Großensee. Ex-Bürgermeister reißt sein Bauernhaus von 1719 ab. „Fällt mir alles andere als leicht.“ Was er an gleicher Stelle plant.

Seit mehr als 300 Jahren prägt das rote Backsteinhaus des Gehöfts Lindemann-Eggers die Ortsmitte der 1800-Einwohner-Gemeinde Großensee. Es ist Teil des historischen Herzens der Gemeinde. Doch die Tage des geschichtsträchtigen Gebäudes sind gezählt. An seiner Stelle sollen 28 Mietwohnungen entstehen. Der Abriss hat bereits begonnen.

„Es fällt mir alles andere als leicht, dieses Gebäude abzubrechen“, sagt Eigentümer und Bauherr Karsten Lindemann-Eggers. Großensees früherer Bürgermeister ist auf dem Hof aufgewachsen, hat bis vor einigen Jahren mit seiner Familie in dem Bauernhaus gelebt. Seinen landwirtschaftlichen Betrieb hat Lindemann-Eggers schon lange an den Ortsrand verlegt. Das Gebäude wurde seitdem lediglich noch als Lager genutzt. „Es zu unterhalten ist wirtschaftlich nicht mehr darstellbar“, sagt Lindemann-Eggers.

Immobilien Großensee: Dorf verliert Teil seines historischen Herzens

Obwohl es sich um eine der wenigen verbliebenen Spuren des historischen Großensee handelt, steht der 1719 errichtete Hof nicht unter Denkmalschutz. Dementsprechend sei die Denkmalschutzbehörde auch nicht eingeschaltet gewesen, sagt Gregor Tuscher, Sprecher der Stormarner Kreisverwaltung. Auch eine Genehmigung der Behörde sei nicht erforderlich gewesen.

„Zu dem Objekt ist in der Vergangenheit leider keine Anfrage eingegangen. Die Denkmalschutzbehörden können nicht alle historischen Gebäude im Blick haben und sind von daher auch immer dankbar über Hinweise aus der Bevölkerung“, sagt er. Ob das Bauernhaus die Voraussetzungen für einen Schutzstatus überhaupt erfüllt hätte, dazu gibt Tuscher keine Einschätzung ab. Darüber entscheide das Landesamt für Denkmalpflege in Kiel. Dazu würden unterschiedliche Kriterien wie geschichtliche, künstlerische, städtebauliche und technische Merkmale zu Grunde gelegt und anschließend ausgewertet.

Eigentümer möchte Wohnraum für Senioren und junge Erwachsene schaffen

Karsten Lindemann-Eggers möchte mit seinem Vorhaben Wohnraum schaffen, insbesondere für Senioren und junge Menschen. „Wir haben in Großensee fast ausschließlich Einfamilienhäuser“, sagt er. „Ich werde immer wieder von älteren Menschen angesprochen, denen ein Haus mit Garten zu viel wird und die sich Alternativen im Ort wünschen.“

Das Gleiche gelte für junge Erwachsene. „Viele junge Leute, die ihre erste eigene Wohnung suchen, möchten nicht nach Hamburg, möchten gern in Großensee bleiben“, so Lindemann-Eggers. Die Gemeinde müsse entsprechenden Wohnraum schaffen, um eine Abwanderung der Jugendlichen in die Städte zu verhindern.

Unter Großensees Lokalpolitikern wurde heftig über das Vorhaben diskutiert

Vor zweieinhalb Jahren wurde das Bauvorhaben unter Großensees Lokalpolitikern heftig diskutiert. Neben dem Wunsch, den historischen Dorfkern zu erhalten, gab es auch Bedenken hinsichtlich einer zunehmenden baulichen Verdichtung. Am Ende votierten zehn der elf Gemeindevertreter dafür, das Vorhaben zu genehmigen. Lindemann-Eggers, damals noch Bürgermeister, nahm wegen Befangenheit nicht an der Abstimmung teil.

Trotz Bedenken hätte die Gemeindevertretung gar keine andere Möglichkeit gehabt, als dem Bauantrag stattzugeben, sagt Lindemann-Eggers Nachfolger als Bürgermeister, Uwe Tillmann-Mumm (Wählergemeinschaft AWG). „Für das Gebiet gibt es keinen Bebauungsplan. Insofern sind alle Vorhaben, die sich in Größe und Form an den umliegenden Gebäuden orientieren, zulässig“, sagt er. Auch bestehe für das Bauernhaus kein Denkmalschutz.

