Großhansdorf. Krankenhaus am Hamburger Stadtrand ist Kulisse der ARD-Kultserie. Wie der Dreh ablief und warum die Handlung besonders aktuell ist.
Hektische Szenen in der Notaufnahme der Klinik Manhagen in Großhansdorf: Der Flur ist voll mit wartenden Patienten, vor dem Empfangstresen hat sich bereits eine Schlange gebildet. Ein junger Mann hat eine Schürfwunde im Gesicht, eine Frau trägt eine Bandage um ihren Arm. „Haben Sie eine Ibu für mich?“, fragt ein älterer Herr die Sanitäterin, die auf einem Stuhl vor einem der Behandlungszimmer sitzt, und deutet auf seinen in einen Verband gewickelten Finger. Alltag in vielen deutschen Krankenhäusern.
Mittendrin im Trubel: Maria Ketikidou in ihrer Rolle als Zivilfahnderin Hariklia „Harry“ Möller. Mit einem Tuch drückt sie auf die Wunde an ihrem Kopf, aus der das Blut Stirn und Schläfe hinunterrinnt. Vier Tage lang wurde in der vergangenen Woche in dem Großhansdorfer Krankenhaus für den zweiten abendfüllenden Spielfilm der ARD-Kultserie „Großstadtrevier“ gedreht.
ARD dreht für Kultserie „Großstadtrevier“ in Klinik Manhagen in Großhansdorf
In dem 90-Minüter, der den Arbeitstitel „Triage“ trägt und voraussichtlich zum Jahreswechsel 2024/2025 im Ersten ausgestrahlt wird, gilt es für Harry Möller und ihren Partner Nils Sanchez (Enrique Fiß) nicht nur, einen Kriminalfall zu lösen, der Film greift auch das brisante Thema von Krankenhausbehandlungen unter Kostendruck auf. Das Drehbuch stammt von Andreas Kaufmann, der bereits Autor zahlreicher „Großstadtrevier“-Serienfolgen war.
Die Handlung: Bei einer Massenschlägerei in der Hamburger Hafen City werden sowohl Möller als auch Rettungssanitäterin Mirja Grabowski (Franziska von Harsdorf) verletzt. Sie können sich nur noch schutzsuchend im Rettungswagen verbarrikadieren und landen schließlich in der Notaufnahme.
Im Film geht es um das überlastete Gesundheitssystem und folgenschwere Entscheidungen
Dort erlebt die Ermittlerin, wie Ärzte und Personal unter hohem Druck folgenschwere Entscheidungen treffen – und das nicht zum ersten Mal, wie sich herausstellt. Nicht nur das: Harry und das Team des Polizeikommissariats 14 werden im Laufe ihrer Ermittlungen mit den Problemen eines gewinnorientierten Gesundheitssystems konfrontiert.
Es gehe um die große Frage, wie Menschen mit eigenen Fehlern umgehen, so der NDR, der den Film gemeinsam mit ARD Degeto produziert. Eine Frage, die sich auch Harry Möller beantworten müsse, da sie ihren Kollegen Nils Sanchez bei dem gefährlichen Einsatz aus unerklärlichen Gründen im Stich gelassen hat.
Die Klinik Manhagen wird zum Hippokratischen Krankenhaus Hamburg
Für das „Großstadtrevier“ wird die Klinik Manhagen zum „Hippokratischen Krankenhaus Hamburg“ (HKH). Ein Großteil der Klinikszenen wird in Großhansdorf gedreht, die restlichen Aufnahmen entstehen im Israelitischen Krankenhaus in Hamburg-Alsterdorf.
Bei der Auswahl des Drehortes seien filmische Aspekte wie Farben und Architektur entscheidend, sagt Regisseur Florian Gottschick. Daneben spielten aber auch praktische Überlegungen eine Rolle.
Der Krankenhausbetrieb darf unter den Dreharbeiten nicht leiden
„Die Herausforderung, wenn wir in Krankenhäusern drehen, ist, dass der Betrieb nicht leiden darf“, sagt Motivaufnahmeleiter Jannik Schnell. Denn für die Aufnahmen nimmt das Produktionsteam einen großen Teil der Klinik in Beschlag. Gefilmt wird nicht nur in der Notaufnahme, auch Behandlungs- und Patientenzimmer, ein Aufwachraum, der Flur und ein Arztbüro dienen als Kulissen.
