Ahrensburg. Finanzierungslücke: Land und Nah.SH haben Streichliste erstellt. Wie viel Geld gespart werden muss. Und was Ex-Verkehrsminister Buchholz dazu sagt.
Die Landesregierung Schleswig-Holstein und der Verkehrsverbund Nah.SH haben Einschnitte beim Personennahverkehr auf der Schiene angekündigt. Zwar sei der ÖPNV-Finanzierungsbeitrag des Landes seit 2022 von 66 auf aktuell 275 Millionen Euro gestiegen. Im Gegenzug hätte der Bund aber Zuwendungen gestrichen. Bis 2032 würden absehbar 570 Millionen Euro an sogenannten Regionalisierungsmitteln fehlen. „Wir haben uns darauf verständigt, einen Teil des Fehlbetrags durch die Abbestellung von Verkehr abzufedern“, teilte Verkehrsminister Claus Ruhe Madsen mit. Ziel bleibe es aber, die Lücke in den nächsten Jahren unter anderem durch die Nutzung des Sondervermögens MOIN.SH zu schließen.
Leistungen im Wert von sechs Millionen Euro entfallen
Um die Einsparziele zu erreichen, sei laut Madsen ab Fahrplanwechsel Mitte Dezember dieses Jahres die Abbestellung von Verkehrsleistungen im Wert von rund sechs Millionen Euro pro Jahr unumgänglich. Das entspricht etwa 1,5 Prozent aller vom Land im laufenden Jahr bestellten Verkehrsleistungen. Dabei sollten die Auswirkungen auf Pendler so gering wie möglich gehalten werden.
„Das bedeutet landesweit kleinere Einschnitte, sodass im Ergebnis in jeder Region nur einige Züge entfallen“, so Madsen. Betroffen seien vor allem Verbindungen in Randzeiten und am Wochenende. Nur in Einzelfällen seien auch Züge in den Hauptverkehrszeiten betroffen. „Ergebnis der Abwägung war, dass wir weiterhin ein sehr gutes Zugangebot jeweils bis Mitternacht aufrechterhalten werden“, erklärte der Verkehrsminister.
Fahrten in Randzeiten und am Wochenende gestrichen
Im Kreis Stormarn ist konkret die Strecke zwischen Hamburg und Lübeck betroffen. Beim RE8 wird je ein Zug pro Richtung im Nachtverkehr an Wochenenden entfallen, nämlich Abfahrt Hamburg 3.06 Uhr, sowie Abfahrt Lübeck 3.09 Uhr. Das gleiche gilt für die Linie RB81 zwischen Hamburg und Bad Oldesloe. Hier werden die Züge Abfahrt Hamburg 2.41 Uhr und Abfahrt Bad Oldesloe 3.35 Uhr gestrichen.
Hinzu kommen weitere vier Züge der Linie RB82 zwischen Bad Oldesloe und Neumünster am Tagesrand. Ab Bad Oldesloe sind es der Zug mit täglicher Abfahrt um 1.37 Uhr, sowie der Zug werktags 4.37 Uhr/sonnabends 5.37 Uhr/sonntags 6.37 Uhr. Ab Neumünster sind es der Zug mit täglicher Abfahrt um 0.37 Uhr sowie der Zug werktags 3.39 Uhr/sonnabends 4.37 Uhr/sonntags 5.37 Uhr.
Buchholz rügt die Streichliste als „verkehrspolitisches Scheitern“
„Die angekündigten Zugstreichungen gehen gar nicht“, kommentierte Ex-Verkehrsminister Bernd Buchholz (FDP) das Streichkonzert, heute verkehrspolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion in Kiel. Bisher hätten meistens nur die Bahnunternehmen selbst Züge gestrichen. Jetzt ziehe sein Nachfolger Claus Madsen „mit großem Engagement“ nach.
„Mit dieser Entscheidung dokumentiert die Landesregierung ihre Hilfslosigkeit und ihr verkehrspolitisches Scheitern“, so Buchholz weiter. Die Abbestellungen seien Folge einer Politik, bei der allen alles versprochen werde, andererseits aber „eine vernünftige Prioritätensetzung“ fehle. So könne man die Menschen nur enttäuschen.
Landesregierung soll Nahverkehrsplan endlich priorisieren
„Die Landesregierung muss endlich damit anfangen, den landesweiten Nahverkehrsplan neu zu priorisieren“, fordert der Freidemokrat aus Ahrensburg. Im Übrigen stelle sich doch die Frage, wie sich dieser Schritt mit der Mobilitätsgarantie von Schwarz-Grün vertrage. „Eine verlässliche, regelmäßige Anbindung an den ÖPNV soll von früh bis spät an jedem Ort Schleswig-Holsteins sichergestellt werden, heißt es im Koalitionsvertrag. Gerade marschiert Schwarz-Grün in genau die entgegengesetzte Richtung“, moniert Bernd Buchholz.
Nicht minder drastisch fielen die Reaktionen des Verkehrsclubs Deutschland in Schleswig-Holstein (VCD Nord) aus. Fahrplankürzungen seien „das völlig falsche Signal“. Statt mehr Geld in neue Autobahnen zu pumpen, sollten vor allem der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) und insbesondere der Schienenverkehr gestärkt werden, heißt es in einer verbreiteten Erklärung.
VCD fordert mehr attraktive Schienenangebote im ÖPNV
„Die Menschen wollen den ÖPNV verstärkt nutzen. Dafür sind sie aber auf attraktive Angebote angewiesen“, so Jens Deye, Vorstandsmitglied des VCD Nord. Die Alternativlosigkeit zum Auto auf dem Land müsse ein Ende haben. Hierzu brauche es auch in der Fläche mehr attraktive Angebote des ÖPNV statt eines Abbaus von Angeboten.
Die Schuldenbremse der Bundesregierung könne aus Sicht des VCD Nord nicht als Ausrede dienen. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) benötige kein zusätzliches Geld, um geeignete Maßnahmen umzusetzen. Wenn er die Mittel, die für den Aus- und Neubau von Straßen vorgesehen seien, auf den Erhalt und die Sanierung von Brücken beschränke, wären Milliarden für den Ausbau der Schiene frei.
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Außerdem sollte die Bundesregierung endlich den bereits im Koalitionsvertrag angekündigten Abbau klimaschädlicher Subventionen angehen. Allein im Sektor Verkehr schlummerten mehrere Milliarden Euro, die dem Staat jährlich entgingen. Dazu müsste Finanzminister Christian Lindner (FDP) lediglich die Pauschalbesteuerung von Dienstwagen erhöhen und die Dieselsteuer ans Benzin angleichen. Das würde nicht nur den Bundeshaushalt entlasten, sondern überdies Anreize zugunsten einer nachhaltigen Mobilität setzen.
Für eine gemeinsame Finanzierung schlägt der VCD Nord geringfügig höhere Grundsteuern und Kreisumlagen vor. Land, Kreise und Gemeinden müssten sich an einen Tisch setzen und eine zusätzliche Finanzierungssäule für den Nahverkehr in Schleswig-Holstein erarbeiten. Baden-Württemberg arbeite an ähnlichen Konzepten mit dem Ziel, den Halbstundentakt im ganzen Bundesland einzuführen.