Das Bauernhaus war über lange Zeit hinweg zentraler Ort des Dorflebens

„Natürlich ist es schade, dass viele ortsbildprägende Gebäude in Großensee nach und nach verschwinden“, so der Bürgermeister. Gleichzeitig werde in der Gemeinde dringend Wohnraum benötigt, „gerade in der Ortsmitte“.

Diesen Zwiespalt sieht auch Walter Domscheit. Der Journalist und Fotograf, der selbst seit Jahrzehnten in Großensee lebt, hat vor einigen Jahren einen Film über die Gemeinde gedreht. Das Bauernhaus sei über lange Zeit hinweg ein zentraler Ort des Dorflebens gewesen, sagt er. „Es ist so etwas wie das Vorzeigeobjekt, was das historische Großensee anbelangt.“

Früher lebte auf dem Hof Bürgermeister und Gemeindewehrführer Willy Rüß

Vor 305 Jahren wurde der Komplex aus Scheune, Stallungen und Wohnbereich errichtet. Auf das Baujahr weist ein Schriftzug über dem Hauptportal hin, ergänzt um den Spruch „All de mi kennt gev Gott wat se mi gönnt“. Domscheit erzählt: „Später wohnte hier der Großenseer Bürgermeister und Gemeindewehrführer Willy Rüß.“ 1952 wurde das Gebäude bei einem Brand schwer beschädigt und anschließend nach historischem Vorbild wieder aufgebaut.

1970 erwarben schließlich die Eltern von Karsten Lindemann-Eggers den Hof. Tradition habe der Pfingstgottesdienst gehabt, für den die Familie ihre Scheune jedes Jahr zur Verfügung gestellt habe. „Das Eingangsportal war dann aufwendig mit Birke und anderem Grün geschmückt“, erinnert sich Domscheit. Auch für Übungen der Freiwilligen Feuerwehr wurde der Hof genutzt.

Lindemann-Eggers will bei Neubauten Wert auf ortsverträgliche Gestaltung legen

Trotz der Erinnerungen kann Domscheit die Entscheidung, sich von dem Gebäude zu trennen, nachvollziehen. „Irgendwo muss man am Ende auch wirtschaftlich denken“, sagt er. Wenn dadurch dringend benötigter Wohnraum entstehe, habe der Abriss auch etwas Gutes.

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Karsten Lindemann-Eggers versichert, großen Wert auf eine ortsverträgliche Gestaltung der neuen Gebäude zu legen. „Ich bin mir meiner Verantwortung für das Ortsbild bewusst“, sagt er. Geplant sind drei Mehrfamilienhäuser, zwei größere und ein kleineres, die um einen Innenhof herum gruppiert werden sollen. Die Grundfläche aller drei Gebäude zusammen soll mit 787 Quadratmetern in etwa jener des alten Bauernhauses entsprechen, das 746 Quadratmeter misst. Auf dem Grundstück sollen 39 Parkplätze entstehen.

Im Herbst 2025 könnten die ersten Mieter in die neuen Wohnungen einziehen

Zunächst will Lindemann-Eggers nur eines der Mehrfamilienhäuser errichten, die anderen sollen später folgen. Es soll zwölf Wohneinheiten auf zwei Stockwerken beinhalten. Hinzu kommt ein ausgebautes Dachgeschoss. Die Außengestaltung soll sich eng an das alte Bauernhaus anlehnen. „Wir greifen die Rundbögen auf, den Backstein, die Ornamente in der Fassade“, sagt Lindemann-Eggers und spricht von einem „Abbild des Vorhandenen“.

Anstatt der platzsparenden Flachdächer, die sich immer mehr durchsetzen, werde das Gebäude wie der derzeitige Hof ein Satteldach erhalten. „Wir werden auch den Schriftzug wieder an der Fassade anbringen“, sagt der Landwirt. Die Bauzeit betrage rund 15 Monate. Wenn alles glattlaufe, könnten im Herbst 2025 die ersten Mieter einziehen.

Lindemann-Eggers sieht in dem Projekt „eine Bereicherung für den Ort“

Zunächst gehen in den kommenden Tagen die Abrissarbeiten weiter. Schon bald wird mit dem alten Hof ein weiteres Stück historisches Großensee verschwunden sein. Lindemann-Eggers ist überzeugt: „Auch, wenn ich nachvollziehen kann, dass viele Menschen in Großensee traurig sind über den Abriss, bin ich sicher, dass die Wohnungen eine Bereicherung für den Ort sein werden.“