„Das Klinikteam hat uns super freundlich aufgenommen“, sagt Schnell. Ärzte stünden dem Team beratend zur Seite, damit medizinische Abläufe so authentisch wie möglich im Film dargestellt würden. „Acht Mitarbeiter der Klinik sind auch als Statisten dabei“, verrät er.
Die „Mittagspause“ beginnt für das 40-köpfige Team um 18.30 Uhr
Logistisch ist der Dreh bei gleichzeitigem Klinikbetrieb eine Herausforderung: Ein Dutzend Fahrzeuge steht auf dem Parkplatz. Transporter mit dem Equipment, Caterer, Garderoben, Make-up, Toiletten. Rund 40 Personen umfasst das Team, die 19 Schauspieler und Komparsen nicht mitgezählt. Da wird es auf den Gängen mitunter eng. „Das sind schon ungewöhnlich viele Mitwirkende. Je nach Szene sind auch mal nur das Kamerateam und zwei oder drei Darsteller vor Ort“, sagt Schnell.
Um dem Klinikbetrieb so wenig wie möglich in die Quere zu kommen, wurden die Dreharbeiten in den Nachmittag und Abend verlegt. Um 14 Uhr geht es los, gegen 23 Uhr endet der Drehtag. Das hat den kuriosen Nebeneffekt, dass trotz der fortgeschrittenen Zeit von einer „Mittagspause“ die Rede ist, als das Team gegen 18.30 Uhr beim Essen zusammensitzt. „Mit dem Drehbeginn verschiebt sich auch der restliche Tagesablauf nach hinten“, sagt Schnell. Aber da gewöhne man sich schnell dran.
Den Snackautomaten für eine Szene bringt das Filmteam selbst mit
Nach der Pause wird zunächst eine Szene mit einem Snackautomaten im Wartebereich ohne die Schauspieler gedreht. Das Gerät steht dort für gewöhnlich nicht. Das Filmteam hat es eigens mitgebracht und befüllt. In Großaufnahme wird gefilmt, wie eine Hand eine Münze in den Automaten einwirft und anschließend einen Waffel-Snack auswählt.
Ein Problem: Der Kameramann spiegelt sich in der Scheibe des Geräts. Kurzerhand verschwindet er deshalb unter einem schwarzen Netztuch, das die Reflexion verhindert. Auch an anderer Stelle wird getrickst: Die Hand, welche den Automaten bedient, stammt von einer Regiemitarbeiterin. Im fertigen Film wird es später Nils Sanchez sein, der sich beim Warten in der Notaufnahme einen Snack holt.
Die Schauspieler müssen die vielen Leute um sich herum ausblenden
„Nach der Pause drehen wir häufig zuerst ein Detail, damit sich die Darsteller in der Zeit frisch machen und das Make-up ausgebessert werden kann“, sagt Motivaufnahmeleiter Schnell. Parallel wird bereits die nächste Szene vorbereitet, die im Röntgenraum der Notaufnahme gefilmt wird.
Dann kommen Ketikidou und Janina Elkin, die im Film die Ärztin Dr. Raluca Dimitru spielt, zurück ans Set. Ketikidou nimmt mit täuschend echter, blutender Kopfwunde sitzend auf der Liege Platz. Wenige Zentimeter über und neben der Schauspielerin halten mehrere Mitarbeiter – für das spätere Fernsehpublikum unsichtbar – Kamera und Mikrofon. „Man lernt schnell, die Leute um einen herum auszublenden“, sagt Ketikidou. „Das ist eine Basisübung, die man als Schauspielerin beherrschen muss.“
Eine Mitarbeiterin achtet eigens darauf, dass keine Anschlussfehler entstehen
Die Szene beginnt mit einer Nahaufnahme von Ermittlerin Harry Möller. Vor der Mittagspause wurde bereits in die andere Richtung gedreht, mit Fokus auf Elkin. Die Aufnahmen werden später zusammengeschnitten. Regisseur Florian Gottschick nimmt auf einem Klappstuhl hinter einem Rollwagen mit einem Monitor darauf Platz und setzt sich Kopfhörer auf. Hier sieht und hört er all das, was später für den Zuschauer zu sehen und zu hören ist.
