Großensee. Laien-Forscher suchen in Tiefe nach historischen Schätzen. Davon profitiert auch die Wissenschaft. Warum das Hobby so faszinierend ist.
Schon als Kind konnte sich der Großenseer Elmar Klemm für Bücher begeistern, die von der Suche nach Schätzen handelten. Weil er Spaß am Schnorcheln hatte, fing er im Alter von 15 Jahren mit dem Tauchen an. Heute ist der versierte Taucher ein gefragter Experte auf dem Gebiet der Unterwasserarchäologie und arbeitet für Projekte mit den Archäologischen Landesämtern Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern zusammen. Seine Leidenschaft gilt der Suche nach Bootswracks und anderen historischen Funden, die sich unter der Wasseroberfläche verbergen. Als Ausbilder beim Verband Deutscher Sporttaucher (VDST) bietet er Kurse im denkmalgerechten Tauchen an. Die Plätze sind begehrt, 17 hoch motivierte Laien-Forscher ließen sich von Klemm jetzt in die Geheimnisse des richtigen Umgangs mit historischen Entdeckungen unter Wasser einweihen.
Neben theoretischen Kenntnissen standen praktische Übungen im Großensee auf dem Stundenplan. Dort hat Klemm mit seinem Team 2021 die Überreste eines etwa 100 Jahre alten Fischereikahns entdeckt. Es ist eines von fünf dokumentierten Wracks im Großensee. Für die Kursteilnehmer sind die Funde ein Glücksfall: Was sie im Unterricht lernen, können sie direkt im Anschluss an den Forschungsobjekten auf dem Grund des Sees anwenden – statt wie sonst üblich im Schwimmbad oder einem Sportsee.
Taucher trainieren für Unterwasserforschung im Großensee an historischen Bootswracks
Sporttaucherin Maren Mohr hat mittrainiert. Sie taucht seit 20 Jahren. „Mein Interesse am Forschungstauchen besteht schon seit Längerem“, sagt sie. Frauen seien auf dem Gebiet noch unterrepräsentiert. Speziell in heimischen, kalten Gewässern sucht sie nach Dingen, die Menschen dort hinterlassen haben. Sie hat sich als Mülltaucherin betätigt, interessiert sich für Meeresbiologie und seit Neuem auch für Unterwasserarchäologie. „Für mich ist das ein Rundum-Paket“, meint Mohr. Das Spannende sei, die Geschichten hinter den Relikten wie Kriege oder untergegangenen Siedlungen zu entdecken.
Laut Elmar Klemm sind Wissenschaft und Umwelt das Trendthema im Unterwassersport. „Unser Ressort hat großen Zulauf“, sagt er. Umweltaktivitäten hätten nicht zuletzt durch Aktivisten wie „Fridays for Future“ und Debatten um Mikroplastik, Geisternetze und Ozeanschutz einen Boom erfahren. „Viele Taucher sind aktiv im Umweltschutz. Das gilt ebenso für die Citizen-Science-Bewegung.“ In der Bürgerwissenschaft tragen Hobby-Wissenschaftler mit ihren Erkenntnissen zu Forschungsprojekten bei. „Wer den Kurs besucht, qualifiziert sich damit für die Teilnahme an Forschungsprojekten in Kooperation mit den Landesämtern.“ Laut Konzept geben sie vor, was beim jeweiligen Projekt untersucht werden soll.
Wer im Großensee tauchen will, sollte auf keinen Fall Angst vor der Dunkelheit haben
Wer zu Klemm kommt, ist bereits ausgebildeter Sporttaucher und kann mindestens 100 Tauchgänge nachweisen. Eine entsprechende Fitness wird vorausgesetzt. „Der Großensee ist ein schwieriges Gewässer“, sagt Klemm, der kürzlich seinen 1000. Tauchgang absolviert hat. „Hinzu kommt ein schwieriges Sediment und kaum Sicht.“ Mohr fügt hinzu: „Man darf keine Angst im Dunkeln haben.“
Wie gehe ich das an, wenn ich etwas finde? Wie melde ich den Fund und an wen? Was bedeutet in diesem Zusammenhang ethisches Handeln? Welche rechtlichen Dinge muss ich beachten? Und was ist eigentlich ein Denkmal? So lauten einige der Fragen, die Klemm in seinem Unterricht behandelt. „Wenn ich eine Kanone mit einem verkrusteten Königssiegel darauf finde, ist die Sache klar.“ Doch so eindeutig ist die Lage nicht immer, daher geht es ihm darum, den Blick der Taucher für Details zu schärfen. Nach Ansicht von Mohr ist ihm das gelungen. Sie sagt: „Man entwickelt ein Auge dafür, ob sich unter einem Hügel etwas Interessantes verbirgt oder mit Algen und Muscheln bewachsen ist.“ Ein umfassendes Bild entsteht erst, wenn die Beobachtungen miteinander in Zusammenhang gebracht werden.
