Ahrensburg. Für Drama „Vor dem Anfang“ wurde in besonderem Raum in dem denkmalgeschützten Gebäude gedreht. Premiere auf Berlinale 2025 geplant.
Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten: Für die einen ist das Ahrensburger Rathaus ein Schandfleck, für die anderen ein herausragendes Beispiel der 1970er-Jahre-Architektur. Jetzt wird der architektonisch umstrittene Verwaltungssitz Kulisse für einen Kinofilm. Das Drama trägt den Arbeitstitel „Vor dem Anfang“ und soll im Februar 2025 auf der Berlinale Premiere feiern, ehe es in den deutschen Lichtspielhäusern zu sehen ist.
Auf dem Parkplatz auf dem Stormarnplatz haben am Freitagmittag die Transporter für die Garderoben, Maske, Kostüm und Catering bereits Stellung bezogen, während die Filmcrew das Equipment ins Rathaus schafft und das Set vorbereitet. Gefilmt wird im ehemaligen Magistratszimmer im ersten Stock – in direkter Nachbarschaft des Bürgermeisterbüros.
Dreharbeiten Ahrensburg: Rathaus ist bald in einem Kinofilm zu sehen
„Wir waren auf der Suche nach einem Raum mit Holzvertäfelung“, sagt Produzent Ben Zerhau. „Wir haben uns lange umgesehen, aber nichts Geeignetes gefunden.“ Der entscheidende Tipp auf das komplett mit Palisander ausgekleidete Magistratszimmer sei schließlich aus dem Filmteam gekommen. „Ein Crewmitglied kannte die Räumlichkeiten und dachte, dass das passen könnte“, sagt Zerhau.
Die Ahrensburger Verwaltung habe sich glücklicherweise nach einer ersten Kontaktaufnahme umgehend bereiterklärt, den Raum zur Verfügung zu stellen. „Wir freuen uns, dass unser Rathaus ausnahmsweise mal eine ganz andere Rolle spielen darf, und unterstützen die Dreharbeiten gern“, sagt Ahrensburgs Bürgermeister Eckart Boege, der es sich nicht nehmen lässt, den Dreharbeiten nebenan einen kurzen Besuch abzustatten.
Hauptdarstellerin Bayan Leyla war für Deutschen Filmpreis nominiert
In den Rathausbüros wird derweil wie gewohnt weitergearbeitet. „Am Freitagnachmittag ist das Rathaus ohnehin nicht für den Publikumsverkehr geöffnet, insofern gibt es keine gegenseitigen Behinderungen“, sagt Boege.
Im Film wird das Ahrensburger Rathaus als solches nicht zu erkennen sein. Gedreht werden mehrere Szenen, in denen Hauptdarstellerin Bayan Leyla einen Deutschkursus besucht. Die in Syrien geborene Schauspielerin war im vergangenen Jahr für ihre Hauptrolle im Drama „Elaha“ über eine junge Kurdin, der vor ihrer Hochzeit grundsätzliche Zweifel kommen, in der Kategorie „Beste weibliche Hauptrolle“ für den Deutschen Filmpreis Lola nominiert. In „Vor dem Anfang“ spielt sie die Kurdin Evîn, die sich auf einen Einbürgerungstest vorbereitet.
Edler Konferenztisch muss für Dreharbeiten aus Magistratszimmer verschwinden
Für die Filmaufnahmen wurde das Magistratszimmer komplett leer geräumt. Dabei war äußerste Vorsicht geboten: Der große, hölzerne Konferenztisch, der normalerweise hier steht, steht ebenso wie das gesamte Rathaus unter Denkmalschutz. Doch zum Deutschkurs-Setting passte das edle Möbelstück nicht wirklich. Stattdessen ersetzte ihn das Filmteam durch einen deutlich schlichteren Tisch samt Stühlen.
Neben Leylas Evîn stehen zwei weitere Frauen im Mittelpunkt der Handlung von „Vor dem Anfang“: die verurteilte Straftäterin Laura (Luise Aschenbrenner) und die Polizistin und Mutter Julia (Lea van Acken). „Diese drei Frauen befinden sich in sehr unterschiedlichen Lebenssituationen, als sich während der Lebensmittelausgabe einer Tafel unverhofft ihre Wege kreuzen“, sagt Zerhau.
