Stapelfeld. Schornstein aufgestellt, Geschäftsführer gewechselt: Testbetrieb für 220-Millionen-Euro-Projekt beginnt im letzten Quartal.

Er ist so etwas wie das von Weitem sichtbare Wahrzeichen des 1900-Einwohner-Ortes Stapelfeld: der 110 Meter hohe Schornstein der Müllverbrennungsanlage (MVA). Jetzt ist sein Nachfolger für das neue Müllheizkraftwerk (MHKW) per Telekran aufgestellt worden. Der Schlot ist mit 63 Metern deutlich niedriger und wirkt im Vergleich mit dem jetzigen Betonriesen fast filigran.

Für den Betreiber EEW Energy from Waste, der 220 Millionen Euro in den Neubau inklusive separater Klärschlammverbrennungsanlage (KVA) investiert, ist der Schornstein ein weiteres wichtiges Signal auf dem Weg zur Einweihung. Projektleiter Felix Ranseder klingt euphorisch, wenn er über das große Ziel spricht: „Im Moment macht das richtig Spaß, weil nahezu täglich etwas anderes fertig wird.“

Stapelfeld verbrennt den Abfall der Kreise Stormarn und Herzogtum Lauenburg

Die sogenannte kalte Inbetriebnahme mit dem Funktionstest der gesamten Technik ist bereits für das zweite Quartal dieses Jahres vorgesehen. Mit der Müllaufgabe im vierten Quartal wird die Anlage erstmals unter realen Bedingungen angefahren. Im zweiten Quartal 2025 soll sie dann in den Regelbetrieb übergehen.

Ein Telekran stellt den 63 Meter hohen Schornstein für den Neubau auf.
Ein Telekran stellt den 63 Meter hohen Schornstein für den Neubau auf. © EEW Energy from Waste | EEW Energy from Waste

Im Müllbunker errichten die Bauarbeiter momentan die Wand für die beiden Kräne. Die schaufeln künftig auch jährlich rund 100.000 Tonnen Restabfall aus den Kreisen Stormarn und Herzogtum Lauenburg in den Trichter zum Kessel. Insgesamt kann die Anlage bis zu 350.000 Tonnen bei mindestens 850 Grad Celsius verbrennen. Diese Menge schafft auch die jetzige, 1979 eröffnete „Mülle“ – allerdings mit zwei Öfen. Dank modernster Technik kann EEW die erzeugte Strommenge auf 225.000 Megawattstunden mehr als verdoppeln. Ähnlich sieht es bei der Fernwärme aus, die unter anderem Häuser in Stapelfeld und Hamburgs Osten heizt.

Loft mit Rundumblick bis nach Lübeck und Hamburg

Im Kesselhaus, dessen Turm von einem Loft auf 62 Metern Höhe gekrönt wird („Unser Adlerhorst“, so Felix Ranseder), werden demnächst Fahrstühle installiert. Das erspart allen Beteiligten den Aufstieg über rund 400 Treppenstufen. Der Raum mit Rundumblick, der bei klarer Sicht bis zu den Kirchen in Lübeck und dem Hamburger Fernsehturm reicht, soll für Besuchergruppen, Mitarbeiterwerbung und Sitzungen genutzt werden.

Vom Herzstück der Anlage, dem Kessel, wird dann nichts mehr zu sehen sein. „Er wird jetzt komplett isoliert“, sagt Projektleiter Ranseder. Auch das dient der Energieeffizienz. Außen an der Fassade lassen sich schon die Halterungen für die Photovoltaikmodule erkennen.

Die Rauchgasreinigung bekommt eine Front aus Glas

In der Rauchgasreinigung, die später eine Glasfront bekommt, strömen die Abgase durch etliche Filter. In einer Sondervereinbarung mit den Kreisen Stormarn und Herzogtum Lauenburg hat sich EEW dazu verpflichtet, dass die tatsächlichen und im bundesweiten Vergleich sehr niedrigen Emissionswerte der bestehenden MVA auch von der neuen Anlage eingehalten werden. Sie liegen durchweg deutlich unter den Grenzen in der kürzlich verabschiedeten novellierten 17. Verordnung zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchV).