Die packendsten Momente sind für Elmar Klemm jene, in denen das Kopfkino losgeht
Die penible Vorbereitung eines Einsatzes und die Kenntnis um die physikalischen Prozesse, die währenddessen im Körper ablaufen, sind wichtig. „Tauchen ist keine gefährliche Sportart“, meint Klemm. „Aber wenn ein Unfall passiert, dann wird es schnell ernst.“ Mit einer vernünftigen Taucherausbildung lasse sich vorbeugen. Ehrenamtlicher Unterwasserarchäologe könne jeder werden, der fit sei. Bestes Beispiel: ein befreundeter Taucher und Unterwasserfotograf. Klemm: „Der geht ab wie Hulle.“ Alter: 85 Jahre.
„Im Team gibt es eine klare Arbeitsverteilung, aber jeder sollte wissen, wie man Messungen durchführt oder Zeichnungen macht.“ Es gebe auch Taucher, „die in jedes Loch hineinkriechen, weil es sie thrillt“. Er selbst zähle nicht dazu. „Ich bin jemand, der sich lieber um wissenschaftliche Dokumentation kümmert.“ Was ihn packt, sind persönliche Erlebnisse. Wie bei der Darßer Kogge vor Prerow aus dem 13. Jahrhundert. „Als ich das Holz an einer Stelle berührt habe, wo ein Schiffszimmermann ein Loch gebohrt hat, war das als ob man mit Störtebeker am Biertisch sitzt“, schwärmt er. Oder wenn er zu Kanonenrohren in der Ostsee taucht, die aus dem großen nordischen Krieg stammen. Klemm: „Dann geht das Piratenkino im Kopf los.“
Beeindruckendes Unterwasserszenario: Torpedos stecken im Grund des Tollensesees
Das eindrucksvollste Bild bot sich ihm im Tollensesee. Im Seegrund stecken sieben Meter lange Torpedos wie Dartpfeile. „Das fand ich ziemlich abgefahren.“ Sie stammen aus der Torpedoversuchsanstalt Neubrandenburg, die Nazis dort errichtet hatten. Auf Gold oder eine Schiffsglocke ist Klemm bei seinen Erkundungen noch nie gestoßen, aber auch Kohlebriketts oder Drahtrollen lassen Rückschlüsse auf Zeit und Geschehen zu. „Was wir finden, sind in erster Linie Antworten auf Fragen, die wir stellen.“
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Vor jedem Tauchgang wird die Ausrüstung angelegt. Die von Mohr wog 21 Kilogramm. Das sei nichts im Vergleich zu einem bekannten Höhlentaucher, der es beim Equipment auf das Dreifache bringt. Wichtig: eine gute Lampe plus Ersatzlampe. „Im Großensee war das bitter nötig. Nach 50 Zentimetern ist Schicht im Schacht, bei einem Meter lassen sich höchstens noch Schemen erkennen. Ein falscher Flossenschlag, der die Sedimente aufwirbelt, dann sieht man für zwei Stunden nichts mehr“, beschreibt Mohr die Sichtverhältnisse.
Am ersten Tag hätten sie an Wracks ohne Denkmalstatus geübt. „Da mussten wir nicht befürchten, irgendeinen Schaden zu verursachen.“ Das Instrumentarium zur Dokumentation besteht aus Stiften, Schreibunterlage, Maßband, Tiefenmesser und Kompass. Am zweiten Tag durften sie die historischen Kähne in Augenschein nehmen. „Alte Kähne sind fragil und empfindlich“, betont Elmar Klemm.
Im Klemms Umfeld haben sich Gruppen gebildet, die eigene Projekte initiieren
Teilnehmer Olaf Ruhfus-Hartmann ist aus dem Westerwald angereist. Er wollte lernen, „wie man sach- und fachgerecht an solche Funde herangeht“. Bislang hat er vor allem in Kiesgruben nach Spuren von Steinzeitjägern wie Flintklingen oder Grabbeigaben gesucht. „Wracktauchen ist etwas ganz Besonderes. Elmar bringt das Thema mit Feuer und Flamme herüber.“ Es gehe nicht unbedingt darum, die Artefakte zu bergen. „Ein Fund ist eigentlich wertlos, wenn der Fundort nicht kartografiert wurde“, sagt er. Besser sei es, den Fund an Ort und Stelle zu lassen und dessen Tiefe und Position zu bestimmen und an das Landesamt zu übermitteln.
Beruflich kommt Elmar Klemm aus dem PR- und Marketingbereich. Als Ehrenamtlicher sieht er seine Aufgabe darin, geschichtliche Themen zutage zu fördern, sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und Helfer im richtigen Umgang mit archäologischen Funden zu schulen. In seinem Umfeld hätten sich bereits Gruppen gebildet, die eigene Projekte initiieren. Er ist überzeugt: „Je mehr wir zu einer Sensibilisierung für die Bewahrung des kulturellen Erbes als Allgemeingut beitragen, umso eher setzt ein Umdenken beim Umgang damit ein.“