Geflüchtete Kurdin trifft auf Freigängerin und unglückliche Polizistin
„Laura lebt nach mehreren Jahren im Gefängnis als Freigängerin“, erzählt der Produzent. Sie versucht, mit ihrer Mutter Elena (Valery Tscheplanowa) eine Annäherung zu schaffen und sich der Tat, wegen der sie einst verurteilt wurde, zu stellen. Doch mit der strengen Zurückweisung und Offenbarung, kein Wunschkind gewesen zu sein, kann sie nur schwer umgehen.
Julia arbeitet als Polizistin und hat mit ihrem Ehemann Christian eine 15 Monate alte Tochter. Ihre Ehe ist von der Unfähigkeit zu kommunizieren geprägt. Sprachlos verzweifelt die Beziehung zwischen den beiden, weil sie sich in ihrer Wahrnehmung fremd geworden sind. Sie sind zwei Unglückliche, die einander nur noch unglücklicher machen.
In ihrer Heimat Syrien hat Evîn als Teil einer Fraueneinheit gekämpft
Die junge Kurdin Evîn wiederum ist vor knapp einem Jahr aus Rojava im Norden Syriens ihrer Familie nach Deutschland gefolgt. „Sie ist bislang aber nicht wirklich angekommen“, sagt Zerhau. In ihrer Heimat hat sie in einer Fraueneinheit für die Befreiung der Frau und ihres Volkes gekämpft. Nun findet sie einzig im Ringen eine Möglichkeit, ihrem Alltag zu entfliehen.
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Obgleich sie ihre Familie liebt, fühlt sie sich in Deutschland zusehends nutz- und machtlos. „Sie schämt sich, dass sie den Menschen in ihrer Heimat nicht helfen kann.“ Als es für sie unerträglich wird, fasst sie den Entschluss auszubrechen
Das Drama folgt einer für das Genre ungewöhnlichen Erzählweise
Zur Begegnung der drei Frauen kommt es schließlich an der Ausgabestelle der Tafel, als Laura Evîn gegenüber einer rassistischen Aussage eines wartenden Mannes verteidigt. Schließlich gerät die Situation außer Kontrolle. Die Polizistin Julia kommt hinzu und versucht zu beruhigen. Laura, Evîn und Julia treffen für einen intensiven Augenblick aufeinander und verlieren sich kurz darauf wieder im undurchsichtigen Gewirr der Anonymität
„Das Besondere ist die Erzählweise als Episodenfilm“, sagt Produzent Zerhau. Die drei Handlungsstränge seien bis zu dem Aufeinandertreffen der Frauen unabhängig voneinander, und auch danach entstehe keine Beziehung zwischen den Hauptcharakteren. „Es gibt kein Kennenlernen. Sie verlaufen sich wieder, und auf den ersten Blick hat die Begegnung keine Konsequenzen.“ Dennoch sei das Aufeinandertreffen ein Schlüsselmoment, der für alle Drei etwas in ihrem Leben verändere.
Die Länder Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein fördern das Projekt
„Diese Erzählweise ist für das Genre recht ungewöhnlich“, sagt Zerhau. „Dahinter steckt der Gedanke, dass sich immer wieder Zufälle ereignen, ohne dass man das realisiert.“
Das Drehbuch stammt von Milena Aboyan („Elaha“) und Constantin Hatz, die gemeinsam auch Regie führen. Das Projekt ist eine Co-Produktion der Riva Filmproduktion aus Hamburg und des ZDF. Der Film wird durch die Länder Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein gefördert.
Am Ende werden nur vier bis fünf Minuten aus Ahrensburg es in den Film schaffen
Die Dreharbeiten haben am 9. April begonnen. Montag, 13. Mai, ist der letzte von 23 Drehtagen. Außer in Ahrensburg wurde auch in Geesthacht, Hamburg, Lüneburg und Seevetal gefilmt. Der fertige Film werde zwischen 100 und 120 Minuten lang sein, sagt Zerhau. Von den Aufnahmen aus Ahrensburg, für die das Team einen ganzen Nachmittag gedreht hat, werden es vier bis fünf Minuten in das Endprodukt schaffen.