisgewinn ist für den CDU-Vorsitzenden Claus Peters jedoch begrenzt. Er sagt: „Göttingen ist baulich anders gestaltet als Glinde, der Vergleich hinkt.“ Er glaube nach wie vor nicht, dass die Ambitionen der Verwaltung jetzt machbar seien. In der Stormarner Kommune leben aktuell 18.764 Personen. Peters hat Lindemanns Vortrag auch so verstanden: Man könne die Satzung ja mal ausprobieren. „Das ist aber nicht der richtige Weg. Mobilitätskonzepte müssen umgesetzt sein. Es kommt auf die Reihenfolge an“, so der Christdemokrat.

Pro Wohneinheit sind zwei Fahrradstellplätze vorgeschrieben

Rainhard Zug ist seit April 2010 Bürgermeister in Glinde.
Rainhard Zug ist seit April 2010 Bürgermeister in Glinde. © René Soukup

Im Satzungsentwurf der Verwaltung sind Bestandsimmobilien ausgeschlossen. Die Regel würde Neubauprojekte betreffen. Das Schriftstück umfasst den Bereich um die Innenstadt vom Sandweg im Westen bis zur Straße Am Sportplatz im Osten und beinhaltet eine sogenannte Verringerung der Herstellungspflicht.

Die Nutzungsart ist in drei Kategorien aufgeteilt: Zuerst sind Ein- und Zweifamilienhäuser gelistet mit einem Kfz-Stellplatz bis 75 Quadratmeter Wohnfläche und zwei bei mehr Volumen. Bei Mehrfamilienhäusern ab drei Wohneinheiten im frei finanzierten Bereich ist der Schlüssel identisch. Im öffentlich geförderten Wohnungsbau liegt er bei 0,5 bis 75 Quadratmeter und bei 0,7 für größere Bleiben. Was alle drei Segmente eint: Pro Wohneinheit sind zwei Fahrradabstellplätze vorgeschrieben.

Glinde: Politik hält an kostenlosen Parkplätzen fest

Für Zug ist die Satzung wichtig insbesondere bei der Umsetzung des Ortsmittenkonzepts. Dazu gibt es einen Rahmenplan. Bestandteil ist die Schaffung von 300 Wohnungen. Der Parkplatz am Markt könnte wegfallen, als Ersatz eine Tiefgarage entstehen. Beim Mobilitätshub sind Car-und Bike-Sharing mitgedacht. Das Problem: Es fehlt an Investoren für eine Neugestaltung. Politiker wollen auf jeden Fall das kostenlose Parkplatzangebot beibehalten in einem Maß, dass der Handel nicht geschwächt wird.

„Ich fand den Vortrag von Herrn Lindemann interessant, aber für mich war er mit Blick auf unsere Situation wenig hilfreich“, sagt Peter Michael Geierhaas, umweltpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Sein Vorschlag: den Rahmenplan abspecken und dann über die Verordnung diskutieren. „Und man muss flankierend etwas machen, damit die Leute nicht mit dem Auto in die City kommen.“ Er denke zum Beispiel an Sammeltaxis und den Ausbau der Radwege.

Zwei Wohnbauprojekte mit Car-Sharing stocken

Es ist jedoch schwer, innovative Mobilitätsanbieter für Glinde zu gewinnen. Die Verwaltung ist diesbezüglich aktiv gewesen – auch im Zusammenspiel mit den Nachbarn Reinbek und Wentorf. Die elektrisch angetriebenen Kleinbusse von Moia sind laut Zug leider raus. Das Unternehmen beschränkt sein Geschäftsgebiet auf Hamburg. „Mit E-Scooter-Anbietern wird verhandelt“, so der Bürgermeister. Beim Car-Sharing setzt er auch auf zwei Bauprojekte im Stadtteil Wiesenfeld. Die Mobilitätsform ist in den Konzepten der Vonovia sowie der Baugenossenschaft Sachsenwald verankert. Beide hatten ihre Pläne für neue Wohnquartiere bereits vor Jahren vorgestellt, Aufstellungsbeschlüsse für den Bebauungsplan wurden von der Politik gefasst.

Die Vorhaben sind jedoch ins Stocken geraten. Von einem möglichen Baustart in 2023 ist bei der Genossenschaft schon lange nicht mehr die Rede. Die Vonovia verkündete unlängst, man werde in diesem Jahr mit keinem Neubauprojekt beginnen. Die Gründe sind nahezu identisch: gestiegene Zinsen und Baukosten sowie Unsicherheiten bei der Förderung.

Zug verteidigt sein Vorgehen zur Einführung des Regelwerks trotz aller Widrigkeiten. Die Schlüssel in den jeweiligen Kategorien sind nicht willkürlich gesetzt. Man hat sich an Musterstellplatzsatzungen orientiert. Der Bürgermeister sagt: „Für junge Leute hat das Auto einen niedrigeren Stellenwert als bei den älteren Menschen. Wir können nicht die Augen vor dieser Entwicklung verschließen.“ Diese Aussage ist deckungsgleich mit den Ergebnissen einer aktuellen Studie der Unternehmensberatung McKinsey. Dafür wurden Personen in Deutschland, Frankreich und Großbritannien befragt, wie sie sich aktuell fortbewegen und welche Arten der Mobilität sie in Zukunft nutzen wollen.