Guido Lücker ist neuer Technischer Geschäftsführer von EEW Energy from Waste Stapelfeld.
Guido Lücker ist neuer Technischer Geschäftsführer von EEW Energy from Waste Stapelfeld. © Harald Klix | Harald Klix

Über den Schornstein vermischt sich die gereinigte Abluft schließlich mit der freien Luftströmung und wird so abtransportiert. Rein rechnerisch müsste der Schlot sogar nur etwa 30 Meter hoch sein. Die 63 Meter beim Neubau resultieren daraus, weil das höchste Einzelgebäude auf dem Areal übertroffen werden muss. Laut EEW diente ein Kamin früher dazu, die emittierten Schadstoffe mit der Abluft in einem weiten Gebiet zu verteilen. Inzwischen werden die Emissionen dagegen über strenge Grenzwerte geregelt.

Alter Schlot ist deutlich höher, um die Abluft zu verdünnen

„1979 wurde ein Kamin gebaut, der hoch genug sein musste, die austretenden Rauchgase so zu verdünnen, dass von ihnen keine Gefahr mehr ausging“, sagt ein Unternehmenssprecher. „Hohe Schornsteine sind dementsprechend immer Zeugen einer Zeit mit geringen Anforderungen an die Rauchgasreinigung beziehungsweise dem Fehlen entsprechender gesetzlicher Vorgaben.“

Mehr zum Thema

Unterdessen hat EEW Stapelfeld einen neuen Technischen Geschäftsführer bekommen. Guido Lücker ist Nachfolger von Morten Holpert. Dieser hatte die Position bislang sowohl in Stapelfeld als auch in Stavenhagen inne. Dort verantwortet Holpert für EEW jetzt mit voller Konzentration die Eröffnung der ersten Klärschlammverbrennung in Mecklenburg-Vorpommern, die in diesen Wochen in den Regelbetrieb geht.

Schon als Student begeisterte er sich für Technik der Müllverbrennungsanlagen

Guido Lücker ist seit mehr als drei Jahrzehnten in der Branche und hat Führungserfahrung unter anderem in den EEW-Standorten Hannover und Helmstedt gesammelt. „Schon seit meinem Studium fasziniert mich die Technik“, sagt er. Die thermische Abfallbehandlung sei die beste Lösung für Industrienationen. „Und Umweltschutz par excellence“, so Lücker.

Neubau-Projektleiter Felix Ranseder.
Neubau-Projektleiter Felix Ranseder. © Harald Klix | Harald Klix

Seine Diplomarbeit verfasste der Student (Maschinenbau und Betriebswirtschaft) 1990 bei der Müllverbrennungsanlage Krefeld. Danach führte ihn die Karriere durch Dutzende Anlagen und Projekte, immer auch begleitet von engagierten Bürgerbewegungen. „Ich bin jederzeit offen für kritische Diskussionen und Nachfragen“, sagt er.

Schleswig-Holsteins erste Klärschlammverbrennung soll auch Phosphor recyceln

In Stapelfeld betreut Guido Lücker, der in seiner Freizeit gern mit Rad oder Wanderschuhen in der Natur unterwegs ist, auch Schleswig-Holsteins erste Klärschlammverbrennungsanlage. „Es ist absolut sinnvoll, dass Medikamentenrückstände und Mikroplastik nicht länger auf den Feldern landen“, sagt er. Noch wird ein Großteil der Masse aus den Klärwerken als Dünger in der Landwirtschaft verwendet.

Die KVA hat eine Jahreskapazität von 32.500 Tonnen Trockensubstanz. Aus der Asche soll der knappe Rohstoff Phosphor recycelt werden. Das ist in zwei Schritten ab 2029 und 2032 auch gesetzlich vorgeschrieben.

Nach der vollständigen Inbetriebnahme des neuen Kraftwerks wird die alte Müllverbrennungsanlage abgeschaltet. Das bedeutet nach 45 Jahren auch das Ende für den 110-Meter-Schornstein: Er wird abgerissen.