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Neben ihm sitzt Sophie Scholz und macht sich eifrig Notizen. Als Script/Continuity ist sie dafür zuständig, Schnittlisten zu erstellen und darauf zu achten, dass keine Anschlussfehler entstehen. Dann bringt ein Regieassistent die klischeehafte schwarz-weiße Filmklappe, auf der Szenennummer und Durchlauf vermerkt sind. „Und wir sind drauf“, ruft Gottschick, und alles wird still.
Kurz angebundene Ermittlerin trifft auf überlastete Klinikärztin
Ketikidou als Harry Möller sitzt seufzend auf der Kante der Liege und drückt mit Papiertüchern auf ihre Wunde. „In der Szene erfahre ich gerade, dass mein Schädel noch heil ist und möchte eigentlich so schnell wie möglich wieder raus aus dem Krankenhaus“, erzählt sie später.
Kurz angebunden, aber aus einem anderen Grund, ist auch Dr. Dimitru, die hektisch ins Zimmer kommt und die Röntgenaufnahmen vom Kopf der Ermittlerin mitbringt. „Es mangelt im HKH wie in vielen deutschen Krankenhäusern an Personal, und dementsprechend ist sie gestresst und übermüdet“, beschreibt die Darstellerin Janina Elkin ihre Rolle.
Die CT-Aufnahmen wollen einfach nicht am Leuchtkasten klemmen bleiben
Die Ärztin soll die CT-Aufnahmen von Möllers Kopf zur Betrachtung an den Leuchtkasten an der Wand klemmen. Doch die Bilder wollen einfach nicht klemmen bleiben, fallen herunter. Cut. Alles auf Neustart. Es könne sein, dass das Röntgen gleich für eine Notfallpatientin benötigt werde und dann alles schnell geräumt werden müsse, lässt ein Assistent Gottschick vom Klinikteam mitteilen.
Die Darstellerinnen lassen sich nicht aus der Ruhe bringen. Im zweiten Anlauf klappt es. Die Szene, in der Möller erstmals die hohe Arbeitsbelastung der Krankenhausmitarbeiter zu spüren bekommt, ist im Kasten, der Röntgenraum rechtzeitig wieder frei. Zwei Durchläufe, das sei schon schnell, sagt Ketikidou, die seit mehr als 30 Jahren beim „Großstadtrevier“ dabei ist. „Dieses Bild, dass wir erst mal zehn Takes zum Warmwerden brauchen, wie es oft dargestellt wird, das gibt es heute nicht mehr“, sagt sie. „Es muss schnell gehen, das ist gang und gäbe.“
Für die Szene im Flur stoßen Enrique Fiß und Franziska von Harsdorf dazu
Danach wird die Szene im Wartebereich auf dem Flur gedreht, für die auch Fiß als Nils Sanchez und von Harsdorf als Rettungssanitäterin Mirja Grabowski dazustoßen. Während das Filmteam die Technik umbaut und Regisseur Gottschick die Komparsen instruiert, machen die Darsteller eine finale Textprobe. Es wird noch einmal an Lautstärke und Intonation gefeilt.
Die Szene spielt chronologisch vor jener zuvor im Röntgenraum gedrehten. Die Darsteller müssen das im Hinterkopf behalten und sich blitzschnell umstellen. „Ich versuche dann immer, mir vor Augen zu führen, wo ich im Film herkomme“, sagt Ketikidou. „Es muss schließlich so aussehen, als hätte ich gerade wirklich einen Schlag auf den Dötz bekommen.“
Insgesamt sind für den „Großstadtrevier“-Film 19 Drehtage vorgesehen
Diesmal geht es nicht ganz so schnell. Ob der großen Zahl beteiligter Darsteller in dieser Szene ist der Koordinationsaufwand um einiges höher, und es braucht mehr als zwei Anläufe, bis sie zur Zufriedenheit Gottschicks abgedreht ist. Hinzu kommt, dass erneut verschiedene Perspektiven gefilmt werden müssen.
Inzwischen ist es 21.30 Uhr am letzten der vier Drehtage in der Klinik Manhagen, und es liegt noch einiges an Arbeit vor dem Filmteam und den Darstellern, ehe gegen 23 Uhr Drehschluss ist. Insgesamt werden es am Ende 19 Drehtage sein, die das Team vor und hinter der Kamera verbringt, bis alle Aufnahmen fertig sind. Ab Mai werden im Anschluss an den Film zwölf neue Folgen für die 38. Staffel „Großstadtrevier“ gedreht.