Bad Oldesloe. Steigende Mieten, Einsamkeit und fehlende Hilfe belasten viele Senioren. Ein Fachtag in Stormarn suchte nach Auswegen aus der Misere.

Etwas skurril mutete der Pausenscreen auf der riesigen Leinwand im Oldesloer Kreistagssitzungssaal schon an. Auf dem Foto hatte es sich eine reife Dame im Pelzmantel mit Zigarettenspitze und Weinkelch in einer Wanne mit goldenen Armaturen gemütlich gemacht und genoss feuchtfröhlich das mondäne Ambiente. „Weil es zu Hause am schönsten ist“, lautete der Untertitel. Ganz so freundlich stellt sich die Wohnsituation für viele Senioren indes gar nicht dar. Laut einer aktuellen Erhebung präsentieren sich bundesweit gerade knapp 29 Prozent aller Bäder als altersgerecht. Die Zahlen für den gesamten Wohnbereich sehen kaum besser aus.

Im wirtschaftlich und finanziell gut aufgestellten Kreis Stormarn stellt sich die Lage keineswegs anders dar, wie der „Fachtag Wohnen“ am Sonnabend, 20. April, offenbarte. Im Untergeschoss hatten die Organisatoren von der Kreisverwaltung große Flipcharts aufgestellt, auf denen die rund 80 Teilnehmer der Veranstaltung ihre Kommune bewerten sollten. Der Teilbereich Wohnen kam in Reinbek auf einer Skala von 1 (nicht gut) bis 7 (alles bestens) über den Wert 4 nicht hinaus. Für Ahrensburg zeigte sich eine Häufung bei den Werten 2 und 3, nur zweimal wurde der Wert 5 markiert.

Große Kommune hat nicht ein Wohnungsbauprojekt geplant

„Ja, es gibt auch bei uns in Stormarn viele Probleme im Bereich Wohnen“, gestand Landrat Henning Görtz unumwunden ein. Es brauche mehr innovative Investoren und Betreiber, um auf diesem Feld voranzukommen. Die größte Schwierigkeit bleibe aber, passende Grundstücke und Immobilien zu finden. Hier seien vor allem die Kommunen gefordert.

Bei der Podiumsdiskussion standen (v. l.) Horst Ansén, Josef Bura, Landrat Henning Görtz, Sabine Rautenberg und Marion Hansen Rede und Antwort.
Bei der Podiumsdiskussion standen (v. l.) Horst Ansén, Josef Bura, Landrat Henning Görtz, Sabine Rautenberg und Marion Hansen Rede und Antwort. © HA | Lutz Kastendieck

„An der Zielmarke von 1000 Wohnungen pro Jahr hat sich nichts verändert“, sagt Görtz. Sie zu erreichen werde angesichts der angespannten Rahmenbedingungen im Baugewerbe zwar immer schwieriger. Doch es könne schlicht nicht sein, dass eine große Kommune im Kreis, deren Name er nicht nennen wollte, bei seiner jüngsten Änderung des Flächennutzungsplans nicht ein einziges Wohnungsbauprojekt vorgesehen habe.

Geschosswohnungsbau wird allzu oft bekämpft

Wenn denn aber schon gebaut werde, sei es oft nicht bedarfsgerecht. Weil eindeutig zu wenig bezahlbarer und altersgerechter Wohnraum entstehe. „Zwar gibt es schon gute Beispiele wie das inklusive Projekt BornInk in meiner Heimatstadt Bargteheide“, sagt Görtz. Doch sobald Geschossbau ins Spiel komme, ohne den die allgemeine Wohnungsnot nun mal nicht bekämpft werden könne, rege sich vielerorts allzu oft Widerstand von Anwohnern.

Blick auf den skurrilen Pausenscreen mit der feuchtfröhlichen Seniorin in der Badewanne.
Blick auf den skurrilen Pausenscreen mit der feuchtfröhlichen Seniorin in der Badewanne. © HA | Lutz Kastendieck

Ammersbeks Bürgermeister Horst Ansén wünscht sich unterdessen „mehr Beinfreiheit“ für die Kommunen. „Mir sind einige Vorhaben bekannt, bei denen plötzlich die Landesplanung dazwischen gegrätscht ist“, erklärte Ansén, der andererseits aber auch einen Paradigmenwechsel in der Bauwirtschaft fordert: „Wohnungsbau darf nicht immer nur unter dem Aspekt überbordender Gewinnerwartungen betrachtet werden. Hier braucht es mal einen anderen Fokus.“

Mieten fressen einen zu großen Teil der Rente auf

Diese Notwendigkeit sieht auch Marion Hansen vom Seniorenbeirat in Bargteheide. „Es ist eine Tatsache, dass die Mieten immer weiter steigen und vielen Senioren einen immer größeren Teil ihrer Rente auffressen“, sagt sie. So werde echte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben aber immer schwieriger. Tatsächlich sind die Mieten in der Stadt innerhalb der vergangenen vier Jahre von 9,34 Euro auf 11,27 Euro gestiegen, ein sattes Plus von 21 Prozent.

Angesichts dieser rasanten Entwicklung bedürfe es laut Hansen neuer Lösungsansätze. So verwies sie auf die benachbarte Hansestadt Hamburg, in der in den vergangenen Jahren sogenannte Cluster-Wohnräume entstanden seien. Das Konzept basiert auf Wohneinheiten, in denen die Bewohner über private Zimmer verfügen, Sozialräume aber gemeinschaftlich genutzt werden.

16 Millionen Wohngebäude sind Ein- und Zweifamilienhäuser

„Es sollten jedoch auch mehr Anreize geschaffen werden, dass Senioren vielleicht ihre großen Einfamilienhäuser aufgeben, wenn die eigenen Kinder ausgezogen sind. Oder sie sich für eine Umnutzung des nicht mehr benötigten Wohnraums öffnen“, sagt Marion Hansen.

Diesem Aspekt widmete sich in seinem Vortrag auch Arthur Haus vom Bundesverband Grüne Liga. Von rund 19,5 Millionen Wohngebäuden in Deutschland entfielen seinen Angaben zufolge etwa 16,2 Millionen auf Einfamilienhäuser. 68 Prozent der Eigentümer leben dort allein. Während ihnen im Schnitt 101 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung stehen, sind es in gängigen Geschosswohnungsbauten gerade 47.

50 Prozent der Wohnfläche in Häusern sind ungenutzt

90 Prozent der über 80-Jährigen wohnen in Einpersonenhaushalten. In vielen Fällen bleibt aber rund die Hälfte der Gesamtwohnfläche ungenutzt. Deutschlandweit gibt es schätzungsweise 9 Millionen Wohnungen, die so groß sind, dass mindestens eine weitere Person dort leben könnte. „Das ist ein enormes Potenzial, das die allgemeine Wohnungsnot in vielen Kommunen lindern könnte“, sagt Haus. Dafür gebe es vielfältige Optionen, die in vielen Fällen eine echte Win-win-Situation bedeuten könne.

„Die Mobilisierung ungenutzten Wohnraums bietet viele Vorteile“, so Haus. Senioren könnten durch die Schaffung von separaten Einliegerwohnungen nicht nur zusätzliche (Miet-)Einnahmen und dadurch Finanzmittel für notwendige Modernisierungs-, altersgerechte Umbau- und Sanierungsmaßnahmen generieren. Das alles führe zugleich zu einer höheren Energieeffizienz.

80 Prozent der Senioren wollen zu Hause alt werden

„Nicht zu unterschätzen ist auch der soziale Aspekt“, erklärt Haus. 80 Prozent aller Senioren wollten so lange wie möglich selbstbestimmt im eigenen Haus leben, zwei Drittel wünschten sich im Alter aber Unterstützung bei der Hausarbeit und im Garten. „Außerdem bieten Mitbewohner die große Chance auf mehr Konversation und Kontakte und damit weniger Einsamkeit“, sagt Haus.

Dass so etwas tatsächlich funktioniert, darüber berichtete Heidemarie Fehrmann vom Seniorenbeirat der Stadt Bad Oldesloe. Die 73-Jährige nutzt mit ihrem Mann seit einigen Jahren nach dem Anbau eines Wohnzimmers nur noch eine 60 Quadratmeter große Wohnung im Erdgeschoss ihres Hauses. In einer Einliegerwohnung von 55 Quadratmetern lebt eine alleinstehende Frau und das 65 Quadratmeter große Ober- mit ausgebautem Dachgeschoss bewohnt die Tochter mit ihrer Patchworkfamilie.

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„Dadurch ist eine Hausgemeinschaft entstanden, die sich gegenseitig hilft und unterstützt und von der alle Bewohner profitieren“, berichtet Heidemarie Fehrmann. Man habe über die Jahre viele gute Erfahrungen mit der Konstellation gesammelt und möchte diese Konstellation nicht mehr missen.

Laut Henning Görtz wären viele Senioren durchaus bereit, in altersgerechte Wohnungen umzuziehen. „Tatsache ist aber auch, dass der Verkauf des eigenen Hauses immer öfter nicht die Kosten für den Kauf einer Wohnung in einer angemessenen Größe deckt und es oftmals an geeigneten Alternativen im gewohnten Umfeld fehlt“, so der Landrat. Weil Wohnen aber ein wesentlicher Bereich der Daseinsvorsorge sei, brauche es neue Ideen und Anstrengungen, damit er im Alter nicht zum unlösbaren Problem werde.